26.04.2017

Fallende Messer richtig fangen

Ein Jahr nach der Rezessionspanik von Februar 2016 gibt es an den Märkten nicht mehr viele Aktien im freien Fall. Ein Sektor jedoch stürzt immer noch mit hohem Tempo zu Boden: Die Aktien von amerikanischen Einzelhändlern. Selektives Zugreifen erscheint uns gewinnversprechend.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

«Versuche nie, ein fallendes Messer zu fangen», lautet eine alte Börsenweisheit, die darauf hindeutet, dass man von Aktien mit rapide fallenden Kursen und/oder Fundamentaldaten besser die Finger lässt. Als Value-Investor fühlen wir uns trotzdem immer wieder zu solchen Situationen hingezogen, auch wenn wir über die Jahre die eine oder andere tiefe Narbe davongetragen haben. Denn erwischt man eine solche Aktie zu einem günstigen Kurs kurz bevor sich die Fundamentaldaten nicht mehr weiter verschlechtern, ist das Gewinnpotenzial gross. Zeit für uns also, die Kevlarhandschuhe anzuziehen und uns im US-Retailsektor umzuschauen.

Das Bild ist alles andere als schön: Derzeit gibt es kaum einen Sektor mit schlechterer Stimmung als den amerikanischen Einzelhandel. Nach bald drei Jahren mit fallenden Absatzzahlen und laufend neuen Konkursen greift langsam Panik um sich. Seit Jahresanfang wurde die Schliessung von 2880 Läden angekündigt – das sind fast doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum Anfang 2016, als Rezessionsangst in der Luft lag. Geht das Tempo der Schliessungen weiter, werden dieses Jahr mehr Läden dicht gemacht als 2008 im Jahr der grossen Finanzkrise.

Die rekordverdächtige Schliessungswelle trotz gut laufender US-Wirtschaft gibt Fragen auf. Denn das amerikanische Konsumentenvertrauen erreichte kürzlich gerade erst den höchsten Stand seit der Rezession von 2008/09.

Auf den ersten Blick ist die Erklärung für die Misere der Einzelhändler naheliegend: Amazon und andere machen ihnen das Leben schwer. Der Gigant aus Seattle konnte 2016 53% des gesamten US-Wachstums im Online-Einzelhandel einheimsen.

Zu viel Verkaufsfläche

Doch auf den zweiten Blick ist das Problem komplexer: Der Online-Handel und Amazon sind schliesslich nicht erst seit 2014 ein Problem, als der laufende Abschwung begann. Vieles deutet darauf hin, dass die Einzelhändler in den Jahren des billigen Geldes zu viel in neue Läden investiert hatten. «Zu viel Verkaufsfläche wurde in den letzten Jahrzehnten hinzugefügt. Dies hat eine Blase geschaffen, und wie bei den Eigenheimen, ist diese Blase nun geplatzt», bemerkte kürzlich Richard Hayne, der CEO von Urban Outfitters. Die Einzelhandels-Verkaufsfläche pro Einwohner liege in den USA sechs Mal höher als in Europa oder Japan.

Mit den Ladenschliessungen geht auch die Nachfrage nach Verkaufsflächen zurück – und damit die Mieten. Das ist positiv für die Einzelhändler, jedoch schlecht für die Immobilienbesitzer. Kein Wunder gehören Beteiligungsfonds (REIT) aus dem Segment zu den schlechtesten Performern der letzten Monate. Sie sind bereits zu einem beliebten Ziel für Leerverkäufer geworden, die auf weiter fallende Kurse spekulieren.

Jede Weltuntergangsstory führt zu Übertreibungen nach unten

Jede eingängige Story hat ihren wahren Kern – Amazon und die Online-Konkurrenz sind sicherlich eine ernstzunehmende Gefahr. Angesichts der Überkapazitäten bei den Verkaufsflächen gibt es gute Gründe, weiter von einem langfristigen Niedergang des traditionellen Einzelhandels auszugehen. Wie jede gute Wachstumsstory führt aber auch jede Weltuntergangsstory oft zu Übertreibungen des Marktes. Nicht alle Retailer werden in den nächsten zehn Jahren verschwinden und nicht alle Einkaufszentren zu Geisterstädten. Von Interesse für uns als Value-Investoren ist, wenn einzelne Aktien jedoch so gehandelt werden, als wäre dies der Fall.

