15.06.2018

Momentum über alles

An der Börse ist mal wieder eine neue Ära ausgebrochen, in der nur noch das Momentum zählt und die zunehmend passiv investierende Anlegerherde ihr Geld in dieselben Technologie-Titel steckt. Der Trend dauert schon so lange an, dass ihm kaum noch Investoren widerstehen können. Doch genau deshalb ist eine Trendwende näher, als es scheint.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

Entweder man hat sie, oder man hat sie nicht… im Portfolio gehabt, die heissen FANG-Aktien (Facebook, Amazon, Netflix und Google). Seit Jahren schlagen die Tech-Giganten den Markt und katapultierten am 6. Juni den Nasdaq-Index auf ein neues Allzeit-Höchst. Im Schnitt liegen die FANG seit Jahresanfang mit 37% im Plus gegenüber einer Rendite von mickrigen 3% im breiten MSCI-World-Index.

Das Momentum dieser Aktien ist so stark, dass sie praktisch im Alleinzug für die Überlegenheit vieler Momentum- und Tech-Fonds in den letzten Jahren verantwortlich sind.

Auf der anderen Seite gehören Value und andere Anlagestrategien seit Jahren zu den Verlierern. Der Russell-1000-Value-Index hat in 10 der letzten 11 Jahre schlechter abgeschnitten als seine Growth-Variante. Kein Wunder, halten viele Value-Anleger den Druck nicht mehr aus und werfen mehr und mehr das Handtuch. «Traditionelle Value-Stile zum Kauf billiger Aktien liegen schon so lange im Elend… unser Ansatz hat sich verändert», fasste etwa ein Portfolio-Manager von Blackrock gegenüber dem «Wall Street Journal» den Zeitgeist zusammen.

So liest man denn auch diese Tage nicht nur bei grossen Fondshäusern, die sich immer gerne nach der Anlegermode richten, sondern auch kleineren Value-Boutiquen immer mehr Rechtfertigungen und teils abenteuerliche Berechnungen, wieso die FANG-Titel eben auch unterbewertet seien und in ein Value-Portfolio gehörten.

Die heutige Situation gleicht damit in vielerlei Hinsicht jener zur Jahrtausendwende, als nach der phänomenalen Hausse der 1990er Jahre der Value-Stil als überholt galt und alle geblendet waren vom Glamour der Aktien aus der damals boomenden Technologie- und Telecom-Branche – und natürlich vor allem angezogen von ihrer fantastischen Kursentwicklung in der Vergangenheit. Bis zum Platzen der Nasdaq-Blase im März 2000 war es dann nicht mehr weit.

Natürlich gibt es wie bei jeder Spekulationsblase gute fundamentale Gründe für den Höhenflug eines Marktsegments. Das Wachstum, die Marktdominanz und die hohen Margen der Tech-Giganten waren und sind beeindruckend. In den letzten 12 Monaten war das Umsatzwachstum des Tech-Sektors im Schnitt doppelt so hoch wie dasjenige des Gesamtmarktes. Die Free-Cashflow-Margen steigen seit 15 Jahren, getrieben vom Outsourcing der kapitalintensiven Hardware-Produktion nach Asien.

Doch das alles sind Trends der Vergangenheit, die sich nicht beliebig lange in die Zukunft fortsetzen lassen. Eine erste Ernüchterung sollte der Blick auf die aktuelle Rangliste der weltgrössten Firmen nach Marktkapitalisierung bringen:

  1. Apple                              935 Mrd. Dollar
  2. Amazon                         816 Mrd. Dollar
  3. Alphabet                       784 Mrd. Dollar
  4. Microsoft                      775 Mrd. Dollar
  5. Facebook                      550 Mrd. Dollar
  6. Alibaba                           528 Mrd. Dollar
  7. Tencent                         509 Mrd. Dollar

Sieben der Top Ten der Börsenschwergewichte werden heute von amerikanischen und chinesischen Technologie- und E-Commerce-Titeln besetzt. Dahinter folgen Abgeschlagen die alten Industrievertreter mit Berkshire Hathaway, JP Morgan und ExxonMobil.

Ein Platz unter den Top Ten ist oft mehr Fluch als Segen

Erfahrene Anleger wissen jedoch, dass ein Platz unter den weltgrössten Firmen oft mehr Fluch als Segen darstellt und eine mögliche Überbewertung eines Titels anzeigt. Auf dem Höhepunkt der Rohstoff-Blase im Frühjahr 2011 etwa besetzten Rohstoffwerte wie ExxonMobil, PetroChina, BHP und PetroBras die Spitzenplätze. Apple und Microsoft waren die einzigen Tech-Titel unter den Top Ten. Im Frühjahr 2007 vor der Finanzkrise waren dagegen mit Citigroup, Bank of America und ICBC drei Banken unter den zehn grössten Firmen der Welt. Oder vier, wenn man das damalige Finanzkonglomerat General Electric auch noch dazu zählen will.

Neben der relativ gesehen zu grossen Beliebtheit, welche ein Platz unter den Top Ten oft anzeigt, besteht meistens aber auch absolut gesehen ein Problem. Mehr als 500 Milliarden Dollar Börsenwert nochmals zu verdoppeln oder zu verdreifachen ist kein Pappenstil. Entweder müssen die schon hohen Free Cashflows nochmal markant gesteigert werden oder die Bewertung der Aktien steigt in noch luftigere Höhen.

