12.05.2020

Die Horde der Virus-Zombies

Als Reaktion auf die schwere Krise pumpen die Behörden derzeit Geld in noch nie dagewesenem Ausmass in die Wirtschaft. Was gut gemeint ist, wird zu zahlreichen neuen Risiken und Nebeneffekten führen und droht, die Erholung zu verschleppen. Ein Sektor voll mit untoten Zombie-Firmen ist ein Sektor ohne Wachstum und Profite. Dies hat Konsequenzen für die Aktienselektion.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

In unzähligen Horrorfilmen und Computerspielen gibt es den Moment, an dem die Toten eines mysteriösen Virus als Zombies auferstehen und den Lebenden die Hölle heiss machen. Der Corona-Virus hat sich auch ohne dieses Horrorfilm-Klischee zu einem veritablen Alptraum für die Menschheit entwickelt.

Der Rückgang der Wirtschaftsleistung und der Anstieg der Arbeitslosigkeit werden dieses Jahr an die negativen Rekorde aus der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre herankommen oder diese unrühmlich übertreffen. Nur der Aktienmarkt spielt gerade den Part des unbekümmerten Opfers, das von den heranpirschenden Zombies in seinem Rücken wenig mitbekommt.

In der Realwirtschaft dagegen entsteht eine gewaltige Horde an Zombie-Firmen, genährt von den eifrigen Rettungsaktionen der Notenbanker und Regierungen. Wie in den Horrorfilmen werden die Untoten den aus eigener Kraft überlebensfähigen Firmen auf Jahre hinaus das Geschäft vermiesen.

Bereits vor der Corona-Krise war öfters von Zombie-Firmen die Rede, die eigentlich nach der letzten Finanzkrise hätten Pleite gehen sollen und nur mit dem billigen Geld der Notenbanken am Leben gehalten wurden. Viele Beobachter führten die schleppende Wirtschaftserholung in Europa seit 2008 oder auch die verlorenen Dekaden Japans seit 1989 auf genau diese fehlende Strukturbereinigung zurück.

Doch die laufenden Bemühungen der Notenbank-Nekromanten stellen alles bisher Dagewesene in den Schatten: Allein das amerikanische Fed will mehrere Tausend Milliarden Dollar in den Kauf von Unternehmensanleihen bis hinunter zu Schrottpapieren pumpen. Die Geldpumpe wird bereits jetzt viel stärker als 2008/09 betätigt.

Über das US-Finanzministerium sollen zudem indirekt Kredite an notleidende Firmen vergeben werden. Damit umgeht das Fed mit einem Winkelzug die gesetzlichen Beschränkungen zur Investition in Papiere schlechter Qualität. Hinzu kommen massive direkte staatliche Kredite und Bürgschaften zu Gunsten von Unternehmen in den meisten Industrieländern wie der Schweiz oder Deutschland.

Dies alles ist wohl weitgehend gut gemeint: Was ist so schlimm daran, notleidenden Firmen zur Überbrückung eine Geldspritze zu geben bis zu der Zeit nach den Virus-Lockdowns?

Wenn Unternehmen am Leben gehalten werden, die eigentlich sterben sollten, führt dies zu zwei Problemen: Die eine Seite ist ein moralisches Problem, es geht um den schon 2008 vielzitierten «Moral Hazard». Wenn die Eigentümer und Manager eines Unternehmens nicht dafür bestraft werden, dass sie unvorsichtig gewirtschaftet und sich zu viele Schulden aufgeladen haben, wieso sollte sich dann je etwas daran ändern? «Kapitalismus ohne Konkurse ist wie Christentum ohne Hölle», sagte einst treffend der CEO der später gescheiterten Eastern Air Lines.

Nach der letzten Finanzkrise war die Empörung gross darüber, dass die geretteten Banken weiter fette Boni fürs Management verteilten und ihre Gläubiger ohne Schaden davonkamen. Zwölf Jahre später sind wir wieder am selben Punkt, nur ist alles noch viel schlimmer: Die Verschuldung der Unternehmen in Relation zur Wirtschaftsleistung ist wegen des Moral Hazard weiter gestiegen und übertrifft den Stand von 2008 bei weitem.