Eine zyklische Komponente ist beim freien Fall des Einzelhandels sicherlich auch dabei. Die Wohlstandsgewinne waren in den USA seit der Finanzkrise sehr ungleich verteilt. Erst seit 2015 steigen die Einkommen wieder auf breiter Front und auch die unteren Schichten profitieren von der Wirtschaftserholung. Durch den sehr in die Länge gezogenen Verlauf der Erholung lässt sich deshalb auch die These aufstellen, dass die eigentliche konjunkturelle Boomphase dem Einzelhandel erst bevorsteht. Dem langfristigen Niedergang könnte deshalb schon bald auch eine zyklische Erholung gegenüberstehen.

Schwierig bleibt bei jedem Griff nach einem fallenden Messer das Timing. Grundsätzlich gilt: Je grösser das operative und finanzielle Leverage einer Firma, desto wichtiger wird es, den exakten Wendepunkt der Fundamentaldaten zu erwischen. Denn kauft man ein stark gehebeltes Unternehmen zu früh, drohen immer noch grosse Kursverluste bis hin zum Totalverlust. Erwischt man es andrerseits nahe beim Tiefpunkt, ist das Gewinnpotenzial entsprechend grösser. Das umgekehrte gilt für Firmen mit weniger Hebel.

Lieber fallende Titel mit weniger Hebel fangen

Da wir uns nicht für begnadete Trader halten, irren wir uns lieber auf der konservativen Seite. Eine grundsolide Bilanz steht deshalb für uns bei Firmen im freien Fall im Mittelpunkt der Analyse. Keine Schulden und möglichst viel Netto-Cash in Relation zu Börsenwert und Fixkosten sind unsere Stahlkappen-Schuhe, um beim Fangen von fallenden Messern nicht auch noch ein paar Zehen zu verlieren.

Dabei spielt auch der psychologische Aspekt eine Rolle: Ein tieferer Hebel und eine starke Bilanz verschaffen dem Investor in einem krisenumtosten Sektor die nötige Gelassenheit, um die Unsicherheit bei anhaltend schlechten Nachrichten auszuhalten. Ansonsten besteht die Gefahr, dass man zu schnell nervös wird und schlimmstenfalls doch noch im dümmsten Moment verkauft. Lieber verzichten wir deshalb zu Gunsten unserer Seelenruhe auf einen Teil der theoretisch möglichen Upside. Diese ist im Fall einer Erholung immer noch gross genug, wenn ein Sektor so unbeliebt und so tief gefallen ist wie derzeit die amerikanischen Einzelhändler.

Bei unserer quantitativen Selektion suchen wir nach drei Kriterien:

  • Eine Netto-Cashposition
  • Eine Free-Cashflow-Rendite zum Unternehmenswert EV von 10%
  • Mindestens die Hälfte des Free Cashflows wurde in den letzten drei Jahren an die Kapitalgeber zurückerstattet

Auf der qualitativen Seite müssende folgende Merkmale erfüllt sein:

  • Das Wachstum in der letzten Dekade war vor allem organischer Natur und kam nicht durch hastige Übernahmen zustande.
  • Die Firma hat ihre Läden nur gemietet und kann deshalb mittelfristig das Filialnetz anpassen und von den sinkenden Mieten profitieren.
  • Das Management zeigte eine gute Kapitalallokation, insbesondere beim antizyklischen Rückkauf von eigenen Aktien.
  • Die Aktie ist bei Analysten verhasst und wird mehrheitlich mit «Hold» oder «Sell» eingestuft.

Die folgenden drei fallenden Messer erfüllen diese Kriterien und sind deshalb im Quantex Global Value Fund gelandet: American Eagle Outfitters, The Buckle und Cato Corp. Mit allen drei Positionen schlafen wir gut, selbst wenn sich die Talfahrt des amerikanischen Einzelhandels noch eine geraume Weile hinziehen sollte.


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