19.07.2018

Direkt ins Herz des Aktienbooms

Schlag auf Schlag taumelt die Welt in einen globalen Handelskrieg, in dem es fast nur Verlierer geben kann. Der Boom der Unternehmensgewinne in den letzten 25 Jahren hängt direkt mit der Globalisierung der Industrieproduktion und ihrer Zulieferströme zusammen. Einer der grössten Verlierer eines Handelskrieges könnte ironischerweise der momentan als unbesiegbar angesehene US-Technologiesektor sein.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

Die Märkte reagierten erstaunlich gelassen auf das Säbelrasseln und die ständig neuen Drohungen der Grossmächte. Die Aussicht auf einen globalen Konflikt kümmerte die Finanzmarktakteure kaum, wie man an den Kursen ablesen konnte. Doch dann eskalierte das Geschehen sehr schnell, damals, in der letzten Juli-Woche 1914. Was folgte, war der 1. Weltkrieg, mehr als 10 Millionen Tote, das Ende des freien globalen Kapital- und Personenverkehrs sowie der Niedergang des Goldstandard-Systems der Währungen samt Hochinflation. Wie der Historiker Niall Ferguson in einer Studie zeigen konnte, hatten die damaligen Börsen die kommende Katastrophe in keinster Weise vorweg genommen.
Mit Parallelen der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts zu unserer heutigen Zeit mit drohenden Handelskriegen muss man vorsichtig sein. Doch es ist schon erstaunlich, wie gelassen die Finanzmärkte derzeit auf ständig neues Twitter-Säbelrasseln des amerikanischen Präsidenten und angedrohte Zoll-Gegenschläge der US-Handelspartner reagieren. Was kümmern mich ein paar Strafzölle auf Cheddar-Käse und Sojabohnen, mag sich mancher Investor fragen?

Bis jetzt handelt es sich mehr um ein paar Scharmützel als um einen echten globalen Handelskrieg. Doch der neuste Schlagabtausch in Form von US-Strafzöllen auf 34 Milliarden Dollar an Importen aus China und der folgende Gegenschlag Chinas zielt nun auf das Herz des seit Jahren laufenden Aktienbooms: Die Globalisierung der Supply-Chains der Grosskonzerne.

Der Gewinnboom fand nur im Industriesektor statt

Wie «Empirical Research» zeigen konnte, geht der fabelhafte Boom der Reingewinn-Margen der US-Unternehmen allein auf den Industriesektor zurück. Dort haben sich die Margen in den letzten 25 Jahren fast verdreifacht. Für alle übrigen Unternehmen liegen Profitspannen dagegen heute nicht höher als 1992 oder gar 1952.

Technologie- und Kapitalgüter-Konzerne waren die Hauptprofiteure der Globalisierung. Neben billigen Arbeitskräften waren es vor allem auch das billige, lokal verfügbare Kapital aus Schwellenländern wie China, welche dem Outsourcing der Produktion Vorschub leistete. Asiatische Investoren geben sich seit langer Zeit mit viel tieferen Renditen auf ihrem Eigenkapital zufrieden als amerikanische. Dies führte insbesondere zu der rückläufigen Intensität der Kapitalinvestitionen der US-Industrieunternehmen, welche hinter dem Boom von Free Cashflows und Reingewinnen steht.

Der Hauptteil der US-Importe aus China sind nun Technologie- und Kapitalgüter. China hat sich längst vom Billiglohn-Land zu einem Anbieter für höherwertige Industrieprodukte wie Halbleiter-Chips hochgearbeitet. Schon die ersten mit Zöllen belegten 34 Milliarden Dollar an Handelsgütern treffen damit direkt die Zuliefererkette amerikanischer Unternehmen. Nicht selten sind ihre ausländischen Tochtergesellschaften das Ziel von Trumps Strafzöllen und nicht etwa chinesische Unternehmen.

Eine weitere Eskalation des Handelskriegs bis hin zu den von Trump angedrohten Strafzöllen auf 500 Milliarden Dollar an Gütern, also den gesamten Handelsverkehr mit China, wird unweigerlich den US-Industriesektor am härtesten Treffen. Er trifft damit ironischerweise den führenden Sektor in Sachen Kursmomentum an den Börsen (vgl. Quantex Werte Juni 2018).

Soweit muss es natürlich nicht kommen. Der Markt setzt ganz offensichtlich auf einen baldigen Waffenstillstand und neue Friedensgespräche zwischen den Akteuren im Handelskrieg. Das ist wohl immer noch das wahrscheinlichste Szenario, dass bald Vernunft einkehrt. Natürlich warnen auch praktisch alle führenden Ökonomen vor der Unvernunft eines globalen Handelskriegs und seinen verheerenden Folgen für die Weltwirtschaft und das Finanzsystem.

Der Sieg der Vernunft ist nie garantiert

Doch das alles darf für Anleger kein Grund sein, sich in falscher Sicherheit zu wiegen. 1910 war «The Great Illusion» des Intellektuellen Norman Angell ein internationaler Bestseller. Der Journalist legte darin überzeugend dar, wieso allein schon die wirtschaftlichen Kosten eines Krieges zwischen den Grossmächten viel grösser seien als alles, was sie dadurch je gewinnen könnten. In Deutschland erschien das Buch denn auch unter dem Titel:  «Die falsche Rechnung. Was bringt der Krieg ein?» In Grossbritannien löste das Buch sogar eine neue, auf Rationalität begründete Friedensbewegung aus. Vier Jahre später, im Juli 1914, zerbröselte die Vernunft in einer Spirale aus Drohungen und Gegendrohungen, Schlägen und Gegenschlägen und das Unheil nahm seinen Lauf.

Fazit für Investoren

Wie bei der Auswahl von Einzeltiteln gilt es auch im grossen Ganzen, immer das Beste zu hoffen und sich dennoch mental auf das Schlimmste vorzubereiten. Zum ersten Mal seit 25 Jahren ist das Herz des Globalisierungsbooms bedroht und alles, was damit zusammenhängt, also auch anhaltend tiefe Inflation und tiefe Zinsen. Die ohnehin hohen Bewertungen im Tech- und Industriesektor entschädigen nicht für die nun fast täglich steigenden Risiken. Dafür gibt es auf der anderen Seite wenig von einem Handelskrieg betroffene Sektoren wie Gesundheit, dessen Bewertung interessanterweise vergleichsweise tief liegt.


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