15.09.2016

Tricks für den Börsendschungel

Das menschliche Hirn ist nicht gemacht für die komplexe Börsenwelt. Die Zahl der gut dokumentierten Verhaltensfehlleistungen wächst und wächst. Doch das theoretische Wissen darüber ist von wenig Nutzen. Ein paar praktische Tricks helfen fürs Überleben im Börsen-dschungel viel mehr.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

Die Finanzmärkte sind ein gefährlicher Dschungel für den Anleger. Ein unübersichtlicher Wildwuchs von Reizen und Sinneseindrücken überwältigt das Primatenhirn: Lockende Früchte und Düfte wechseln sich mit dunklen Ecken und heimtückischen Treibsandlöchern ab. Das laute Gekreisch der Medien und Analysten überlagert alles. Und die gefährlichsten Raubtiere des Dschungels tragen Krawatte und wollen angeblich nur das Beste für ihre Kunden.

Die unendliche Fülle von Eindrücken und Informationen führt in Kombination mit den starken Emotionen – schliesslich geht es um Geld und damit um Prestige und im weitesten Sinn ums Überleben – zu zahlreichen gut dokumentierten Fehlleistungen in der menschlichen Informationsverarbeitung. Diese meist selbstschädigenden Verhaltensmuster werden „Behavioral Biases“ genannt. Mehrere Dutzend wurden in den letzten Jahrzehnten in der psychologischen und ökonomischen Forschung dokumentiert. Sie bilden zusammen mit der Entscheidungstheorie von Kahnemann&Tversky die Grundlage der noch relativ jungen Forschungsrichtung der Behavioral Finance.

Ein häufiger Fall ist etwa der Confirmation Bias, also die Suche nach Informationen, welche den bereits gefassten Entschluss bestätigen und damit ein wohliges Gefühl entstehen lassen: „In der Zeitung stand auch, dass meine Aktie ein klarer Kauf ist“. Gerade die Börsenprofis unterliegen oft dem Confirmation Bias. Er wird gerne von Analysten bedient, welche ihre zahlenden Kunden nicht vor den Kopf stossen wollen. Es erfordert eine gehörige Willensanstrengung, ihm zu widerstehen und nach abweichenden Informationen zu suchen.

Nach Jahren mit starkem Franken und boomenden Aktien- und Obligationenmärkten dürfte zudem der Home Bias in der Schweiz noch weiter verbreitet sein als ohnehin: „Ich kaufe nur Schweizer Titel, die sind am sichersten.“ Das Gefühl der Vertrautheit mit den heimischen Finanzwerten und politischen Verhältnissen schafft ein falsches Gefühl der Sicherheit. Gerne wird etwa ausgeblendet, dass die Schweizer Börse von 1978 bis zu Beginn der 1990er Jahre auf Frankenbasis gegenüber den europäischen Aktienmärkten massiv zurückgeblieben ist. Nur über die letzten zwei Jahrzehnte hat sich der Home Bias ausgezahlt.

Der gefährliche Herdentrieb

Gerade hier spielt auch der viel zitierte Herdentrieb der Anleger eine grosse Rolle: Wenn immer mehr Marktteilnehmer in Frankenanlagen flüchten, beziehungsweise sich nicht mehr ins Ausland getrauen, ergibt sich eine selbstverstärkende Feedback-Schlaufe, die schlimmstenfalls in einer riesigen Spekulationsblase enden kann. Der Ökonom Robert Shiller hat dazu einige interessante Studien verfasst.

Unter dem Strich lässt die Behavioral Finance jedoch oft mehr Fragen offen, als sie beantwortet: Der Mensch ist fehlbar – das ist keine neue Erkenntnis ausserhalb des ökonomischen Paradigmas des rationalen Handelns. Was soll ein Privatanleger damit anfangen?

Offensichtlich ist auch, dass die Finanzmarkt-Profis keine guten Führer durch den Börsendschungel sein können. Experten geben in hochkomplexen Systemen wie der Finanzwelt gemäss den umfangreichen Studien von Philip Tetlock keine besseren Prognosen ab als Laien – sie sind nur mehr von ihren Prognosen überzeugt und treten selbstbewusster auf. Im Gegenteil scheint es so zu sein, dass gerade die so genannten Profis besonders stark den erwähnten Verhaltensfehlleistungen unterliegen – oder wie soll sonst erklärt werden, dass zum Beispiel die grössten Fondshäuser keineswegs überdurchschnittliche Renditen erzielen, obwohl sie über extrem viel mehr Informationen, Personal und Computerpower verfügen als der Durchschnittsanleger.

