21.02.2018

Der Kampf mit der Volatilität

Der Kollaps von zwei Milliarden-ETF über Nacht zeigt, dass lange unsichtbares Risiko meist plötzlich wieder auftaucht. Volatilität ist eine Naturgewalt, die sich nicht dauerhaft zähmen lässt. Doch volatile Kurse sind ein Segen für Value-Investoren. Vorsicht ist dagegen angebracht bei Investments, die wenig volatil erscheinen.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

Am 5. Februar 2018 stürzte der Dow Jones in 6 Minuten um 6% in die Tiefe. Der breitere S&P-500-Index erlitt mit -4.1% den stärksten Tagesverlust seit 2011. Damit wurden die Anleger jäh aus dem süssen Traum von stetigen Gewinnen mit Aktien gerissen, der sich immer erst gegen Ende einer langen Hausse einstellt.

Kein Wunder machte sich Selbstzufriedenheit breit, denn 2017 war ein erstaunlich ruhiges Börsenjahr: Gemessen an den täglichen Kursschwankungen im S&P-500-Index und der Zeitspanne ohne eine Korrektur von 3% das wohl harmloseste Börsenjahr überhaupt. Dies zeigte sich auch im Volatilitätsindex VIX: Das Barometer misst die implizit erwarteten Kursschwankungen am Optionsmarkt. Der VIX fiel Ende 2017 auf ein Allzeittief seit Berechnung des Index im Jahr 1990.

Auf anhaltend tiefe und sinkende Volatilität zu setzen, wurde deshalb immer beliebter. Die zwei grössten ETF in dem Segment, der SVXY von ProShares und der XIV der Credit Suisse, begannen den Krisen-Montag mit 3.6 Milliarden Dollar Fondsvolumen. Die Hälfte davon war ihnen allein im Januar auf dem Top zugeflossen, nachdem sie 2017 ein so erfolgreiches Jahr gehabt hatten. Nach der praktischen Verdopplung des VIX am 5. Februar auf 38 Punkte verloren beide ETF über Nacht rund 90% ihres Werts.

Weil die beiden ETF angesichts des massiven Kapitalverlusts ihre Short-VIX-Positionen eindecken mussten, trieben sie das Volatilitätsbarometer weiter in die Höhe und verstärkten die Verkaufswelle am Aktienmarkt, da viele Akteure bei steigender Volatilität automatisch ihre Positionen zwecks Risikomanagement abbauen. Einmal mehr endete ein neuartiges Finanzprodukt, das mit schönen Renditen lockte, über Nacht in einem praktischen Totalverlust (siehe Grafik).

 CS Short VIX ETF
Die prozentuale Wertentwicklung des CS Short VIX ETF (XIV, rote Linie) und des S&P-500-Aktienindex (SPX, schwarze Linie). Nach jahrelanger Outperformance gegenüber dem Aktienmarkt wurde der ETF über Nacht wertlos (Quelle: Bloomberg).

Das Leerverkaufen des VIX ist wie das Verkaufen von ungedeckten Optionen eine Strategie, die lange Zeit schöne Erträge liefern kann und dann auf einen Schlag katastrophale Verluste. «Pennies vor einer rollenden Dampfwalze auflesen», heisst im Wallstreet-Jargon diese Art asymmetrischer Investments.

Gerade weil die Volatilität und der VIX so lange durch diese und ähnliche Strategien unterdrückt wurden, fiel ihre plötzliche Rückkehr umso heftiger aus. Es bestätigt sich das alte Diktum von Hyman Minsky, wonach Stabilität neue Instabilität generiert: Je länger die Volatilität tief war, desto mehr wurden Anleger dazu verlockt, weiter darauf zu wetten und dadurch den VIX nach unten zu drücken. Die selbstverstärkende Spirale dreht sich und dreht sich nach unten, bis sie plötzlich wieder mit umso grösserer Kraft nach oben springt.

