23.05.2018

Von Investoren und Osterhasen

Magisches Denken ist nicht nur bei Kleinkindern, sondern auch bei Anlegern weit verbreitet. Der Wunsch, eine Zauberformel für mehr Rendite oder einen übernatürlich begabten Fondsmanager gefunden zu haben, ist oft stärker als der Verstand. Der Realität ins Auge zu sehen, ist jedoch für den langfristigen Anlageerfolg entscheidend.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

«Aber wie kommt der Osterhase zu uns auf die Terrasse in den fünften Stock?», fragt meine sechsjährige Tochter manchmal in einem Anflug von rationaler Skepsis. Doch ohne dass ich darauf eine Antwort zurechtbiegen muss, verdrängt sie die skeptischen Gedanken jeweils gleich wieder selbst. Zu gross ist der Wunsch, an den Osterhasen zu glauben. Aber das Ende der typischen Entwicklungsphase des magischen Denkens ist langsam absehbar.

An den Finanzmärkten legen dagegen viele Investoren das magische Denken nie ab und glauben bereitwillig an den Osterhasen und die Zahnfee. Das Spektrum reicht von Börsen-Horoskopen und Chart-Hokuspokus über Makrodaten-Knochenleser, Gewinn-Wahrsagern und immer neuen «magisch begabten» Wunderkindern des Geldmanagements bis hin zu pseudowissenschaftlichen Backtesting-Quacksalbern oder waschechten Betrügern im Stil eines Bernie Madoff. Die hohe Varianz, also quasi der Lärm und die Komplexität des Börsengeschehens, fördern den Aberglauben, wie in anderen Bereichen des Lebens auch. Wie bei kleinen Kindern ist aber schlussendlich meist der Wunsch Vater des Gedankens.

Zum Beispiel bei der anhaltend beliebten Chartanalyse: Papier und Lineal oder ein simples und tausendfach frei verfügbares Computerprogramm sollen reichen, um damit den Markt voller professioneller Akteure mit Hochleistungscomputern schlagen zu können? Dass die Banken und andere Dienstleister dagegen ihren Kunden Chartanalysen anbieten, kann man ihnen genauso wenig vorwerfen, wie den Schokoherstellern ihre Osterhasen. Sie richten sich nach der Nachfrage der Anleger.

Die fortgeschrittene Version des Glaubens an magische Muster ist das beliebte Backtesting von Anlagestrategien. Die Testprozedur und statistische Vokabular suggerieren, dass es sich hierbei um Wissenschaft handelt. Oft ist es aber reiner Selbstbetrug am Rand der Quacksalberei. Praktisch immer, wenn eine grosse Zahl von Variablen und ihrer Kombinationen auf Basis von Daten der Vergangenheit getestet wird, handelt es sich bei der gefundenen Rendite-Zauberformel um eine rein statistische Illusion, die dann in der Realität kläglich scheitert. Bekannt ist die mit Backtesting «bewiesene» Tatsache, dass die Butterpreise in Bangladesch der beste Indikator für die Entwicklung des US-Aktienmarkts sind – oder eben besser in einem spezifischen Zeitraum waren (vgl. SpectraNews #2).

Eine mathematische Herangehensweise zeigt, dass zum Beispiel ein Backtesting mit 1000 Versuchen problemlos eine Strategie mit einem Sharpe Ratio 3 ergibt (vgl. Grafik), selbst wenn das effektive Sharpe Ratio der Strategie 0 beträgt. Das Sharpe Ratio ist ein Mass für die Überrendite in Relation ihrer Volatilität.

1000 Versuchsläufe sind im Backtesting schnell erreicht, seien es 1000 verschiedene Variablen von Kurs/Gewinn bis zu den Butterpreisen in Bangladesch oder alle denkbaren Kombinationen von nur 10 Variablen. Bei 20 Variablen wird bereits der rechte Rand der Grafik mit einer Million möglichen Kombinationen und einem rein zufälligen Sharpe Ratio von gegen 5 erreicht, was ein fantastischer Wert wäre.

 SpectraNews 30 Grafik1
Die Grafik zeigt das rein zufällig maximal erreichbare Sharpe Ratio E(max (SR)) im Verhältnis zu der Anzahl der durchgeführten Untersuchungen bzw. analysierten Kennzahlen. Bei 103 oder 1000 Versuchen ist es wahrscheinlich, rein zufällig eine Strategie mit einem Sharpe Ratio von 3 zu finden, selbst wenn es effektiv gar keine solche Strategie mit Überrendite gibt. (Quelle: mathinvestor.org)

Viele Value-Strategien sind statistische Täuschungen

Ergebnisse aus solchen Backtesting-Übungen sind deshalb eigentlich immer zu gut, um wahr zu sein. Das gilt übrigens auch für viele Untersuchungen zu Value-basierten Kennzahlen. Es ist kein Zufall, dass auch viele in akademischen Studien gefundene Value-Strategien seit ihrer Entdeckung nicht mehr funktionieren. Akademiker wie Anleger verdrängen aber gerne diese statistischen Tatsachen und wollen lieber daran glauben, den Stein des Weisen gefunden zu haben.

Wer selbst nicht auf der Suche nach einer Zauberformel ist, glaubt dafür allzu bereitwillig, einen aussergewöhnlich begabten Geldverwalter gefunden zu haben. Erkennbar ist diese Tendenz jeweils daran, wie viel Geld jeweils den neusten Star-Fondsmanagern und Wunderkindern der Finanzbranche zufliesst. Viele davon sind reine Eintagsfliegen wie etwa Hedge-Fund-Manager John Paulson, der in der letzten Finanzkrise gegen Subprime-Hypotheken gewettet hatte und danach mit Milliarden von Anlegergeldern überschüttet wurde. Nach Jahren mit grottenschlechter Performance verwaltet er nun praktisch nur noch sein eigenes Vermögen.