Hilfe zur Selbsthilfe

Selbsthilfe ist also angesagt. Das Bewusstsein für die zahlreichen selbstschädigenden Verhaltensmuster der Behavioral Finance ist ein wichtiger erster Schritt, aber noch nicht die Lösung. Es ist wie bei anderen Fehlleistungen, die sich aus der menschlichen Evolution für die heutige Zeit ergeben: Wir wissen alle, dass Rauchen, Alkohol und zu viel Essen schädlich sind oder das körperliche Ertüchtigung nur Vorteile bringt. Das Problem ist nicht das Wissen darüber, sondern das alltägliche Handeln danach.

Praktische Tipps und simple Regeln bringen deshalb meist mehr als intensives Studium der Theorie. Damit lassen sich viele Verhaltensfehlleistungen zumindest etwas im Zaum halten. Eine Reihe von Tricks für das Überleben im Börsendschungel hat sich zumindest für mich in der Praxis bewährt:

1. Leiden Sie mit Aktien

Aktien sind auf lange Sicht unbestritten die beste Anlageklasse. Kaufen und Halten ist deshalb eine beliebte Empfehlung. Doch eigentlich sollte es Kaufen und Leiden heissen. Denn Leiden wird jeder Anleger mit Aktien: Crashs und Weltuntergangsprognosen, politische Wirren und Firmen oder ganze Branchen am Rande des Bankrotts machen das Investieren in Aktien zu einer emotionalen Achterbahnfahrt, auf die man sich besser mental vorbereitet. Wer über die Finanzkrise 2008 und die zahlreichen Euro-Krisen bis heute Aktien gehalten hat, kann ein Lied davon singen. Doch genau für dieses emotionale Leiden werden Anleger auf lange Sicht mit einer guten Rendite entschädigt, denn wenn es einfach wäre, Aktien zu kaufen und 10 oder 20 Jahre zu halten, würde es ja jeder machen.

Dasselbe gilt bei der Titelauswahl innerhalb des Aktienuniversums: Wer antizyklisch dorthin geht, wo es emotional weh tut, wird am meisten leiden – aber auf lange Sicht auch am meisten Erfolg haben. Investments, die emotionales Unbehagen, Angst und Gefühle von Einsamkeit oder Verlorenheit auslösen, sind meist besser und weniger riskant, als sie erscheinen.

2. Schauen Sie die Kurse nicht täglich an

Verluste schmerzen den Anleger nachweislich 2-4 Mal mehr als Gewinne von entsprechender Grösse Freude bereiten. Da sich die Börsenkurse in einem ständigen Auf und Ab befinden, führt häufigeres Hinschauen nur zu mehr Leiden, da man häufiger rote Zahlen sieht. Bestes Beispiel ist wohl das laufende Börsenjahr mit den beiden Mini-Crashes im Januar/Februar sowie nach dem Brexit-Entscheid. Wer dabei ständig auf die Kurse geschaut hat, dürfte ziemlich gelitten haben. Seit Jahresanfang befinden sich jedoch viele Indizes und Anlagefonds im Plus oder nur sehr leicht im Minus. Wer nur jedes Quartal auf die Kurse achtete, bekam kaum etwas davon mit. Stündliches oder sogar minütliches Verfolgen der Kurse ist entsprechend noch schlimmer und führt zu noch mehr Stress und emotionaler Erschöpfung. Deshalb ist es auch für Börsenprofis ratsam, den Kursbildschirm für möglichst lange Perioden nicht zu beachten.

3. Investieren Sie regelmässig

Ein stetiges Investieren, zum Beispiel über einen Fondssparplan, schaltet die Emotionen beim Timing des Einstiegszeitpunkts aus. Markt Timing ist nachweislich nicht nur sehr schwierig, sondern auch höchst stressig, schliesslich müssen jeweils Einstiegs- und Ausstiegszeitpunkte richtig erwischt werden. Nach demselben Grundsatz empfiehlt es sich, nach der Festsetzung einer angemessenen Aktienquote immer entsprechend investiert zu bleiben. Viele emotionale Fehlleistungen und letztlich potenziell fatale Anlagefehler können damit vermieden werden.

