14.12.2020

Das Jahr danach

Ein turbulentes Jahr 2020 geht zu Ende. Während es an der Börse schlussendlich weitgehend erfreulich verlief, werden uns die politischen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise noch länger begleiten.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

2020 war ein Jahr, in dem Anleger viele Fehler machen konnten. Die anderen schwierigen Börsenjahre waren 2019, 2018, 2017, 2016 und so weiter, um Mark Twain mal wieder zu paraphrasieren.

Bei Jahresbeginn 2020 konnte man trotz spätzyklischer Marktphase und aufziehender Pandemie zu unvorsichtig sein. Auf dem Kurstief im März durfte man trotz miserablen Nachrichten und hochschnellender Arbeitslosigkeit nicht die Nerven verlieren und Aktien verkaufen. Und danach musste man in der spätsommerlichen Erholungsphase nicht zu lange in den Corona-Gewinnern verharren, sondern musste sein Herz für Corona-Verliereraktien öffnen.

Wie so oft war tendenziell zu jedem Zeitpunkt ein Handeln gegen die Kakaphonie der Medien und Börsenberichterstatter notwendig. Und natürlich stellen wir uns jetzt alle die Frage, wie es 2021 an den Märkten weitergehen wird. Darauf haben wir wie immer keine Antwort.

Wir sehen aber ein paar wichtige fundamentale Themen, die im kommenden Jahr einen starken Einfluss auf die Kurse haben dürften. Fragen Sie uns einfach bitte nicht, wann und wie genau.

1. Aktien sind teuer, aber nicht alle

Mit Blick auf die meisten Kennzahlen sind die Aktienmärkte derzeit historisch teuer, vor allem der amerikanische Markt.

Nur mit Blick auf die rekordtiefen Zinsen sind viele Dividendenpapiere noch attraktiv. Es bestehen jedoch immer noch grosse Bewertungsunterschiede innerhalb des Markts zwischen teuren Tech-Titeln und günstigen Zyklikern. Drei Viertel des Gewinneinbruchs bei den Unternehmen im Jahr 2020 war auf nur drei Sektoren zurückzuführen: Energie, Reisen und Banken.

Die Erholung dieser Corona-Verliereraktien war seit den positiven Impfstoff-Nachrichten am 9. November zwar sehr stark. Sie ist jedoch mit Blick auf die langfristigen Bewertungsunterschiede erst etwa zur Hälfte abgeschlossen. Die Valuation-Spreads am US-Markt liegen gemäss Empirical Research immer noch rund eine Standardabweichung über dem langfristigen Mittelwert.

Der Markt nimmt zwar schon einiges an Normalisierung vorweg. Wir glauben aber, dass die wirtschaftliche Erholung jetzt mit Beginn der Impfungen viel schneller über die Bühne gehen dürfte, als sich viele vorstellen können, die derzeit noch im winterlichen Corona-Blues gefangen sind.

In vielen Ländern ist die zweite Welle im Rückgang begriffen, ganz unabhängig von den getroffenen Massnahmen. Zum anderen werden sich auf Grund der extremen Opferasymmetrie des Corona-Virus die Spitäler schnell leeren, wenn ein wesentlicher Teil der Risikogruppen geimpft sein wird. 70% der Corona-Todesfälle in der Schweiz waren über 80 Jahre alt. Nur 0.5% der Opfer waren jünger als 50 Jahre. Die Impfstoffe scheinen auch bei älteren Leuten gut zu wirken. Entsprechend muss mit wirtschaftlichen Lockerungen nicht gewartet werden, bis alle jüngeren Jahrgänge breit durchgeimpft wurden.

Es ist deshalb gut vorstellbar, dass im Frühjahr ein regelrechter Konsumrausch ausbricht, ähnlich dem Boom einer Nachkriegsphase. Es ist viel aufgestaute Nachfrage nach Ein- kaufen, Reisen und Erlebnissen da. In einigen Bereichen dürfte es zu Kapazitätsengpässen und stark steigenden Preisen kommen. Folglich sehen wir bei Aktien aus Corona-Verlierersektoren wie Öl oder Luxusgütern weiterhin mehr Potenzial als bei den Krisengewinnern aus dem Tech- oder Gesundheitssektor.

