25.03.2020

Investieren im Ausnahmezustand

Unbekannte Gefahren verunsichern die Menschen besonders stark. Doch die historische Erfahrung lehrt auch, dass man sich rasch an Vieles gewöhnen kann: Kriege, Seuchen, Versorgungsknappheit. Ein Börsencrash ist da ein vergleichsweise geringes Problem, das immer auch neue Chancen bietet.

Tatsächlich haben die Kursverwerfungen in unseren Augen zu den grössten Fehlbewertungen einzelner Aktien seit Langem geführt. Der pauschale Abverkauf ganzer Länder- und Sektorindizes eröffnet uns als Stockpickern das interessanteste Anlageuniversum seit dem schicksalhaften Jahr 2008.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

Aus unserer Sicht als Value-Investoren liegt das Schlimmste bereits hinter uns: Ein seit Jahren gleichförmig steigender Markt, in dem Fundamentaldaten und Bilanzen eine geringe Rolle spielten und ein paar wenige amerikanische Techgiganten alle anderen Aktien und Märkte weit hinter sich liessen. Jetzt wird eine gründliche Finanzanalyse und der Fokus auf eine Sicherheitsmarge wieder mehr zählen als eine schön erzählte Wachstumsstory.

Dennoch sollte die Tragweite der aktuellen Ereignisse nicht unterschätzt werden. Das Coronavirus strapaziert nicht nur die Gesundheitssysteme bis an die Grenzen, sondern auch die Finanzmärkte. In nur 17 Tagen erreichte der US-Markt die Verlustschwelle von 20%, die den Start einer Baisse markiert. Das ist ein neuer trauriger Rekord. In Sachen Geschwindigkeit und Heftigkeit des Beginns der Baisse ist die heutige Entwicklung nur noch mit 1929 zu vergleichen.

Es ist jetzt schon absehbar, dass die wirtschaftlichen Folgen des Virus wie auch des Crashs an den Börsen weitreichend sind. Es handelt sich nicht nur um einen leichten Schnupfen. Das eigentliche Problem ist nicht der temporäre Rückgang der Umsätze im Dienstleistungssektor. Eine Erholung der aufgestauten Nachfrage ist über kurz oder lang fällig. Doch welche Firmen überleben bis dahin, um sie bedienen zu können?

Das erste grosse Problem ist die hohe Verwundbarkeit vieler Unternehmen durch ihre rekordhohe Verschuldung. Dieses Problem ist durch die überaus lockere Geldpolitik der Notenbanken entstanden, die seit der letzten Krise von 2008 nie wirklich beendet wurde (vgl. SpectraNews #50 vom März 2020). Auch viele Privatpersonen haben sich für Häuserkauf und Konsum überschuldet, angezogen von der Verlockung der billigen Kredite. Nun sind sie schlecht gerüstet für drohende Lohneinbussen oder Jobverluste.

Das zweite grosse Problem sind die politischen Folgen, die aus der laufenden Krise entstehen können. Schon seit geraumer Zeit ist ein Trend zu Deglobalisierung statt Freihandel und internationaler Konfrontation statt Kooperation angelaufen. Der Handelskrieg zwischen den USA und China oder der Brexit waren die ersten markanten Vorboten dieses Trends. Nun wird die persönliche Reisefreiheit durch den Coronavirus massiv eingeschränkt. Zwist und Misstrauen zwischen den Ländern wachsen damit zwangsläufig. Die Schliessung der Grenzen und wirtschaftliche Selbstversorgung sowie das Zurückfahren der globalen Supply Chains sind akute Themen, die auch nach einem Ende der Pandemie nicht so schnell verschwinden werden.

Nicht ohne Grund: Es besteht ein inhärenter Widerspruch zwischen maximaler betriebswirtschaftlicher Effizienz und einer Sicherheitsmarge für Notlagen. Der Philosoph Nassim Taleb spottet gerne, dass ein von Ökonomen designter Mensch nur eine Niere und einen Lungenflügel hätte. Redundanz und Vorratshaltung sind schliesslich Kostenfaktoren.

Ebenso berechtigt ist der beträchtliche Unmut in weiten Teilen der Bevölkerung, der sich bereits vor dem Ausbruch des Virus breitmachte. Die Politik des billigen Geldes und der Assetkäufe waren ein Segen für Besitzer von Vermögenswerten wie Aktien und Immobilien – aber dem gewöhnlichen Lohnempfänger brachten sie nichts.

Während sich die Anleger an den Finanzmärkten bald einmal an die Kursturbulenzen und die schlechten Nachrichten gewöhnen werden und damit etwas Ruhe einkehrt, wird die Rückkehr zur Normalität in der Realwirtschaft und Politik wohl noch länger auf sich warten lassen.

«Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos.» Deutsches Sprichwort

Die letzten zehn Jahre waren für die meisten Value-Investoren schon miserabel. Der Quantex Global Value war einer der ganz wenigen Value-Fonds, welche die gängigen Benchmarks in der vergangenen Dekade überhaupt noch schlagen konnten.