4. Kämpfen Sie gegen die Spekulationslust

Anleger zahlen gemäss Studien nachweislich einen zu hohen Preis für „heisse Aktien“, also Neu-Emissionen, populäre Tipps und generell stark schwankende, hoch zyklische und riskante Aktien. Spekulative Titel wie Biotech-Startups oder Gold-Explorationsfirmen üben einen ähnlichen Reiz aus wie Lotterielose – und sind auf lange Sicht meist ein Verlustgeschäft. Dasselbe gilt für den Handel mit Optionen und generell kurzfristiges Trading von Finanzinstrumenten. Je mehr Anleger diese Spekulationslust eindämmen können, desto höher ist mit aller Wahrscheinlichkeit ihre Rendite auf lange Sicht. Wer Mühe damit bekundet, sollte sich sonst als Ventil ein kleines und separiertes Spielgeld-Konto eröffnen, während der Grossteil des Vermögens langfristig investiert bleibt.

5. Machen Sie den Buffett-Test

Der Superinvestor Warren Buffett hat einen Grundsatz, mit dem sich die Spekulationslust ebenfalls gut eindämmen lässt: „Aktien, die man nicht  bereit ist, zehn Jahre zu halten, sollte man keine 10 Minuten besitzen.“ Mit diesem Zehn-Jahres-Test verschiebt sich der Fokus beim Anlageentscheid auf die langfristige Perspektive und die richtigen Fragen zum Kerngeschäft und dem Management eines Unternehmens. Ein Grossteil der Finanzmarktakteure ist heutzutage nur noch von einer sehr kurzfristigen Optik bis zu den jeweils nächsten Quartalszahlen getrieben. Natürlich spielt auch die Bewertung eine wichtige Rolle. Wer den Buffett-Test anwendet, kauft kaum teure Aktien, in der Hoffnung, diese bald wieder an einen „Greater Fool“ loszuwerden.

6. Machen Sie den Schwiegermutter-Test

„Würden Sie diese Aktie ihrer Schwiegermutter zum Kauf empfehlen?“ So lautet die Frage dieses Tricks – natürlich unter der Annahme, dass Sie Ihrer Schwiegermutter grundsätzlich wohlgesonnen sind. Lautet die Antwort nein, so stellt sich die Frage nach dem warum? Aktien, die man selber gerne kaufen möchte, aber der Schwiegermutter nicht empfehlen würde, haben vermutlich einen Makel oder sind sehr riskant. Selbstüberschätzung und eine zu kurzfristige Optik drohen bei Investments, die den Schwiegermutter-Test nicht bestehen.

7. Misten Sie regelmässig das Portfolio aus

Sammeltrieb und Verlustaversion führen oft dazu, dass sich die Portfolios von Investoren auf lange Sicht ähnlich mit Gerümpel füllen wie der Keller des Eigenheims. Oft behält man dann Titel, die man mit aktuellem Wissensstand nicht mehr kaufen würde. Die Forschung spricht dabei vom Dispositionseffekt: Weil man den Titel schon hat, beurteilt man ihn anders als sonst. In der Regel werden vor allem Verluste nicht realisiert, obwohl eine Kurserholung ziemlich hoffnungslos erscheinen mag. Gegen diese Wirklichkeitsleugnung  hilft die Festlegung einer Obergrenze für die Anzahl der Positionen im Depot: Ist diese erreicht, darf nur etwas gekauft werden, wenn etwas anderes verkauft wird. Damit werden Sammelwut und Spontankäufe im Zaum gehalten. Auch ein regelmässiges Ausmisten des Portfolios macht Sinn: Zum Beispiel nach dem Grundsatz, jedes Frühjahr eine Position zu verkaufen. Ob es dann ein heiss gelaufener Titel mit schönem Buchgewinn ist oder eine verdrängte Depotleiche im Keller – die Qualität des Depots verbessert sich dadurch praktisch immer.

Mit diesen sieben Tricks ist der langfristige Erfolg im Börsendschungel zwar nicht garantiert, sie erhöhen aber die Chancen, eine paar der tückischsten psychologischen Fallgruben zu vermeiden. Letztlich geht es beim Investieren darum, die eigenen Emotionen im Griff zu haben – oder zumindest manchmal zu überlisten.


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