Gerade jetzt nach einem langen Aktienboom ist auch erstaunlich, wie viele Investoren wieder daran glauben wollen, dass «ihr» Aktienfonds mit schönen zweistelligen Zuwächsen über die letzten Jahre sich auch in der Zukunft immer weiter so entwickeln wird. Theoretisch weiss man, dass starke Rückschläge bei Aktien normal sind. In der Praxis macht man sich dann aber doch gerne immer wieder vor, dass «diesmal alles anders ist» oder dass man den richtigen Fondsmanager hat, der dann rechtzeitig aussteigt, bevor die Kurse in den Keller rasseln.

Weit verbreitet bei institutionellen Investoren ist zum Beispiel auch das Denken, dass ihre Anlagen in «Private Equity» weniger riskant seien als öffentlich gehandelte Aktien («Public Equity»). Der Selbstbetrug basiert auf der Tatsache, dass die seltener berechneten und oft nur modellierten Kurse von Private-Equity-Vehikeln weniger volatil sind als täglich gehandelte Aktien. Damit sind sie nach gängiger Lehre weniger riskant, obwohl es sich um den gleichen Basiswert handelt: Beteiligungen an Unternehmen.

Von Bitcoin und anderen magischen Münzen

Das sehr verbreitete naive Extrapolieren von Trends ist letztlich eine Folge des magischen Wunschdenkens. Bitcoin und andere Kryptowährungen zogen täglich eine grosse Schar neu konvertierte Gläubige an, so lange der Chart schön steil nach oben zeigte. Schnell reich werden wollen mit etwas, von dem eigentlich jeder schon gehört hat, ist so kindisch wie der Glaube, das Christkind komme nur zu einem selbst und muss nicht noch all die Millionen anderen Kinder am selben Tag beschenken.

Auf der anderen Seite des Spektrums bieten viele Abzocker und Betrüger dem Anleger eine «exklusive Investitionsmöglichkeit» an und nutzen damit die verbreitete Neigung, daran Glauben zu wollen, das geheime Portal ins Feenreich mit hohen und sicheren Renditen gefunden zu haben. 

Der Milliarden-Betrüger Bernie Madoff etwa behandelte seine potenziellen Kunden bewusst schroff und unfreundlich, gerade auch wenn es sich um Prominente handelte. Also umso exklusiver galt es dann, zum Kreis seiner Auserwählten gehören zu dürfen.

Rezepte gegen den Aberglauben

All diesen Versuchungen des magischen Denkens zu erliegen, ist letztlich allzu menschlich. Die hohe Varianz des Geschehens an den Finanzmärkten verhindert es oft, die Realität zu erkennen und fördert den Aberglauben. Trotzdem ist für den langfristigen Anlageerfolg unerlässlich, zu versuchen, den magischen Nebel zu durchdringen und sich der Realität anzunähern.

Dazu gehört es, alle Prämissen und Versprechungen an den Märkten ständig zu hinterfragen und nach Gegenbeweisen zu suchen. Das negative Prinzip, dass es oft einfacher ist zu erkennen, was garantiert nicht funktionieren kann, führt den Anleger nicht selten über das Ausschlussverfahren zur richtigen Lösung (vgl. SpectraNews #28)

Meistens kommt man mit gesundem Menschenverstand schon erstaunlich weit. Als Leitlinie und Realitätscheck für alle Renditeerwartungen gilt:

  • Es ist möglich, relativ sichere und stetige tiefe einstellige Renditen zu erreichen, zum Beispiel mit soliden Anleihen. Aktuell tendieren diese Renditen allerdings gegen Null. Wer auf Sicherheit bedacht ist, sollte im heutigen Umfeld jedoch lieber die Null für eine Weile akzeptieren anstatt sich nach mehr Rendite zu strecken.
  • Hohe einstellige Renditen sind meist mit moderatem Schwankungsrisiko erhältlich, zum Beispiel mit einem Mix aus Aktien und Anleihen. Anlagen, die solche Renditen auf stetiger oder sicherer Basis versprechen, sind meist schon suspekt. Oft bestehen über die Zeit ungleich verteilte Extremrisiken («Tail Risks»). Nach Jahren mit stabilen Renditen folgt plötzlich der umso heftigere Schockverlust.
  • Zweistellige Renditen sind dagegen nie stetig erreichbar, sondern nur mit erheblichem Schwankungsrisiko. Das kann nicht anders sein, weil man sonst ganz einfach Kredite aufnehmen und in die stabile profitablere Strategie investieren könnte, um so in kürzester Zeit sehr reich zu werden. Wenn ihnen jemand stetige zweistellige Renditen verspricht oder zumindest zwischen den Zeilen in Aussicht stellt, sollten alle Alarmglocken läuten. Entweder es handelt sich um regelrechten Betrug oder aber eine Strategie, die schon bald einen umso heftigeren Verlust erleiden dürfte.

Aktien sind der transparenteste Weg, um zweistellige Renditen auf lange Sicht zu erreichen. Aber natürlich nur um den Preis erheblicher Kursschwankungen, die immer wieder zu Frust, Stress und Phasen der Angst führen. Anders als in den Märchen gibt es keine magischen Wundermittel für mehr Rendite ohne Nebenwirkungen. Ehrlich mit sich selbst zu sein, ist letztlich das Ziel der Übung. Ein erfülltes Leben ohne den Osterhasen und die Zahnfee ist schliesslich auch möglich, wie die allermeisten Kinder bald herausfinden.


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