Die letzten drei Wochen des Corona-Crashs waren für Value der blanke Horror: Gemäss den bis 1952 zurückreichenden Auswertungen von Empirical Research war die relative Performance des günstigsten Fünftels aller Aktien schlechter als in mehr als 99% aller Beobachtungsperioden. Das bedeutet, günstige Aktien fielen frappant schneller als der Markt. Gleichzeitig machte der Markt bis vor kurzem auch kaum einen Unterschied zwischen Unternehmen mit schlechten und solchen mit guten Bilanzen, wie wir sie bevorzugen.

Insofern sind wir mit unserer Fondsperformance seit Beginn der Korrektur am 20. Februar einigermassen zufrieden: Den Bloomberg World Index konnten wir um 0.3 Prozentpunkte leicht schlagen, den MSCI World deutlicher um 3.2 Prozentpunkte und den MSCI World Value um 5.2 Prozentpunkte.

Die Valuation Spreads, also die Bewertungsunterschiede zwischen dem günstigsten Fünftel und dem Durchschnitt des Gesamtmarkts, befinden sich nun in den USA mehr als drei Standardabweichungen über ihrem langfristigen Mittel (siehe Grafik unten).

Wie die Grafik zeigt, waren die Bewertungsunterschiede nur während der Finanzkrise von 2008 und des Ölschocks von 1974 für kurze Zeit grösser. Auch in allen anderen wichtigen Aktienmärkten liegen die Valuation Spreads mehr als zwei Standardabweichungen über dem Mittel.

Dies geschieht per Definition relativ selten. In sieben von sieben vorherigen Fällen mit Valuation Spreads über diesem Niveau folgte in den nächsten zwölf Monaten eine starke Outperformance der günstigsten Aktien. Im Durchschnitt schlugen Value-Titel darauf den Markt um satte 30 Prozentpunkte!

Wahrscheinlich geht es Ihnen mittlerweile wie den meisten Anlegern und Sie mögen das Gerede von einem Value-Comeback nicht mehr hören – oder sind zwar noch im Herzen Value-Investor, aber glauben nach einem Jahrzehnt der Frustration nicht mehr wirklich an die Trendwende. In schwachen Momenten fühlen wir ähnlich.

Die Grafik zeigt aber auch eindeutig, dass in all den Jahren seit der Finanzkrise nie ein so extremer Wert bei den Valuation Spreads erreicht wurde. Theoretisch könnten die Bewertungsunterschiede wie 2008 noch über fünf Standardabweichungen klettern. Dies würde weitere Underperformance für die günstigsten Aktien bedeuten. Solche extremen Perioden waren aber in der Vergangenheit immer sehr kurz und führten zu einer umso heftigeren Gegenbewegung zu Gunsten von Value.

Das Chance-Risiko-Verhältnis hat sich in den letzten drei Wochen dramatisch zu Gunsten von billigen, mehrheitlich zyklischen Aktien verschoben. Es macht deshalb Sinn, darauf zu setzen.

Bereits vergangenen Freitag haben wir unsere Cashreserven verwendet und sind nun voll investiert. Unsere neusten Käufe erfolgten in stark gefallenen zyklischen Sektoren wie Bergbau, Uhren oder Häuserbau (siehe Grafik unten). Unsere Watchlist ist voll mit interessanten Titeln und wir haben nach dreijähriger Durststrecke endlich wieder die Qual der Wahl bei der Titelselektion.


Sektorallokation Quantex Global Value Fund

Die grösste Herausforderung beim Auswählen von günstigen Aktien wird es sein, die schlimmsten Value Traps zu vermeiden. Diesbezüglich haben wir aus dem holprigen Start des Fonds in der Finanzkrise von 2008 einige Lektionen verinnerlicht. Ganz gemäss unserem Motto: „Winning by not Losing“ kaufen wir zyklische Titel mit hohem operativem Hebel nur, wenn sie über eine kerngesunde Bilanz verfügen und möglichst ganz schuldenfrei sind.

Ausserdem machen wir uns ständig darüber Gedanken, ob ein Unternehmen nur ein temporäres Problem mit dem Virus hat oder ob es in permanentem Niedergang begriffen sein könnte. Nüchtern betrachtet, werden viele heute sehr günstige Sektoren wie Einzelhandel, TV-Sender oder Kreuzfahrten wohl nie wieder ihr altes Gewinnniveau erreichen oder sind endgültig dem Untergang geweiht. Auch der massiv gefallene Ölsektor steht vor einem entscheidenden Umbruch.

Wir setzen auf "Hard Value"

Unsere neusten Zukäufe und die meisten Titel auf der Watchlist stammen deshalb nicht aus dem „weichen“ Dienstleistungssektor, sondern eher aus der Kategorie „Hard Value“ wie Bergbau oder Häuserbau.

Viele geschockte Anleger wie auch Bürger wünschen sich derzeit nichts mehr als eine Rückkehr zur Normalität. Bereits jetzt zeichnet sich jedoch ab, dass die neue Normalität eine andere sein wird als die alte. Sei es, was das Leben mit der Gefahr neuer Viruswellen angeht, oder sei es, was die extremen fiskalischen und geldpolitischen Massnahmen zur Stützung der Wirtschaft betrifft. Für uns als Investoren ist das eine grosse Chance, mit gründlicher Analyse und Stockpicking wieder wettzumachen, was uns die letzten drei Jahre an gleichförmigem Momentum-Markt gekostet haben.


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