14.05.2021

Das Monster ist erwacht

Mit der raschen Wiedereröffnung der US-Wirtschaft brandet nun die befürchtete Inflationswelle heran. Durch neue Stimulus-Programme wird sie weiter aufgetürmt. Die meisten Investoren verschliessen immer noch die Augen vor der sehr realen Inflationsgefahr und flüchten sich in Fantasiegebilde.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

Vor langer, langer Zeit lebte in einem fernen Land ein gefährliches Monster, vor dem alle Angst hatten. Während Jahrzehnten hatte es das Land terrorisiert. Bis ein grosser Ritter kam, sich tapfer dem als unbesiegbar geltenden Monster stellte und es in die Flucht schlug. Doch auch noch lange nach seinem Sieg über das Monster hatten die Leute Angst, dass es zurückkehren könnte und verhielten sich entsprechend vorsichtig.

Aber heute, wo sein Brüllen und Schnauben bereits deutlich zu hören ist, glaubt niemand mehr dran, dass es das Monster überhaupt gibt. Denn dem Monster ins Angesicht zu blicken, würde gravierende Umstellungen und drastische Massnahmen erfordern. Also will man die Gefahr lieber noch etwas verdrängen und hofft, dass sie sich von selbst verzieht…

Das Monster, von dem hier die Rede war, ist natürlich die Inflation, welche noch in den 1970er Jahren teilweise jährlich zweistellig zulegte und die Bevölkerung und die Regierungen einschüchterte.

Erst dem 1979 ernannten Fed-Chef Paul Volcker gelang es, die Teuerung zurückzudrängen, in dem er den Leitzinssatz auf heute kaum vorstellbare 20% erhöhte.

Zweistellige Inflationsraten und Zinsen? Das sind für die meisten Investoren und Entscheidungsträger in westlichen Ländern nur noch Sagen aus einer längst vergangenen Zeit: In lateinamerikanischen Bananenrepubliken vielleicht, aber bei uns doch nicht…

Zweistellige Preisanstiege sind bereits Realität

Doch zahlreiche Preise legen derzeit zweistellig zu – und zwar nicht nur im Vergleich zum ersten Corona-Lockdown vor einem Jahr, als die Preise vorübergehend einbrachen. Sondern auch im Vergleich zum Vormonat März dieses Jahres, als die Wirtschaftserholung bereits voll angelaufen war:

  • Die Preise für Bauholz sind allein im April um 50% gestiegen. Sie haben sich nun gegenüber dem Vor-Corona-Niveau vervierfacht! Amerikanische Importeure kaufen inzwischen den Holzmarkt in Europa leer.

  • Der Preis für Kupfer, das wichtigste Metall für Elektrifizierung und Bauindustrie, erreichte ein neues Allzeithöchst und hat sich mittlerweile verdoppelt gegenüber der Zeit vor dem Virus.

  • Die Preise für Getreide wie Mais, Weizen oder Sojabohnen haben gegenüber dem Vorkrisen-Niveau zwischen 50% und 100% zugelegt. Davon hängen auch die Fleischpreise ab: Der Preis für Geflügelfleisch hat sich in zwölf Monaten verdoppelt.

  • Frachtraten für Container sind auf den höchsten Stand seit 2011 angestiegen. Sie haben sich gegenüber dem Vor-Corona-Niveau glatt verdreifacht und steigen derzeit weiter steil an.

  • Die Preise für Gebrauchtwagen haben seit Jahresbeginn um 19% zugelegt und um 50% gegenüber dem Vorjahr. Bei Neuwagen gibt es wegen Chipknappheit weltweit Produktionsengpässe.

Die Liste liesse sich beliebig verlängern. Auch in den aktuellen Quartalsberichten der Unternehmen ist die Inflation das grosse Thema (siehe Grafik).


Die Grafik zeigt die Veränderung der Erwähnungen von Inflation in Quartalsberichten der US-Unternehmen gegenüber dem Vorjahr (dunkelblaue Linie) und vergleicht damit den Anstieg der Konsumentenpreise (hellblaue Linie) in den USA. (Quelle: Bloomberg/Bank of America)

Bei Preisanstiegen auf so breiter Front in allen Rohstoffen können nicht mehr einzelne Versorgungsengpässe verantwortlich gemacht werden. Das ist ganz einfach Inflation.

