11.05.2017

Das Remake der Schuldenkrise

Steigende Zinsen, hohe Verschuldungsniveaus und lange überraschend ruhige Märkte sind das Rezept für eine neue Schuldenkrise. Der Film ist hinlänglich bekannt, nur die Hauptrollen werden jedes Mal von anderen Akteuren gespielt. Worauf Anleger achten müssen, damit für sie aus dem Remake kein Horrorfilm wird.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

Schuldenkrisen sind keine Actionfilme, eher Psychothriller: Sie beginnen in ruhigen Zeiten mit einem gemächlichen Spannungsaufbau. Die Verschuldung steigt Jahr für Jahr etwas schneller als die Wirtschaftsleistung und man ahnt, dass es mal böse enden könnte – doch vorerst geht alles noch lange gut. Es herrscht Partylaune. Länger, als es viele Warner glauben können, die das Publikum mit ihren Zwischenrufen irgendwann nur noch langweilen.

Doch dann legt der Film mächtig an Tempo zu und die Ereignisse beginnen sich zu überschlagen. Die hohen Schulden können nicht mehr bedient werden, die als Sicherheit hinterlegten Vermögenswerte werden liquidiert und verlieren an Wert, was wiederum die Rückzahlung der Schulden erschwert. Die sich selbst verstärkende Spirale beginnt plötzlich, sich nach unten anstatt nach oben zu drehen. Am Schluss endet die Geschichte meist mit Bankenpleiten und dem einen oder anderen Staatshaushalt am Rande des Abgrunds.

Der Film ist immer derselbe, nur die Akteure wechseln von Mal zu Mal. 2007/08 übernahmen die amerikanischen Hausbesitzer und ihre Banken die Hauptrolle. Die nachfolgende Eurokrise war dann vor allem mit südeuropäischen Darstellern besetzt.

Für das Nächste Remake des Films gibt es eine ganze Reihe von Kandidaten: Australier, Kanadier, Chinesen, Skandinavier, ja sogar Schweizer könnten mal wieder eine Rolle in einer spektakulären Schuldenkrise spielen. Mit einer rapide gestiegenen Hypothekarverschuldung in Relation zur Wirtschaftsleistung erfüllen alle diese Länder die Voraussetzungen für die Teilnahme in einem Immocrash-Horrorfilm klassischer Machart.

Aber auch der US-Unternehmenssektor, oder zumindest Teile davon, könnten in einem neuen Schocker aufwarten. In den Jahren des billigen Geldes am Obligationenmarkt nahmen viele Firmen mehr Schulden auf, als dass sie bei auch nur schon leicht höheren Zinsen tragen können. Das Drehbuch für das Remake der Junk-Bond-Krisen von 1989 und 2002 ist sozusagen schon geschrieben.

Und dann gibt es in verstaubten Schubladen natürlich auch noch die Drehbücher für die ganz grossen Katastrophenfilme, in denen die staatlichen Schuldner die Hauptrolle spielen werden. Griechenland und die Eurokrise waren möglicherweise nur ein Prequel für das, was bei steigenden Zinsen noch folgen könnte.

Der Internationale Währungsfonds IWF jedenfalls gibt sich besorgt. Im neusten Global Financial Stability Report zeigen die Ökonomen der Institution gleich mehrere mögliche Gefahren für die Zukunft auf.

Der erste mögliche Krisenherd ist der amerikanische Unternehmenssektor: Seit 2010 wurden 7800 Milliarden Dollar an neuen Schulden und Verbindlichkeiten aufgenommen – dem grosszügigen Anleihenmarkt sei Dank. Die Netto-Verschuldung zum Brutto-Cashflow Ebitda beläuft sich damit wieder auf rund 1.5x. Ein Wert in dieser Grössenordnung zeigte schon 1989 und 2002 das Ende der Fahnenstange an. Und bereits jetzt können rund 10% der Firmen ihre Schuldzinsen nicht mehr aus dem operativen Gewinn bedienen. Das heisst, das Interest Coverage Ratio ICR liegt unter 1. Weitere 10% sind verwundbar mit einem Interest Coverage Ration zwischen 1 und 2 (vgl. Grafik unten).

ICR
Der Prozentsatz aller Firmen mit schwachem oder sehr schwachem Interest Coverage Ratio nähert sich vergangenen Krisenhöchstständen an – trotz generell tiefer Zinsen. (Quelle: IWF)

Das ist eine höchst prekäre Ausgangslage angesichts der immer noch historisch tiefen Zinsen. Steigen diese auch nur ein bisschen, droht eine neue Schuldenkrise. Die angeschlagenen Schuldner konzentrieren sich allerdings weitgehend in drei Sektoren der US-Wirtschaft: Energie, Immobilien und Stromversorgung. Hier stand der Schuldenaufnahme der letzten Dekade kein entsprechender Zuwachs bei den Gewinnen gegenüber. Andere Sektoren wie Technologie oder Gesundheit sind im Schnitt wenig bis gar nicht verschuldet.

Ein zweiter möglicher Gefahrenherd durch Überschuldung sind laut IWF die Schwellenländer, insbesondere China. Das Reich der Mitte erlebte in der letzten Dekade einen Kreditboom, der vergleichbar ist mit den grossen Schuldenblasen im Japan der 1980er Jahren oder dem Spanien der Nullerjahre. Die US-Schuldenblase sah da vergleichsweise harmlos aus (vgl. Grafik unten).