Gerne geht vergessen, dass ein Bankrott nicht automatisch bedeutet, dass alle Angestellten ihren Job verlieren und die Firma vom Erdboden verschwindet. Der Konkurs bewirkt lediglich eine Restrukturierung der Eigentümerverhältnisse und eine Anpassung der Kostenstruktur. Natürlich sträuben sich Management und Kapitalgeber dagegen und malen gerne düstere Bilder von Entlassungswellen und Systemkollaps an die Wand. Sie lobbyieren damit primär in eigener Sache.

Das praktische Problem der Zombie-Wirtschaft

Doch es gibt auch ein anderes Problem: Eine Branche voller Bailout-Zombies ist eine Branche ohne Profite. Man braucht nur Investoren in Bankaktien zu fragen, ob sie mit ihren Investments seit den massiven Rettungsaktionen der letzten Finanzkrise glücklich wurden.

Das praktische Problem besteht bei jedem Bailout darin, dass ein laufender Strukturwandel aufgehalten wird. Ölproduzenten oder Shopping Center waren schon vor Corona im Niedergang begriffen. Andere Sektoren wie Airlines, Hotels und Restaurants müssen sich wegen der Krise auf eine neue Welt einstellen.

Zum Beispiel ist es jetzt schon offensichtlich, dass die Welt der Airlines nicht mehr so bald dieselbe sein wird wie vor dem Virus. Videokonferenzen ersetzen Business-Trips, Ferien in den Bergen den Flug in die Karibik. Reisebeschränkungen und Zwangsquarantänen bei der Einreise verhindern, dass sich daran so bald etwas ändert. Zumindest, bis ein Impfstoff oder Medikament gegen den Virus gefunden und der Mehrheit der Weltbevölkerung verabreicht wurde.

Alle Airlines weisen deshalb nicht nur aktuell, sondern auch mit Blick auf die Zeit nach den ersten Lockerungen massive Überkapazitäten an Flugzeugen und Personal aus. Die Marktlösung für dieses Problem ist so einfach wie brutal: Die schwächsten Airlines gehen Pleite und müssen abbauen, die Überlebenden haben dafür in der Erholung mehr Preismacht.

Wenn nun aber jede Regierung «ihre» Airline mit Finanzspritzen rettet, findet keine richtige Strukturbereinigung statt. Bereits 85 Milliarden Dollar wurden dem Sektor versprochen. Anhaltende Überkapazitäten und fehlende Preismacht sind die logische Folge.

Wie soll etwa eine an sich gesunde und hoch profitable Airline wie Ryanair gegen die ewigen Zombie-Konkurrenten bestehen können? Wenn zu viele staatlich gestützte Flieger keine Gewinne machen müssen, wie soll es dann anderen Akteuren möglich sein? Ist der Lohn für sparsames Wirtschaften und eine gute Bilanz, dass man auch nach der Krise weiter gegen die alten Zombies ankämpfen muss?

Statt mit der grossen Kelle Geld zu verteilen und alte Strukturen zu erhalten, würden die Regierungen besser in die Zukunft investieren und den Arbeitnehmern mit Direktzahlungen und Subventionen Zeit geben, sich den neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Vereinfacht gesagt: Der Staat würde wohl besser dafür schauen, dass Flugbegleiterinnen zu Pflegefachfrauen umgeschult werden können und Ölbohrtechniker zu Windrad-Monteuren.

Rettungsgelder für Private Equity statt Arbeitnehmer

Stattdessen werden einmal mehr die Kapitalgeber gerettet, die sich verspekuliert haben. Gerade die Private-Equity-Fonds, die ihre Firmen jeweils zwecks Cash-Ausschüttung bis zur Schmerzgrenze mit Schulden beladen, können Fed-Chairman Powell laut Danke sagen. Denn unter den schlechten Schuldnern am Markt für Anleihen und Leveraged Loans finden sich besonders viele Private-Equity-Vehikel. Zufälligerweise ist Powell selbst ein ehemaliger Private-Equity-Mann. Und so rüsten sich seine alten Spezis bereits wieder, um mit neuem billigen Geld weitere Übernahmen zu tätigen und ihren Firmen den letzten Tropfen Cash abzupressen. Viele Pensionskassen, die gerne über «Nachhaltiges Investieren» am Aktienmarkt schwadronieren, machen bei diesem Private-Equity-Reigen unbekümmert mit.

Werden marode Strukturen und Überkapazitäten erhalten sowie unkluge Kapitalallokation belohnt anstatt bestraft, so darf man sich nicht wundern, wenn die Erholung der Wirtschaft aus der Krise äusserst schleppend verläuft.

