16.03.2021

Lektionen der Vergangenheit

Die Anzeichen verdichten sich, dass wir an einem historischen Wendepunkt an den Finanzmärkten stehen: Zinsen und Inflation könnten aus ihrem langen Abwärtstrend ausbrechen. Die Dominanz des US Markts dürfte zu Gunsten Asiens schrumpfen. Viele Anleger sind in der kurzfristigen Trendjagd gefangen und drohen, wichtige langfristige Lektionen der Vergangenheit ausser Acht zu lassen.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

Investieren, so lehrten es die letzten drei Jahre, kann so leicht sein: Man kauft einfach die Aktien dominanter Industrien im führenden Aktienmarkt der Welt und profitiert mit amerikanischen Tech-Titeln wie Apple, Alphabet oder Microsoft.

Doch ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass dies durch den Wandel der Zeiten keine erfolgversprechende Strategie war. Nach derselben Logik hätten Anleger im Jahr 1900 im damals dominanten britischen Markt vor allem Eisenbahn-Aktien gekauft, welche die Hälfte des gesamten Werts an der Londoner Börse stellten. Die Eisenbahn-Titel sind alle Pleite gegangen, wurden verstaatlicht oder sind zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. In den USA stellten die Eisenbahnen damals sogar 63% des gesamten Aktienmarkts. Ihre Überbleibsel machen heuteweniger als 1% der US-Börse aus.

Gemäss einer epochalen Studie des Credit Suisse Research Institute, lag 80% des US-Börsenwerts im Jahr 1900 in Industrien, die heute bedeutungslos oder gar ausgestorben sind. Damals befanden sich im Dow-Jones-Index unter anderem so illustre Namen wie American Cotton Oil, Pacific Mail Steamship oder U.S. Leather.

Bei langfristigen Studien zur Rendite mit Aktien ist deshalb immer ein «Survivorship Bias» enthalten: Die Zahlen gehen auf die Kursentwicklung der Unternehmen zurück, welche überlebt haben. Mit simplen Buy & Hold der Dow-Jones-Titel wäre das Resultat weniger erfreulich gewesen.

Auch auf Länderebene gab es einige dramatische Verschiebungen: Die grosse Erfolgsstory waren die USA, deren Anteil an den Weltbörsen von 15% im Jahr 1900 auf heute 56% angestiegen ist.

Langfristige Studien zur Überlegenheit des Aktieninvestments werden denn auch gerne mit Daten zum US-Markt untermauert. Doch was ist mit den Anlegern an den im Jahr 1900 gewichtigen Börsen wie Russland (6%) oder Österreich-Ungarn (5%) geschehen? Im Fall Russlands folgte nach der Oktoberrevolution der Totalverlust. Die österreichische Börse war durch Kriege und Hochinflationsphasen der schlechteste Aktienmarkt der Welt von allen Märkten mit einem kontinuierlichen Track Record über die gesamten 120 Jahre. Die britische Börse hat dagegen über das Jahrhundert massiv an Bedeutung eingebüsst, ihr Anteil am Börsenwert der Welt sank von 24% auf 4%. Der Anteil Deutschlands ging im selben Zeitraum von 13% auf unter 3% zurück.

Natürlich hat niemand einen Anlagehorizont von 120 Jahren. Doch der Blick auf die ganz lange Sicht ist nützlich, um eine Ahnung davon zu bekommen, welche Überraschungen in naher Zukunft auf uns lauern könnten. Deshalb heben wir hier vier Erkenntnisse aus der Credit-Suisse-Studie hervor, welche im aktuellen Umfeld von Belang sind:

1. Anleihen können gefährlicher sein als Aktien

Nach gängiger Lehre gelten Aktien als riskant und Anleihen als sicher. Dies beruht auf der Beobachtung, dass normalerweise Anleihen weniger im Wert schwanken als Aktien.

Die Volatilität ist jedoch aus unserer Sicht nicht das effektive Risiko einer Anlage, sondern die Gefahr von realen Kaufkraftverlusten. Aus dieser Optik können Anleihen bei stark steigender Inflation sogar gefährlicher sein als Aktien.

Der Zins ist nominal fixiert und gleichzeitig schwindet die Kaufkraft des Geldes. Nimmt man die realen, also inflationsbereinigten Renditen zum Massstab, so verzeichneten US-Anleihen im letzten Jahrhundert zwei Mal Verluste von über 50% (siehe Grafik).

Die Grafik zeigt die Verlustperioden für amerikanische Anleihen, bereinigt um die Inflation. Reale Verluste von 50% gab es im vergangenen Jahrhundert zwei Mal. (Quelle: Bloomberg/Credit Suisse)

Die Drawdowns der Bonds waren damit ähnlich schlimm wie diejenigen der Aktienmärkte, auch wenn Dividendenpapiere häufiger die Hälfte ihres Realwerts verloren. Anleger in US-Anleihen hatten allerdings noch Glück. Nur schweizerische und kanadische waren über 120 Jahre solider. In vielen Ländern, die von heftigen Inflationsschüben und Kriegen geplagt wurden, waren festverzinsliche Papiere ein totales Desaster. In Deutschland, Österreich, Italien und Japan kam es faktisch zum Totalverlust. Selbst in den Niederlanden oder dem Vereinigten Königreich mussten Anleger über eine Phase von 80 Jahren reale Verluste einstecken!