Credit
Die Grafik zeigt den Verlauf der Verschuldung in Prozent des jeweiligen Bruttoinlandprodukts BIP in verschiedenen Ländern über die Zeit. Die geplatzten Kreditblasen in Japan, Thailand, Spanien und den USA sind gut erkennbar. In China ist die Blase noch nicht geplatzt.  (Quelle: IWF)

Besonders verwundbar beim Platzen einer Kreditblase sind die Banken. In China sogar besonders, wo die Bankbilanzen auf sagenhafte 300% des Bruttoinlandprodukts aufgebläht wurden – im Vergleich etwa zu weniger als 100% in den USA, Indien oder Russland.

Der dritte grosse Gefahrenherd sind die Immobilienblasen, die in denjenigen Ländern entstanden sind, welche vergleichsweise glimpflich durch die Finanzkrise von 2008 und die folgende Eurokrise gekommen waren, namentlich Australien, Kanada, die Schweiz und die skandinavischen Länder. Diese Länder zogen als sichere Häfen ausländisches Geld an, gleichzeitig sanken die Zinsen und die Häuserpreise kletterten in luftige Höhen. Typisch für den Kreditboom in diesen Ländern ist auch, dass ihre jeweiligen Bankaktien immer noch weit über Buchwert gehandelt werden, weil die Profitabilität so gut ist – bist zum nächsten Crash.

Zumindest in Kanada könnte nun der Wendepunkt nah sein. Mit dem überraschenden Kollaps von Home Capital Group, eines mittelgrossen Hypothekenfinanzierers, ist eine erste Schockwelle gekommen. Dubiose und zum Teil wohl betrügerische Praktiken bei der Kreditvergabe und der laufende Bankrun bei Home Capital erinnern an die amerikanische Subprime-Krise. In Kanada sind Hauspreis-basierte Kreditlinien, wo man nach Bedarf und ohne Rückfragen Geld beziehen kann, weit verbreitet. Die Verschuldung der kanadischen Haushalte liegt mit 169% des BIP denn auch weit höher, als sie in den USA vor der Subprime-Krise je gewesen war (vgl. Grafik nächste Seite).

Es mag ironisch anmuten, dass die sicheren Häfen der letzten Finanzkrise zu den grössten Risikofaktoren von heute geworden sind. Doch das ist das typische Drehbuch jeder Schuldenkrise: Ganz nach Hyman Minskys berühmtem Diktum «Stabilität generiert Instabilität» ist es eben immer so, dass die scheinbare Stabilität der Immobilienpreise und Zinsen in Ländern wie Kanada, Schweden oder der Schweiz dazu verleitete, immer mehr Schulden aufzunehmen – bis die an sich stabile Situation dadurch instabil wird.

Canada
Die Grafik zeigt die Haushaltsverschuldung in Prozent des Bruttoinlandprodukts in Kanada (weisse Linie) und den USA (blaue Linie) seit 1991. (Quelle: Bloomberg)
Konklusionen für Anleger

Die letzte Finanzkrise steckt den Investoren auch zehn Jahre später noch in den Knochen. Der typische Fehler ist jedoch, dass man versucht, sich gegen die Krisen von Gestern zu wappnen und blind ist für die neuen Gefahren von Morgen. Aus unserer Sicht ergeben sich die folgenden Schlussfolgerungen für die Geldanlage:

  1. Die grösste Gefahr für die Finanzmärkte geht von der Wechselwirkung aus generell hohen Schuldenständen und potenziell steigenden Zinsen aus. Gerade darum könnten Obligationen ihren jetzigen Status als sicherer Hafen verlieren. Ähnlich war es in den 1970er Jahren, als die Zinsen ständig stiegen.
  2. Die Risiken durch neue Schuldenkrisen sind sehr ungleich verteilt, sowohl was Länder wie auch einzelne Sektoren angeht. Eine naive Diversifikation von Aktien und Anleihen nach Indexgewichtungen kann deshalb gefährlich sein, weil sie automatisch zu einer Übergewichtung hoch bewerteter und damit krisenanfälliger Märkte führt.
  3. Bei der Aktienselektion sind für uns Netto-Verschuldung und Free Cashflow zentral. Hoch verschuldete Sektoren wie etwa US-Energietitel sind deshalb in unseren Depots überhaupt nicht vertreten – ganz egal, wie hoch ihr Indexgewicht sein mag.
  4. Die grössten geographischen Risiken schlummern in China sowie den «sicheren Häfen» der letzten Schuldenkrise, namentlich Australien, Dänemark, Kanada, Norwegen, Schweden und der Schweiz. Angesichts der gut erkennbaren Schuldenblasen lassen wir von Bank- und Immobilienaktien in diesen Ländern ganz klar die Finger, auch wenn sie teilweise auf den ersten Blick günstig aussehen mögen. Auch ihre Währungen sind potenziell absturzgefährdet.
  5. Momentan herrscht beschauliche Ruhe an den Finanzmärkten, gemessen etwa am Krisenbarometer VIX, der die implizite Volatilität von Optionen misst, also den Preis für eine Absicherung des Depots. Auch der Goldpreis dümpelt seit geraumer Zeit dahin. Ein Portfolio mit Puts, Gold und etwas mehr Cash gegen neue Schuldenkrisen zu stählen, erscheint deshalb attraktiver als auch schon.

Nimmt man sich den letzten Punkt zu Herzen und achtet bei der Selektion von Wertpapieren generell auf eine geringe Verschuldung, so gibt es auf lange Sicht wenig zu befürchten. Irgendwann muss man für teure Remakes des immer gleichen Schuldenkrisen-Films keinen Eintritt mehr bezahlen.


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