31.03.2019

Emerging Markets aus der Ameisen-Perspektive

Aktien aus Emerging Markets sind seit Jahren unpopulär und entsprechend günstig geworden. Doch viele Anleger scheuen vor einem Investment zurück wegen wahrgenommener Intransparenz und der Währungsrisiken. Mit den richtigen Kriterien ist eine Anlage in ausgewählte Einzeltitel jedoch viel weniger riskant, als es gemeinhin scheint.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

Mal lieben die Investoren Emma, mal hassen sie sie. Nur selten ist die Einstellung der Anleger zu Aktien aus Emerging Markets rational. Entsprechend stark schwanken die Bewertungen der Schwellenländer-Börsen im Vergleich zu den Industriestaaten. Ein Blick auf die Grafik auf der nächsten Seite zeigt die relative Wertentwicklung der Emma-Börsen zum amerikanischen S&P-500-Index seit 1988.

Derzeit ist nicht nur der Unterschied in der relativen Kursentwicklung der letzten Jahre frappant, sondern auch der Unterschied in der aktuellen Bewertung der Aktien. Das durchschnittliche Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) der Schwellenländer-Börsen beläuft sich auf 13, dasjenige der teuren US-Börse auf 25, also fast das Doppelte. Ein gewisser Bewertungsabschlag für Emerging Markets ist historisch gesehen normal. So gross wie heute war der Unterschied aber schon lange nicht mehr. Das letzte Mal ähnlich gross war er zu Beginn der 2000er Jahre. Darauf folgte eine mehrjährige Periode mit satter Outperformance der Schwellenländer.

Natürlich werden immer zahlreiche gute Gründe ins Feld geführt, wieso Aktien aus Emerging Markets heute billiger sein sollten. Aktuell ist es der starke US-Dollar, der zu einer gewissen Währungsflucht aus Emerging Markets führt und lokalen Firmen mit Dollar-Schulden zu schaffen macht. Zudem schwächt sich das Wachstum in China, dem dominierenden Emerging Market, deutlich ab.

Anleger sollten aber aus mehreren Gründen nicht zu viel Zeit mit solchen makroökonomischen Überlegungen zu Emerging Markets verschwenden:

1. Gibt es wie meistens in der Ökonomie gute Argumente für beide Seiten. Ja, viele Emerging Markets haben beträchtliche Auslandschulden in US-Dollar. Andrerseits ist das Verschuldungsniveau aber in Relation zum Bruttoinlandprodukt BIP viel tiefer als in den Industriestaaten. Ist das nun gut oder schlecht? Dasselbe gilt für Währungsabwertungen: Diese sind ein Problem für Firmen mit Auslandschulden, helfen aber der Exportindustrie. Verlässliche Wirtschafts- und Währungsprognosen für ein Land zu machen ist erfahrungsgemäss ein Ding der Unmöglichkeit.

2. Spielen diese Prognosen langfristig keine Rolle: Es besteht gemäss zahlreichen Studien generell kein Zusammenhang zwischen dem Wirtschaftswachstum eines Landes und der Performance seines Aktienmarkts. Bestes Beispiel ist China, dessen Wirtschaft seit einem Jahrzehnt stark wächst, während gleichzeitig die Börsen in Shanghai und Shenzhen stagnieren.

3. Muss man nicht den Index kaufen. Die Börsen vieler Schwellenländer werden von Titeln aus dem Finanz- und Rohstoffsektor dominiert. Da dies sehr zyklische Sektoren sind, ist es kein Wunder, dass die entsprechenden Länderindizes sehr empfindlich auf Schwankungen der Weltkonjunktur reagieren. Daher stammt auch der schlechte Ruf der Emerging Markets, besonders volatil und damit riskant zu sein.

 

Emma Equities vs S&P500

Die Grafik zeigt die relative Wertentwicklung von Emerging Markets zum amerikanischen S&P-500-Index in US-Dollar seit 1988. Starke Zyklen jahrelanger Outperformance wechseln sich mit Underperformance ab. (Quelle: topdowncharts.com)

 

Geht man wie wir bottom-up mit quantitativen Screenings an die weltweite Titelselektion heran, so fällt seit geraumer Zeit auf, dass sich unter den gefundenen Aktien immer mehr Titel aus Emerging Markets finden. Diese erfüllen alle unsere Kriterien bezüglich Free-Cashflow-Rendite, Bilanzqualität und Ausschüttungen an die Kapitalgeber.

Das ist wenig überraschend: Im Zeitalter der passiven Investorenströme werden, von den News getrieben und quasi von oben herab, ganze Länder-ETF auf einen Schlag verkauft ohne mit der Lupe hinzuschauen, ob sich darunter nicht die eine oder andere Value-Perle findet.