In früheren Zeiten kam es öfters zu schweren Konjunktureinbrüchen. Die wirtschaftliche Erholung ging nach der Strukturbereinigung aber jeweils auch sehr schnell vonstatten in Form eines steilen V.

Das Zeitalter der Vollkasko-Geldpolitik

Seit im 20. Jahrhundert die Mentalität der Vollkasko-Geldpolitik um sich griff, sind Wirtschaftskrisen relativ selten, dafür aber heftig und die Erholungsphasen äusserst langwierig. Die Grosse Depression der 1930er Jahre dauerte über eine Dekade. Japan kämpft nach drei Jahrzehnten immer noch mit den Folgen einer 1989 geplatzten Blase. Die Erholung der meisten Länder von der Finanzkrise 2008 war auch erst nach ungefähr acht Jahren abgeschlossen und stand bis zuletzt eher auf wackeligen Beinen. Alles spricht dafür, dass wir aus der laufenden Krise wiederum nur langsam und schleppend herauskommen werden. Eine weitere verlorene Dekade droht.

Fazit für Anleger

Über die moralischen Aspekte der laufenden Rettungsaktionen werden noch Unmengen an Essays und pointierten Tiraden verfasst werden. Für uns als Anleger bringt es aber letztlich wenig, sich zu sehr zu enervieren, anstatt sich der neuen Realität zu stellen. Es gilt die praktischen Konsequenzen im Auge zu behalten.

Die offensichtlichste Folge wird sein, dass es den meisten Unternehmen in von Zombies geplagten Sektoren während Jahren unmöglich sein dürfte, ansprechende Profite und Kapitalrenditen zu erwirtschaften.

Warnung vor den Zombie-Sektoren

Bei Investments in direkt vom Virus betroffenen Sektoren wie Airlines, Öl, Einzelhandel, Hotels und Restaurants sind wir deshalb sehr vorsichtig. Weil sie am meisten betroffen sind, kriegen diese Sektoren auch die meisten Bailout-Gelder – und genau das verlängert das Problem. Es ist bezeichnend, dass Value-Investor Warren Buffett kürzlich seine grossen Positionen in US-Airlines samt und sonders mit Verlust verkauft hat. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Zombie-Schrecken ohne Ende, dürfte sein Motto gelautet haben.

Das Anlageuniversum an Firmen mit guten Profitaussichten schrumpft damit und es ist kein Wunder, dass sich immer mehr Anleger auf die Aktien von ein paar wenigen vermeintlich unverwundbaren Tech-Giganten stürzen. Die Verwundbarkeit dieser Titel besteht denn auch nicht in ihrem Kerngeschäft, sondern in ihrer Grösse und hohen Bewertung. Die famosen fünf FAMAG-Aktien (Facebook, Amazon, Microsoft, Apple und Google) stellen nun bereits über 20% des US-Aktienmarkts. Damit dürften sie sich allein auf Grund ihrer Grösse kaum noch einer anhaltenden Weltwirtschaftskrise entziehen können.

Unser Fokus bei der Titelselektion liegt deshalb auf Unternehmen mit guten Bilanzen aus Sektoren, die zwar einen zyklischen Einbruch verzeichnen mögen, aber nicht einem strukturellen Wandel unterliegen. Der Bergbau gehört zum Beispiel dazu oder der Häuserbau. Ebenso mögen wir Firmen mit robusten, Virus-resistenten Geschäftsmodellen, die aus irgendwelchen Gründen unpopulär und damit noch günstig sind wie etwas Tabakaktien, Online-Casinos oder manche Pharma-Titel.

Besonders klar ist heute aber auch, dass bezüglich der zukünftigen Entwicklung der Pandemie und Weltwirtschaft keine Klarheit bestehen kann. Geschweige denn, wie sich das alles auf den Aktienmarkt, Geldpolitik und Inflation auswirken wird. Gemäss unserem Leitsatz der «Negativen Kunst des Investierens» erachten wir es deshalb für einfacher, überschuldete Verliereraktien und zombiegeplagte Sektoren zu vermeiden, anstatt die grossen Gewinner der Zukunft zu erkennen. Aus denselben Gründen mögen wir Edelmetalle. Gold ist ein Investment, dass gut zu Anlegern passt, die sich ihrer Ignoranz bewusst sind.


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