Auch die Löhne legen derzeit in den USA kräftig zu, da es den Unternehmen kaum noch gelingt, Arbeiter zu finden. Dank grosszügigen Bonuszahlungen der Biden-Regierung machen gemäss University of Chicago derzeit 42% der Arbeitslosen mehr Geld als in ihrem alten Job und haben entsprechend wenig Laune, wieder malochen zu gehen. Andere haben wegen anhaltenden Schulschliessungen keine Möglichkeit, zur Arbeit zu fahren und bleiben vorerst daheim, was das Angebot verknappt.

Firmen rechnen mit 4-5% Inflation dieses Jahr.

Nach einer Firmenumfrage des Dallas Fed sollen die Input-Kosten und Löhne dieses Jahr doppelt so stark steigen wie im Vorjahr, um rund 4.3% bis 5.5%. Die Unternehmen berichten zudem, sie könnten ohne Probleme ihre Preise anheben, da die Kunden die Taschen und Konten voller Geld haben.

Das genau ist das Problem: Durch die extremen fiskalischen Stimulus-Massnahmen ist die Geldmenge M2, welche die Bankkonten der Firmen und Haushalte beinhaltet, steil nach oben geschnellt (siehe Grafik).


Die Grafik zeigt den jährlichen Zuwachs der US-Geldmenge M2 (dunkelblaue Linie) im Vergleich zur Konsumentenpreisinflation (hellblaue Linie) seit 1920. (Quelle: FRB, Haver Analytics, Deutsche Bank)

Ein Geldmengen-Zuwachs in dieser Grössenordnung wurde in den USA nur auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs 1942/43 erreicht. Die Inflation folgte postwendend, vor allem mit der Aufhebung der kriegsbedingten Restriktionen. Der «Krieg gegen den Virus» löste eine ähnlich starke fiskalpolitische Reaktion der Regierungen aus, und es ist nur natürlich, dass mit der schrittweisen Aufhebung der Corona-Restriktionen nun die Preise auf breiter Front steigen. Mit weiteren Stimulus-Programmen soll zudem in den USA wie auch in Europa noch mehr Öl ins lodernde Feuer gegossen werden.

Nach der Hochinflation der 1970er Jahre hatten die Regierungen lange Jahre ständig Angst, das Monster mit fahrlässigem Geldausgeben wieder zu wecken. Diese Hemmungen sind völlig weggefallen. Eine neue Generation von Entscheidungsträgern und Wählern bestimmt das Geschehen, welche die Inflation nur noch vom Hörensagen kennt.

Doch hier geht es längst nicht mehr nur um die theoretische Inflationsgefahr, welche aus den extremen Massnahmen erwachsen könnte. Mit der Wiedereröffnung der Volkswirtschaften erleben wir nun in der Praxis und in Echtzeit einen breiten Anstieg des Preisniveaus auf allen Ebenen.

Zwar wird derzeit von offizieller Seite der Notenbanken noch abgewiegelt, der Anstieg der Teuerung sei nur «transitorisch», also vorübergehend. Doch dies könnte sich als das grösste Märchen unserer Tage herausstellen. Für Anleger gilt es, dem Monster ins Auge zu sehen und sich für einen dauerhaften Anstieg des Inflationsniveaus zu wappnen. Das bedeutet fürs Portfolio: Mehr direkte Rohstoffanlagen, keine langlaufenden Anleihen und mehr Vorsicht bei Aktien (siehe Grafik).


Die Grafik zeigt die realen Renditen verschiedener Anlageklassen und Sektoren in vergangenen Inflationsphasen (Teuerungsrate über 5%) seit 1920. Am besten schnitten direkte Rohstoffanlagen ab, am schlechtesten langlaufende Anleihen und Tech-Aktien.

(Quelle: Naturalis Database; Levine, Ari, et al. "Commodities for the long run." Financial Analysts Journal 74.2 (2018): 55-68; Neville, H., Draaisma, T., Funnell, B., Harvey, C. R., & Van Hemert, O. (2021). "The Best Strategies for Inflationary Times"; Zaremba, Adam, Zaghum Umar, & Mateusz Mikutowski. "Inflation hedging with commodities: A wavelet analysis of seven centuries worth of data." Economics Letters 181 (2019): 90-94.)

 

Generell ist auch mit mehr Volatilität an Finanz- und Devisenmärkten zu rechnen, weshalb eine ordentliche Cash-Reserve und Rebalancing zwischen den Anlageklassen wichtiger werden.

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