02.07.2019

Das Spiel ohne Torhüter und das unkonventionelle Risiko

Statistische Analysen zeigen, dass Trainer im Mannschaftssport systematische Fehler begehen und lieber konventionell verlieren, als ein unkonventionelles Scheitern zu riskieren – auch wenn Letzteres höhere Siegchancen bringt. Beim Investieren begehen die Anleger oft ähnliche Fehler, besonders die Profis.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

Liegt im Eishockey ein Team im Rückstand, ist es eine gängige Taktik, den Torhüter rund eine Minute vor Schluss rauszunehmen und durch einen sechsten Feldspieler zu ersetzen. Das Risiko einer höheren Niederlage ist nach gängiger Meinung die Chance auf einen Ausgleichstreffer und damit Punktgewinn wert.

Zahlreiche statistische Analysen zeigen jedoch, dass die Trainer im Schnitt den Torhüter viel zu spät vom Feld nehmen. Die jüngste Studie von Asness & Brown (2018) kommt sogar zum Schluss, dass das Team mit einem Tor Rückstand optimalerweise den Goalie schon sechs Minuten vor Schluss ersetzen sollte. Bei einem Rückstand von zwei Toren, wäre es bei einer Restspielzeit von 13 Minuten schon Zeit für den Wechsel.

Diese rein statistisch ermittelten Zahlen widersprechen den konventionellen Gebräuchen des Sportcoachings. Auch in anderen Sportarten zeigen Auswertungen, dass die Trainer in der Praxis systematische Fehler begehen: Im Basketball werden zu wenig riskante 3‐Punkt‐ Würfe versucht oder im American Football zu wenige vierte Anläufe unternommen, um die 10‐Yard‐Marke zu schaffen.

Die interessante Frage ist diejenige nach dem Warum. Offensichtlich ist den Coaches das Gewinnen doch nicht so wichtig, wie man vermuten würde. Im Kern führen alle diese Manöver – den Goalie rausnehmen im Eishockey, Dreipunktwürfe im Basketball usw. – zu einer höheren Varianz des Spielresultats. Entweder, man holt noch auf oder aber geht mit einer noch grösseren Punktedifferenz unter.

Ein Eishockey‐Trainer, der bei einem Rückstand von 0:1 den Goalie schon sechs Minuten vor Schluss ersetzt, erhöht zwar seine Chance auf einen Punktgewinn. Gleichzeitig aber erhöht er auch seine Chance, wie ein kompletter Idiot auszusehen, wenn sein Team dann doch mit mehreren Toren Differenz untergeht. Wie andernorts gilt, dass der Fehler einer sichtbaren Entscheidung (das Team geht ohne Goalie unter) mehr Gewicht hat im Urteil der Zuschauer als ein Unterlassungsfehler (das Team lässt den Goalie zu lange drin und verliert am Schluss knapp). Den Eindruck zu hinterlassen, ein «kompetenter und verantwortungsbewusster» Coach zu sein, scheint wichtiger zu sein, als mehr Punkte am Ende der Saison zu haben.

Der Fluch des Karriererisikos

Beim professionellen Investieren gibt es ein ähnliches Karriererisiko: Ganz nach John Maynard Keynes’ Diktum ist es für die Karriere meist besser, konventionell zu scheitern, als unkonventionell nach Erfolg zu streben. Folglich ist es für einen gutbezahlten Geldverwalter durchaus sinnvoll, konventionelle und mit dem breiten Konsensus übereinstimmende Entscheide zu fällen – auch wenn damit nach Kosten eine moderate Underperformance praktisch garantiert ist. Von der möglicherweise besseren Performance eines unkonventionellen Entscheids hat der Geldverwalter wenig – es ist ja nicht sein Vermögen. Das Risiko, wegen eines solchen «riskanten» Manövers den Job zu verlieren, ist für ihn viel grösser als der potenzielle persönliche Gewinn.

