16.05.2019

Gib der Inflation eine Chance

Mit Blick auf die nächste Finanzkrise steigt die Nervosität der Regierungen und ihrer Notenbanken. Noch mehr Anleihenkäufe und Negativzinsen dürften kaum etwas bringen, höchstens weiteren Unmut in der Bevölkerung wecken. Kein Wunder werden neue radikale Ideen zur Inflationierung erkundet, wie sie etwa die Modern Monetary Theory (MMT) propagiert. Eine Zeitenwende kündigt sich an.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

«Is Inflation Dead?» titelte das Magazin «Bloomberg Businessweek» im April mit dem Bild eines leeren Ballons (siehe nächste Seite). Der Untertitel lautete übersetzt: «Die neue Ära hat beängstigende Nachteile». Es folgte eine Titelgeschichte zu den Risiken einer anhaltend tiefen Teuerung mit neuen Deflationsrisiken in der nächsten Krise.

Titelbilder von Magazinen sind oft gute Gradmesser für den Zeitgeist und gleichzeitig meist antizyklische Signale für eine sich abzeichnende Zeitenwende. Nach der Hochinflationsphase der 1970er Jahre titelte dieselbe «Businessweek» im August vor fast exakt 40 Jahren mit «The Death of Equities – How Inflation is destroying the Stock Market». Wie heute bekannt ist, dauerte es von da nicht mehr lange, bis die Inflationsraten entgegen der Titelgeschichte zu sinken begannen und ein neuer Bullenmarkt für die totgesagten Aktien begann.

Angst vor Deflation und der Unfähigkeit der Regierungen, den Ballon wieder aufzupumpen, hört sich sehr danach an, sich auf den letzten Krieg vorzubereiten. Das Investment erster Wahl in einem solchen Szenario wären langlaufende Staatsanleihen, welche von fallenden Zinsen profitieren würden, wie es seit der Finanzkrise von 2008 geschah.

Natürlich erproben die Notenbanken derzeit mit zahlreichen akademischen Studien den Weg tiefer ins monetäre Minuszins-Regime, um für die nächste Krise gewappnet zu sein. Völlig ignoriert wird dabei die Tatsache, dass diese geldpolitischen Massnahmen bei der Bekämpfung der letzten Krise weitgehend nutzlos waren oder sie sogar verlängert haben – die Wirtschaftserholung seit 2008 war eine der schleppendsten, die es je gab.

Gleichzeitig führten die gedrückten Zinsen zu steigenden Preisen für Vermögenswerte wie Immobilien, Aktien und natürlich Anleihen. Während die Löhne und Konsumentenpreise überraschend tief blieben, kam es durch die geldpolitischen Interventionen zu einer grossen «Asset Inflation». Diese vergrösserte die Vermögensunterschiede in praktisch allen westlichen Industriegesellschaften frappant. Der aufkeimende Unmut in weiten Teilen der Gesellschaft und der politische Siegeszug der Populisten aus dem rechten wie auch linken Lager dürften direkte Folgen davon sein.

Was 40 Jahre für einen Unterschied machen können: Die Titelbilder von «Businessweek» im August 1979 (links) und April 2019 (rechts).

Etwas vereinfacht gesagt, wurden seit der letzten Finanzkrise die monetären Zügel stark gelockert. Die Notenbanken kauften alle möglichen Wertpapiere mit frisch gedrucktem Geld. Gleichzeitig wurden jedoch aus Angst vor Inflation und überbordenden Defiziten im Staatshaushalt die fiskalischen Zügel angezogen. Um es bewusst populistisch auf den Punkt zu bringen: Die Regierenden stützten die Vermögenswerte der Besitzenden mit der staatlichen Notenpresse, sparten gleichzeitig aber bei Ausgaben für den gewöhnlichen Lohnarbeiter und Sozialhilfeempfänger. Wieso wurde die Notenpresse nicht direkt für letztere genutzt? Es gibt schliesslich mehr Stimmen unterhalb der obersten 10% der Vermögenden zu holen.

Eine neue Generation von Politikern und radikale geldpolitische Ideen wie die Modern Monetary Theory, kurz MMT, dürften dafür sorgen, dass in der nächsten Krise nicht nochmals dieselben Methoden wie in der letzten zur Anwendung kommen, sondern ein neuer Weg beschritten wird. 