2. Die nächste Staatsschuldenkrise kommt bestimmt

Die Staatsfinanzen sind in allen Ländern derzeit tiefrot wie sonst nur in Kriegszeiten. Je nach Land belaufen sich die geschätzten Haushaltsdefizite auf 10% bis 20% des Bruttoinlandprodukts.

Das meiste davon wird mit der Notenpresse finanziert. Es drohen deshalb unmittelbar keine Budgetkrisen. Doch sobald sich die wirtschaftliche Lage normalisiert und die Inflationserwartungen steigen, werden sich die Märkte die Frage nach der Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen stellen. Auf die Finanzkrise von 2008 folgte die Euro-Schuldenkrise von 2010-2012. Wehe den schwächsten Gliedern in der Kette. Vielerorts ist die Staatsverschuldung so hoch, dass steigende Zinsen schnell zu einem Kollaps führen könnten, wenn der Run aus den Anleihen eines Landes einsetzt.

Grundsätzlich werden die Notenbanken mit Anleihenkäufen dagegen halten. Die EZB hat ihre diesbezüglichen Vorbehalte und Reglemente längst über Bord geworden. Wir befinden uns deshalb wieder im geldpolitischen Regime der Kriegsjahre und Nachkriegszeit bis 1980.

Doch früher oder später wird sich dadurch die Inflation zurückmelden. Und dann stehen die Regierungen vor der kritischen Frage, ob man die Ausgabenpolitik ein- schränkt oder eine überbordende Inflation samt Währungsverfall zulässt.

3. Die Inflationsgefahr wird unterschätzt

Anders als in der Finanzkrise nach 2008 wird all das neu gedruckte Geld nicht dazu verwendet, um die Löcher in Bankbilanzen zu stopfen, sondern es gelangt mit Direktzahlungen, Steuererlassen und Mehrausgaben direkt in die Taschen der Konsumenten und Unternehmen. Praktisch jeder schwimmt derzeit in Liquidität.

Die Geldmenge M2 (Zentralbankengeld und Sparguthaben) ist etwa in den USA so steil nach oben geschnellt wie letztmals in den 1940er Jahren des Zweiten Weltkriegs (siehe Grafik unten). Die Grafik impliziert, dass die Teuerungsrate bald folgen wird.

Die Grafik zeigt die jährliche Veränderung der Geldmenge M2 (dunkelblau) und der Konsumentenpreise (hellblau) in Prozent. (Quelle: Bloomberg)

Die boomenden Rohstoffpreise – Eisenerz und Kupfer etwa notieren auf 7-Jahres-Höchstständen – zeigen ebenfalls einen baldigen Anstieg der Teuerung an. Einzig der Ölpreis ist momentan noch gedrückt wegen der geringeren Benzinnachfrage. Es fehlt also nur noch der Konsumrausch und das Reisefieber nach Wegfall der Corona-Beschränkungen.

Mit der Corona-Krise hat zudem die Modern Monetary Theory (MMT) den Sprung aus einer akademischen Randgruppe in den Mainstream geschafft.

Fiskaldefizite spielen plötzlich keine Rolle mehr und werden ganz offen mit der Notenpresse finanziert. Ähnlich wie im Krieg werden die Ausgaben zur Bekämpfung des Virus nicht mehr in Frage gestellt.

Es besteht damit ein sehr asymmetrisches Inflationsrisiko nach oben. Gleichzeitig ist am Anleihenmarkt eine extreme Sorglosigkeit auszumachen. Diese Kombination ist höchst explosiv und kann die Portfolios im kommenden Jahr gehörig durcheinander wirbeln. Die Rückkehr der Inflation könnte deshalb das grosse Thema 2021 werden.

Artikel teilen


Konto eröffnen