Sechs Konklusionen für Investoren

Selbstverständlich wollen wir Ihnen hier keine Karriere‐Tipps geben, sondern Empfehlungen, wie der Anlageerfolg verbessert werden kann:

  1. Beim Investieren gilt es immer, das langfristige Ziel und das gesamte Portfolio im Auge zu haben. Ein einzelnes Investment mag so riskant erscheinen wie den Torhüter rauszunehmen, zum Beispiel, weil es sehr volatil ist. Es kann aber gleichzeitig gegenläufig zu anderen Anlagen korreliert sein und damit das Risikoprofil eines Portfolios verbessern. Rohstoffe und Goldminen‐Aktien sind solche Anlagen, die für sich gesehen sehr volatil und riskant erscheinen mögen, auf Portfolio‐Ebene aber eine sinnvolle Beimischung darstellen.
  2. Entsprechend sinnlos und trotzdem bei professionellen Geldverwaltern wie auch Privatkunden sehr verbreitet ist die Gewohnheit, die Entwicklung aller einzelnen Positionen eines Portfolios jeweils intensiv zu besprechen anstatt das Resultat des Ganzen. Machen Sie Ihrem Portfolio‐Manager nicht die Hölle heiss, wenn eine einzelne Position gegenläufig zum Ganzen abschmiert – besonders, wenn es sich dabei um eine unkonventionelle Anlage handelt.
  3. Die gleichen zwei Punkte gelten auf der Zeitebene: Anlagen wie Aktien erhöhen kurzfristig die Volatilität, auf lange Sicht aber ganz klar auch die Rendite. Weil jedoch gerade im professionellen Bereich die Portfolios in viel zu kurzen Zeitabschnitten analysiert werden, werden die langfristigen Anlageziele praktisch zwangsläufig verfehlt. Schweizer Pensionskassen halten zum Beispiel viel zu viele «wenig volatile» Anleihen mit Null Rendite und viel zu wenig Aktien. Damit wird sichergestellt, dass das Portfolio auf Quartalsbasis nicht zu stark schwankt und weniger riskant aussieht. Der PK‐Manager behält seinen Job. Aber auf lange Sicht ist damit auch garantiert, dass die Sparer keine gute Rendite erhalten werden.
  4. Das Eishockey‐Beispiel erklärt auch, wieso Value‐Aktien in der Regel unpopulär sind: Zum einen handelt es sich meist um angeschlagene Firmen mit offensichtlichen Problemen, die darum so günstig gehandelt werden. Zum anderen sind viele Value‐Aktien oft auch effektiv riskanter als der Marktschnitt, zum Beispiel gemessen an ihrer Volatilität. Aus dieser Problematik für konventionelle Karrieren ergibt sich, dass Value‐Titel über die lange Sicht weiter outperformen sollten – schliesslich muss der Käufer dieser Aktien für das Risiko entschädigt werden, für eine Weile wie ein kompletter Idiot auszusehen.
  5. Die inzwischen rekordverdächtig lange Underperformance des Value‐Stils könnte viel mit dem zeitgleich steigenden Druck zu konventionellem, Index‐konformem Investieren zu tun haben. So lange die Anleger ständig Geld aus aktiven Aktienstrategien abziehen und mehr in Indexprodukte investieren, sind unkonventionelle und nicht in Indizes verbreitete Aktien unter Druck. Bis zu dem Punkt, an dem der Geldfluss in passive Vehikel seinen Maximalwert überschreitet – oder aber eine breite Marktverwerfung dazu führt, dass es konventionell wird, seine Aktienanlagen runterzufahren und damit Indexprodukte zu verkaufen. Nach dieser Hypothese sollte das Value‐Comeback nach der nächsten grossen Trendwende am Aktienmarkt kommen.
  6. Bei der Auswahl eines Geld‐ oder Fondsverwalters gilt es vorsichtig zu werden, wenn dieser eine sehr konventionelle Anlagestrategie empfiehlt. Meistens wird damit nicht nur ein geringer Mehrwert geboten, sondern das effektive Risiko für die Rendite steigt sogar, wenn der Verwalter nie etwas unkonventionell riskiert. Natürlich gibt es dafür ein gesundes Mass: Es ist nicht ratsam, den Torhüter schon im ersten Drittel rauszunehmen. Aber in der Regel lohnt es sich beim Investieren, etwas unkonventioneller zu agieren, als es gemeinhin als klug gilt.

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