Die MMT propagiert, dass ein Staat wie die USA ohne Schulden in Fremdwährungen seine Notenpresse direkt und unlimitiert für Staatsausgaben wie Job-Garantien, Sozialausgaben oder Infrastrukturprogramme nutzen kann. Die Notenbank finanziert einfach direkt, was immer dem Staat beliebt – ohne den Umweg über die Ausgabe von Anleihen, die dann wieder am Markt zurückgekauft werden müssen. Die Höhe des Haushaltsdefizits spielt keine Rolle, ebenso die Höhe der Staatsverschuldung in selbst gedruckter Währung. Die einzige Restriktion ist gemäss MMT die Inflation, die früher oder später entstehen wird. Doch etwas mehr Inflation als heute wird von den meisten Proponenten der MMT als wünschenswert angesehen.

Ray Dalio, der einflussreiche Gründer des Hedge-Fund-Giganten Bridgewater Associates, hat Anfang Mai in einem weitbeachteten Essay den Weg für die Anwendung der MMT vorgespurt. Dalio kommt zum Schluss, dass weder weitere Zinssenkungen noch Anleihenkäufe («Quantitative Easing») durch die Notenbanken in der nächsten Krise viel Sinn machen werden. Der sinnvollere Weg sei eine direkte Stimulation über den Staatshaushalt, finanziert mit der Notenpresse.

 «Der Vorteil dieses Ansatzes ist, dass das neu geschaffene Geld besser den gewünschten Anwendungen zugeführt werden kann, als wenn die Notenbank Wertpapiere von den Besitzenden kauft in der Hoffnung, dass diese das Geld dann für den Kauf von anderen Wertpapieren nutzen», schreibt Dalio. Und weiter: «Monetary Policy 3 umfasst geldpolitische Massnahmen, welche mehr auf die Konsumenten ausgerichtet sind als auf Investoren und Sparer.»

Dalio verweist in der Folge auf einige historische Beispiele aus den 1930er Jahren, als die Regierungen der USA, Nazi-Deutschlands und Japans mit der Notenpresse direkt die Deflation der damaligen Weltwirtschaftskrise bekämpften, anstatt den Umweg über die Anleihenmärkte zu gehen. MMT sei letztlich nur ein neues Konzept für eine alte Praxis.

Geld drucken wie in den 1930er Jahren

Die historischen Beispiele zeigen schon, dass wir uns hier politisch auf heiklem Terrain befinden und eine grössere Zeitenwende anstehen könnte. Der Einfluss von Bridgewater bei den Entscheidungsträgern darf nicht unterschätzt werden. Während der Finanzkrise 2008-2009 las US-Finanzminister Tim Geithner jeweils täglich Dalios Marktkommentare, um zu sehen, ob sich die Regierung zur Rettung des Bankensystems auf dem richtigen Weg befand. Es kann damit fast schon als ausgemacht gelten, dass in der nächsten Krise die eine oder andere Stimulations-Massnahme der MMT-Anhänger ausprobiert wird.

Wichtig ist es, an dieser Stelle deutlich die Nachteile dieser «neuen» geldpolitischen Massnahmen zu benennen:

  1. Mehr Staatsausgaben und grössere Defizite kraft der Notenpresse bedeuten, dass der Staat beziehungsweise seine Bediensteten über die Verwendung eines grösseren Teils der Ressourcen einer Wirtschaft entscheiden. Logischerweise führt dies zu einer weniger effizienten Ressourcennutzung und mehr Korruption, als wenn der private Sektor sein eigenes Geld ausgibt.
  2. Mehr Inflation als Folge davon mag zu Beginn positive Effekte haben, wie zum Beispiel die Ungleichheiten zwischen den Lohnempfängern und den Besitzenden einzuebnen. Über kurz oder lang führt eine anhaltend hohe Inflation jedoch zu zahlreichen Verzerrungen im Konsum- und Sparverhalten sowie der Gewinnbuchhaltung der Unternehmen.
  3. Es könnte schwierig werden, eine einmal losgetretene Inflationsspirale wieder zu stoppen. Schliesslich gewöhnen sich die Wähler schnell an den Geldsegen aus der Staatskasse.

