28.07.2020

Folge dem Geldfluss

Schmerzhafte Betrugsfälle wie Wirecard lassen sich ganz einfach vermeiden, wenn man bei der Aktienanalyse regelmässig auf die Mittelflussrechnung schaut. Aber Zahlen interessieren in der von Stories getriebenen Anlegerwelt derzeit wenig. Dabei sind die Cashflows eines der ganz wenigen Value-Kriterien, die bei der Titelselektion immer noch funktionieren.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

Stellen Sie sich vor, Sie sind durch eine Erbschaft unverhofft in den Besitz eines kleinen Unternehmens gekommen: Zum Beispiel eine Software-Bude oder eine Firma für Zahlungsabwicklungen. Auch wenn Sie nicht viel von dem Geschäft verstehen, dem Unternehmen geht es ganz offensichtlich prächtig. Das Management macht einen kompetenten Eindruck und weist jedes Jahr noch höhere Gewinne aus. Die Cash-Guthaben in der Bilanz wachsen. Doch jedes Jahr kommt das Management zu Ihnen und fragt Sie nach einem weiteren Kredit für die Firma. Käme Ihnen dies als Kapitalgeber vielleicht etwas merkwürdig vor?

Wieso haben sich die unzähligen Kapitalgeber von Wirecard denn nicht darüber gewundert? Ein einfacher Blick in die Mittelfluss-Rechnung Wirecards über die letzten Jahre hätte dieses Paradox offengelegt: Ein profitables Unternehmen mit steigendem operativem Cashflow und wenig Investitionsbedarf nimmt jedes Jahr noch mehr Geld aus Krediten auf.

Dies ergibt schlicht keinen Sinn: Entweder jemand zweigt den ganzen Geldfluss in seine Tasche ab oder es gibt ihn gar nicht. Bei Wirecard handelte es sich nach bisherigem Wissensstand um den zweiten Fall.

So oder so muss das Top-Management um Markus Braun vom ganzen Betrug gewusst haben: Nur wer weiss, dass die Kasse leer ist und der operative Cashflow eine reine Illusion, geht jedes Jahr neue Kredite holen. Ansonsten hätte man ja die ausgewiesenen Kontenbestände angebraucht und schon früher gemerkt, dass das Geld nicht da ist.

Bemerkenswert am Fall Wirecard sind in meinen Augen zwei Dinge: Erstens, dass die Prüfgesellschaft Ernst&Young bei der Revision nie nachschaute, ob es das philippinische Bankkonto überhaupt gibt, auf der die ganzen Cash-Überschüsse Wirecards angeblich lagen. Wenn selbst so grundlegende Prüfungen jahrelang ausbleiben können, schwindet mein Vertrauen in die offizielle Konzernbuchhaltung weiter.
Und zweitens, dass sich so viele prominente Profis in der Finanzbranche nicht die Mühe machen, einen Blick in die Mittelfluss-Rechnung der Firma zu werfen, selbst nachdem die «Financial Times» vor zwei Jahren zum ersten Mal über Unregelmässigkeiten bei Wirecard berichtet hatte.

Jeder Absolvent eines Grundkurses in Buchhaltung hätte erkennen können, dass bei Wirecard etwas faul sein muss. Damit wird einmal mehr ein kleines Geheimnis des Fondsmanagements offenbar: Nicht nur Laien, sondern auch viele hochbezahlte Profis schauen bei der Titelselektion lieber auf gut erzählte Stories, schöne Firmenlogos und die Krawattenfarbe des CEO als auf die Finanzkennzahlen.

Spannende Stories, Krawattenfarbe, Rollkragenpullover

Verübeln kann man es ihnen nur bedingt: In den letzten Jahren zählte in Sachen Aktienperformance gerade im Techsektor so ziemlich alles andere als die Entwicklung von Gewinnen und Cashflows. In vielerlei Hinsicht geht es bei den glamourösen Wachstumsaktien primär um das Erringen von Aufmerksamkeit und Popularität. In dieser Hinsicht ist die Krawattenfarbe oder der schwarze Rollkragen-Pullover des CEO tatsächlich wichtiger als das Gewinnwachstum einer Firma. Tesla-Superstar Elon Musk macht es vor.

Doch der Blick auf Cashflows und Bewertungen ist keinesfalls völlig obsolet: Das Verhältnis von Marktkapitalisierung zum Free Cashflow oder dem Unternehmenswert EV (inklusive Nettoverschuldung) zum Free Cashflow ist eine der ganz wenigen Value-Kennzahlen, die in den letzten zehn Jahren noch funktioniert haben. Dies ergibt eine Analyse von Empirical Research. Der Quantex Global Value Fund stützt sich vor allem darauf ab und konnte deshalb als einer der ganz wenigen Value-Fonds in den letzten zehn Jahren den Markt schlagen.

Viele andere klassische Value-Kennzahlen wie Kurs/Buchwert oder Kurs/Gewinn funktionieren dagegen seit über zehn Jahren nicht mehr. Die Gründe dafür sind vielfältig: Value ist generell out und zahllose Quant-Fonds haben sich auf diese einfach zu ermittelnden Value-Kennzahlen gestürzt und den früheren Renditevorteil wegerodiert. Ausserdem sind die Buchhaltungsregeln für die Ermittlung von Gewinnen und Buchwert in den letzten 20 Jahren in unseren Augen immer unsinniger und willfähriger geworden, vor allem bei der Ermittlung immaterieller Werte und ihrer Abschreibungen.

Die Mittelfluss-Rechnung dagegen ist relativ simpel und wenig manipulationsanfällig: Von wo und wohin flossen die Cashflows? Wie viel Geld floss aus operativer Tätigkeit auf die Konten der Firma? Wieviel Geld wurde für Investitionstätigkeit ausgegeben? Und wieviel Geld wurde aus Finanzierungstätigkeit aufgenommen oder an die Kapitalgeber zurückerstattet?

Der letzte Punkt, der Cashflow aus Finanzierungstätigkeit, wird dabei gerne übersehen. Dabei hilft er nicht nur, betrügerische Firmen wie Wirecard zu entlarven. Er zeigt auch, welche Firmen notorisch kapitalhungrig sind oder geizig mit den Kapitalgebern umgehen, weil das Management sich ein grandioses Imperium zusammenzimmern will.

Dividenden, Aktienrückkäufe und Schuldenrückzahlungen

Der Cashflow aus Finanzierungstätigkeit CFF hat sich in einer Quantex-Studie sogar als nützliche Kennzahl zur Titelselektion herausgestellt: Je negativer der CFF in Relation zum Unternehmenswert EV, desto grösser fiel tendenziell der zukünftige Aktienertrag aus. Eine hohe negative CFF-Rendite bedeutet, dass netto viel Geld aus dem Unternehmen an die Kapitalgeber abfliesst, sei es in Form von Dividenden, Aktienrückkäufen oder Schuldenrückzahlungen.

Das ist genau das, was wir als aussenstehende und relativ unwissende Miteigentümer von einem Unternehmen wollen: Dass viel Geld an uns Kapitalgeber zurückfliesst. Wir wollen Bares sehen und nicht schöne Wachstumsgeschichten erzählt bekommen, für die wir dann jedes Jahr noch mehr Geld in die Firma einschiessen sollen.


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