So dramatische Verlustperioden haben zwei Voraussetzungen: Erstens einen Staat, der grosse fiskalische Defizite weitgehend über die Notenpresse finanziert und so die Inflation anheizt. Und zweitens Anleihen, die nur einen tiefen Zins ausweisen, der wenig gegen die steigende Teuerung schützt. Beide Bedingungen sind heute im «Krieg gegen den Virus» erfüllt.

2. Aktien bieten nur mässigen Inflationsschutz

Aktien als Beteiligungen an Unternehmen stellen grundsätzlich Sachwerte dar und bieten deshalb in der Theorie Schutz gegen die Inflation. In der Praxis ergibt sich jedoch bei steigenden Inflationsraten das Problem, dass der Zeithorizont der Anleger verkürzt wird und damit die Bewertungen von Aktien schrumpfen. Vereinfacht gesagt, braucht jeder in der Inflation mehr Geld, um laufende Ausgaben decken zu können und verscherbelt dafür Vermögenswerte. In der Credit-Suisse-Studie über alle Märkte und Zeiträume ergab sich ein deutlich negativer Zusammenhang zwischen Inflation und den realen, also inflationsbereinigten Aktienrenditen. Ab einer Inflationsrate von 7.5%, was immerhin in einem Fünftel aller Beobachtungszeiträume erreicht wurde, begannen die realen Renditen von Aktien negativ zu werden bis hin zu -10.5% jährlich in der Hochinflation. Die Autoren der Studie heben denn auch hervor, dass Aktien zwar als Sachwerte gegenüber Papierwerten wie Anleihen einen besseren Inflationsschutz bieten. Irgendetwas sollten die Aktien auch nach einer Inflationskrise noch wert sein. Aktien sind aber keine Versicherung oder gar ein Hedge gegen die Inflation. Diese Rolle können, wenn überhaupt, eher Gold und Rohstoffe einnehmen.

3. Wachstumsbranchen sind oft keine guten Investments

Der Glaube, dass man vorzugsweise in Aktien aus stark wachsenden Branchen investieren soll, ist derzeit sehr populär. Die langfristigen Studien der Credit Suisse zeigen jedoch, dass alles davon abhängt, wie viel im Preis der neuen Industrien schon enthalten ist und ob die Firmen diese Erwartungen dann erfüllen können. Um beim Ausgangsbeispiel der Eisenbahnen in den USA zu bleiben: Dies war der Sektor mit dem grössten Bedeutungsverlust über die 120 Jahre. Trotzdem haben Eisenbahnaktien über den langen Zeitraum den Markt geschlagen – und waren ein viel besseres Investment als neue Konkurrenzindustrien wie Trucking oder Airlines, welche gesamthaft massiv stärker gewachsen sind als die Eisenbahnen.

Eine schrumpfende Industrie mit ein paar wenigen Akteuren mit starker Marktstellung ist oft besser als eine vielversprechende Wachstumsbranche, in die viel Kapital hineindrängelt.

Nach dieser Logik sollten Eisenbahnaktien oder sogar Ölaktien das lukrativere Investment sein als etwa die derzeit boomenden Titel für Elektromobilität.

4. Wachstumsländer ebenso

Auch bei der Aktienselektion werden Anleger gerne von stark wachsenden Emerging Markets angezogen. Die verbreitete Annahme, dass eine stark wachsende Wirtschaft auch gut für den Aktienmarkt ist, wurde jedoch auch in der Credit-Suisse-Studie einmalmehr widerlegt: Der Zusammenhang zwischen dem Wachstum des Bruttoinlandprodukts BIP und den realen Aktienrenditen der Länder war über die 120 Jahre sogar leicht negativ. Und dies obwohl der Anteil der Emerging Markets an den Weltaktienmärkten allein in den letzten 20 Jahren von 3% auf 14% gestiegen ist. Der Survivorship Bias ist zudem ein grosses Problem: Ehemals vielversprechende Schwellenländer wie Argentinien, Venezuela, Zimbabwe oder Nigeria entwickelten sich katastrophal.

Konklusionen für Anleger

Die sehr langfristige Perspektive der Credit-Suisse-Studie hilft, die wirklich grossen Gefahren beim Investieren zu erkennen. Ein heute übliches Anlageportfolio beruht auf drei möglicherweise fatalen Fehlannahmen: 1. Anleihen sind sicher und nützen zur Diversifikation des Aktienrisikos. 2. Aktien sind alternativlos und bieten sogar noch Inflationsschutz. 3. Aktien aus Wachstumsbranchen und -ländern sollen übergewichtet werden.

Aus unserer Sicht ist Überleben beim Investieren alles: Ein Anleger muss nicht jede Schwankung eines Marktes korrekt voraussehen oder die grossen Gewinneraktien der Zukunft finden. Sondern es geht primär darum, fatale Fehler zu vermeiden, um weiteran dem Spiel mit positivem Erwartungswert teilhaben zu können. Folglich sollte auch nicht alles auf ein, zwei Karten gesetzt werden, sondern eine breite Diversifikation auch über unpopuläre Märkte und Länder ist angezeigt: Weniger USA und Tech, mehr Emerging Markets, Japan und direkte Rohstoffanlagen.

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