Wenn mehr Inflation mit der Notenpresse ein Weg zu anhaltend mehr Wohlstand wäre, würden heute Länder wie Argentinien oder Zimbabwe die Liste der reichsten Nationen anführen.

Gleichzeitig gilt es aber zu betonen, dass es hier nicht um eine politische Wertung von MMT oder der möglichen Tendenz zu mehr Inflationierung gehen soll. Als Investoren müssen wir jedoch sehenden Auges beobachten, wohin sich der Zeitgeist und die Realität entwickeln, anstatt unserem Wunschdenken anheim zu fallen. Darauf zu vertrauen, dass alles beim Alten bleibt oder dass die Politiker es wohl nicht wagen werden, so radikale Ideen auszuprobieren, ist gefährlich. Grosse Vermögen werden jeweils gemacht oder verloren, wenn es zu radikalen Brüchen kommt.

Vermutlich erleben wir mit dem eskalierenden Handelskrieg zwischen Trumps Amerika und China gerade einen solchen radikalen Bruch mit der Nachkriegsordnung. Wie sollte es in der nächsten Rezession – wie nah oder fern sie aktuell sein mag – nicht zu weiteren Umwälzungen kommen?

Konklusionen für Investoren

Einer der grössten Glaubenssätze unserer Zeit ist, dass die Inflation wie auf dem «Businessweek»-Cover so gut wie tot ist und es den Regierungen nicht gelingen wird, mehr Inflation zu kreieren, selbst wenn sie dies wollten. Die MMT und Ray Dalio behaupten jedoch, die Regierungen hättem es bisher nur mit den falschen Mitteln versucht. Die Logik und die Erfahrungen der 1930er wie auch 1970er Jahren zeigen, dass der direkte Einsatz der Notenpresse zu mehr Teuerung führt, solange man es nur entschlossen genug angeht. Was wären die möglichen Folgen für die Anlagestrategie?

  1. Anleihen leiden: Bei steigender Teuerung macht es keinen Sinn, langlaufende Anleihen zu halten – besonders, wenn diese wie derzeit keinen Zins abwerfen. Massive Kaufkraftverluste drohen. Gleichzeitig führte mehr Inflation in den 1970er Jahren auch dazu, dass die Korrelation von Anleihen und Aktien positiv wurde. Das bedeutet, dass sich beide Vermögensklassen tendenziell in die gleiche Richtung entwickelten. Anleihen wären deshalb anders als in den letzten beiden Börsencrashs von 2000-2003 und 2008-2009 keine gute Diversifikation zu Aktien. Zum Parken von Liquidität und als Sicherheitspolster wären Cash und Geldmarktanlagen vorzuziehen.
  2. Gold glänzt: Das gelbe Edelmetall profitiert erfahrungsgemäss von monetären Extremszenarien wie Deflation oder Hochinflation. Bei anderen Rohstoffen kommt es mehr auf die Konjunkturentwicklung an als beim Gold, das primär als Ersatzwährung und «Sicherheitsgeld» gehortet wird. Gold dürfte das empfindlichste Barometer für geldpolitische Experimente sein.
  3. Sachwerte zählen: Mehr Inflation lässt nominale Zahlungsversprechen und Papierwerte leiden, während Sachwerte meistens die Kaufkraft erhalten oder sogar real noch zulegen können. Aktien, Immobilien und Infrastrukturinvestments gehören neben Rohstoffen zu den Sachwerten. Doch Vorsicht bei Immobilien: Diese reagieren erfahrungsgemäss besonders empfindlich auf steigende Zinsen.
  4. Comeback für Value-Aktien? Wenn die Inflationsraten und langfristigen Zinsen steigen, nimmt die Abzinsungsrate zu. Sprich: ein Dollar in einem Jahr oder gar erst in zehn Jahren ist deutlich weniger wert. Value-Aktien, die vor allem auf Grund ihrer gegenwärtigen Cashflows und Buchwerte günstig sind, gewinnen dadurch an Attraktivität gegenüber Wachstumsaktien, welche Gewinne in ferner Zukunft versprechen. Die lange Phase der massiven Underperformance des Value-Stils, die seit 2008 anhält, könnte sich deshalb mit steigenden Inflationsraten dem Ende zuneigen.

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