Bei Facebook und Google machen Anleger einen fundamentalen Denkfehler

Das praktische Problem der absoluten Grösse lässt sich wohl am besten am Beispiel der beiden Internet-Werbegiganten Facebook und Alphabet (Google) illustrieren. Beide Titel sind auf den ersten Blick nicht wahnsinnig teuer, ihre Bewertung lässt sich mit aktuellen Free Cashflows und weiter schönen Wachstumsraten einigermassen rechtfertigen. Sie besitzen daher einen realen Bewertungsanker, im Gegensatz zu rein auf Grund von Zukunftsfantasien hoch gejubelten Titeln wie Amazon oder Netflix.

Doch darum zeigt sich deutlich, wo Anleger einen fundamentalen Denkfehler machen. Google und Facebook zusammen kontrollieren derzeit 61% des globalen Online-Werbemarktes. 2017 hat Online-Werbung das Fernsehen als grössten Werbemarkt verdrängt. Rund 40% aller globalen Werbung wird nun Online geschaltet.

Quizfrage: Um wie viel Prozent kann der Werbeumsatz von Facebook und Google maximal noch wachsen? Die Antwort lautet 300%, wenn die beiden Firmen zusammen 100% des Werbemarktes kontrollieren und alle Werbung nur noch digital abläuft. Das realistische Maximum liegt wohl bei 100% Zuwachs: Dies entspräche bei gleichbleibenden dominantem Marktanteil von 61% einer Durchdringung des Werbemarktes von 80% Online. Ein paar Krümel werden auch in 10 oder 20 Jahren wohl noch für Print- und TV-Werbung übrig bleiben. 

Die Wachstumsaussichten dieser Titel waren noch nie so schlecht

Maximal 100% Umsatzwachstum über die nächsten Jahre sind keine grandiosen Aussichten mehr. Die Anleger kaufen die Wachstumsstories, weil sie ihre Umsätze verzehnfachen konnten von 2.5% auf 25% Anteil am globalen Werbekuchen. Der Kuchen selbst wächst nur moderat mit der Weltwirtschaftsleistung. Eine weitere Verzehnfachung liegt nun nicht mehr drin. Das bedeutet, die Börsenwerte von Google und Facebook sind genau heute am höchsten, wo ihre Wachstumsaussichten so schlecht sind wie noch nie zuvor. All die übrigen Geschäftsfelder der beiden Firmen bleiben im Vergleich zu den Werbeeinnahmen auf absehbare Zeit völlig unbedeutend.

Bei Netflix und Amazon dagegen gibt es gar keinen Bewertungsanker mehr. Die Aktien werden auf Basis ihrer Umsatz- und Abonnentenzuwächse gehandelt. Das Motto lautet: Geld verdienen zählt nicht, es geht nur um Marktanteile und Wachstumsmomentum. So lange der Markt dafür billiges Kapital zur Verfügung stellt – sei es über tiefe Zinsen oder hohe Aktienbewertungen – ist dies kein Problem, sondern eine selbsterfüllende Prophezeiung. Doch irgendwann kommt erfahrungsgemäss wieder eine Phase, wo Kapital knapper wird und Anleger Resultate sehen wollen. Dass war nach der Milleniums-Technologieblase nicht anders.

Steigende Zinsen oder eine neue Kreditkrise könnten deshalb ein Faktor sein, welcher das Momentum der FANG-Aktien bricht. Andere mögliche Szenarien sind etwa schrumpfende Margen durch neue globale Handelskriege oder regulatorische Einschränkungen. Die stark steigenden Kapitalinvestitionen der Tech-Titel sind ebenfalls eine Bedrohung für ihre hohen Free-Cashflow-Margen.

Welcher Auslöser das Momentum der übermächtig erscheinenden Tech-Giganten letztlich bricht, lässt sich nicht voraussagen. Bis heute ist auch unklar, wieso die Tech-Blase an der Nasdaq genau im März 2000 ihr Ende fand. Irgendwann war das Kursmomentum erschöpft, die Schwerkraft durch hohe Bewertungen zu gross, die Zinsen nach Jahren der geldpolitischen Straffung zu hoch und der Wirtschaftsboom erlahmt. Alles Umstände, die der heutigen Situation nicht unähnlich sehen.

Fazit für Investoren: Der Wachstumsschub und die Kursgewinne der Tech-Giganten über die letzten Jahre waren fantastisch. Gratulation allen Anlegern, die davon profitieren konnten. Wir waren nur am Rande mit ein paar kleineren Tech-Titeln und dem Sonderfall Apple dabei, für die sich ein gutes Value-Argument machen liess. Natürlich schwingt da bei der Kritik an den FANGs immer auch ein Hauch Enttäuschung über das Verpasste mit. Doch es geht letztlich immer um die Zukunft, nicht das Investieren mit dem Rückspiegel.

Wann genau die Trendwende kommt, kann niemand wissen. Doch ich denke, es gibt gute Argumente dafür, jetzt nicht mehr auf den fahrenden Zug aufzuspringen beziehungsweise bestehende Gewinne in diesen Titeln zu realisieren. Vorsicht ist zudem bei passiven Investments mit Gewichtung nach Marktkapitalisierung angebracht.


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