Doch kann den Bilanzen und den Managern aus Emerging Markets überhaupt vertraut werden? Diese Frage wird oft gestellt. Sie mutet etwas seltsam an im Zeitalter globalisierter Buchhaltungsstandards und zahlreichen grossen Skandalen in westlichen Industriestaaten: Enron, Worldcom, Parmalat, Autonomy, Toshiba, Banco Espirito Santo, Valeant Pharmaceutical – mit den prominenten Buchhaltungsbetrügereien der letzten 20 Jahre aus Industriestaaten lassen sich zahlreiche Bücher füllen.

Es gibt aus unserer Sicht keinen Grund anzunehmen, dass die Buchführung in den Industrieländern grundsätzlich besser sein soll. Im Gegenteil halten wir es für sinnvoll, gegenüber Bilanzzahlen immer und überall eine grosse Portion Skepsis walten zu lassen.

Das Management ist immer ein grosses Problem

Dasselbe gilt bezüglich des Verhaltens des Managements: Werden die Zahlen klar und übersichtlich dargelegt oder mit Unmengen von Fussnoten, Sondereffekten und adjustierten Gewinnen? Entsprechen die Zahlen und Cashflows dem, was das Management über den Geschäftsgang erzählt? Wie wird das überschüssige Kapital verwendet? Für grössenwahnsinniges Empire Building? Für clevere antizyklische Übernahmen? Werden die Minderheitsaktionäre mit Ausschüttungen und Aktienrückkäufen belohnt? Oder müssen sie ständig wieder den Geldbeutel aufmachen und mehr Kapital einschiessen?

Das alles sind wichtige Punkte, die nicht nur bei Firmen aus Emerging Markets kritisch beäugt werden sollten. Das Management befindet sich immer in einem gewissen Interessenskonflikt zu den Eigentümern.
Das beste Mittel, um den Durchblick zu wahren und gleichzeitig vielen möglichen Betrugsfällen vorzubeugen, ist in unseren Augen das Cashflow-Statement eines Unternehmens. Wie viel Geld fliesst effektiv in die Firma rein und raus? Und wie viel Geld befindet sich in der Kasse? Das sind die Fragen, die jeden Firmenbesitzer am Ende des Tages interessieren sollten. Vieles andere sind reine Zahlenspiele für Buchhalter, Steuerberater und Juristen.

Cashflow schützt vor vielen Dummheiten

Besonders nützlich ist es dabei, ein Augenmerk auf den Cashflow aus Finanzierungstätigkeit zu werfen: Ist er negativ, fliesst Geld aus der Firma hinaus an die Kapitalgeber in Form von Dividenden, Aktienrückkäufen und Kreditrückzahlungen. Ist er positiv, wurde netto mehr Kapital aufgenommen in Form von neuen Aktien oder Krediten.

Wie wir in einer Studie zeigen konnten, ist ein möglichst negativer Cashflow aus Finanzierungstätigkeit in Relation zum Unternehmenswert EV eine sehr gute Kennzahl, um Aktien auszuwählen (siehe Quantex Studie 2016).

Es ist aber auch eine gute Kennzahl, um möglichen Betrugsfällen vorzubeugen. Gewinne und Vermögenswerte auf dem Papier zu beschönigen, ist keine grosse Kunst. Bares ist jedoch Wahres, das sich nur schwer manipulieren lässt. Unternehmen in Emerging Markets, die mehr oder weniger schuldenfrei sind und fortlaufend einen grossen Teil ihres freien Cashflows an die Kapitalgeber ausschütten, sind deshalb in unseren Augen ein Investment, das wenig böse Überraschungen bezüglich der Buchhaltung UND der Corporate Governance erwarten lässt.

Grosse Vorsicht ist dagegen bei Unternehmen angebracht, die auf dem Papier profitabel aussehen, ständig jedoch netto neues Kapital am Markt aufnehmen. Derzeit gehören nicht wenige chinesische Firmen in diese Kategorie, auch prominente Tech-Titanen wie Ali Baba oder Tencent. Oft weisen sie hohe Buchgewinne aus Verkäufen und Neubewertungen von heissen Startups aus – doch der Aktionär sieht von all den schönen Profiten netto keinen müden Yuan.

Mit dem richtigen Rüstzeug und dem Blick aus der Ameisenperspektive auf einzelne Unternehmen finden sich in Emerging Markets derzeit so viele interessante Aktien wie schon lange nicht mehr. Je mehr die Börsen von passiven Investorenströmen dominiert werden, die mit den News aus Politik und Wirtschaft aus Emerging Markets rein- oder rausfliessen, desto mehr sollten auch in Zukunft Chancen auf der Ebene der Einzeltitel entstehen.

Das Länderrisiko lässt sich zudem in einem Fonds diversifizieren. Derzeit halten wir lieber sieben Titel mit gutem Free Cashflow und guter Ausschüttungsrendite aus sieben verschiedenen Emerging Markets als dieselben sieben oder zehn grossen Wachstumstitel aus den USA, in denen sich mittlerweile praktisch alle Investoren tummeln. Wenn die grossen Elefanten einmal in Panik geraten, sind wir lieber die kleine Ameise abseits der Trampelpfade als Teil der Herde.


Downloads

Artikel teilen


Konto eröffnen