Volatilitäten wurden zu lange unterdrückt

Das Hochschiessen des VIX am 5. Februar könnte deshalb nur ein kleiner Vorgeschmack eines viel grösseren Ausbruchs der lange unterdrückten Volatilitäten gewesen sein. Zu lange schon war es an den Aktien- und Anleihenmärkten ruhig. Der schlafende Vulkan hat in den letzten Jahren viele unbedarfte Investoren angelockt, die es sich auf ihm gemütlich gemacht haben.

Direkt sind heute rund 60 Milliarden Dollar in expliziten Short-Vola-Strategien angelegt. Dies ergaben die Berechnungen des Hedge-Fund-Managers Christopher Cole von Artemis Capital. Weitere 1400 Milliarden Dollar setzen nach seiner Schätzung allerdings implizit ebenfalls auf tief bleibende Volatilitäten. Der grösste Block davon sind rund 1000 Milliarden Dollar in boomenden Risk-Parity- und Varianz-Kontroll-Strategien. Im Kern geht es bei diesen Strategien darum, dass die Volatilität einzelner Anlagen als Risikomass zu deren Gewichtung im Portfolio verwendet wird. Wobei Anlagen mit tiefer Volatilität wie zum Beispiel Staatsanleihen im Fall von Risk Parity auch noch mit Kredithebel eingesetzt werden.

Kommt es in einer Anlage zu einem Hochschiessen der Volatilität, so wird deren Gewichtung im Portfolio automatisch reduziert. Durch solche Zwangsverkäufe beschleunigt sich natürlich der Sell-off und die Volatilität der Anlage nimmt weiter zu. Theoretisch kann der selbstverstärkende Prozess zu einem Crash wie 1987 führen, als der US-Aktienmarkt in einem Tag 20% seines Werts verlor.

Da noch nie so viel Geld wie heute in solchen Volatilitäts-empfindlichen Strategien investiert war und diese meistens auch noch voll computerisiert sind, rücken neue Rekorde in Sachen schockartigen Crashs vom Bereich des Möglichen in den Bereich des Wahrscheinlichen.

Bedanken dürfen wir uns dafür einmal mehr bei den realitätsfremden finanzmathematischen Modellen, welche an den Universitäten weiterhin gelehrt werden, obwohl sie schon lange falsifiziert sind. Eine zentrale Prämisse darin ist, dass die Volatilität einer Anlageklasse ihr Risiko widerspiegelt. Entsprechend jagt die Herde der Finanzgenies und ihrer Computermodelle ständig wenig volatilen Investments nach und flüchtet vor solchen mit hohen Kursschwankungen.

Value-Investoren lieben Volatilität, Finanzmodellbauer hassen sie

Genau hier liegt jedoch die grosse Chance für Value-Investoren wie uns. «Preis ist, was du bezahlst; Value ist, was du bekommst», brachte es Superinvestor Warren Buffett auf den Punkt: Die Volatilität bezieht sich allein auf die Schwankungen des Preises eines Investments und ignoriert völlig den Wert, den man dafür kriegt. Je mehr die Preise um den geschätzten Wert eines Investments schwanken, desto mehr Chancen eröffnen sich dem wertbewussten Investor.

Um ein einfaches Beispiel zu nehmen: Ein globales Nahrungsmittel-Unternehmen wie Nestlé erwirtschaftet seit Jahrzehnten relativ stabile Gewinne und Free Cashflows. Diese wachsen zwar nicht mehr gross, aber es ist angesichts der breiten Diversifikation über Märkte und Produkte auch sehr unwahrscheinlich, dass sie über Nacht kollabieren. Entsprechend kann man den ungefähren Wert der zukünftigen Cashflows von Nestlé abschätzen. Fällt nun die Nestlé-Aktie in einem globalen Flash-Crash über Nacht um 50%, ist dann ein Investment in die Aktie riskanter geworden oder nicht?

Ja, sagen der Finanzmarkt-Professor und seine Finanzmodellbau-Jünger, da die Volatilität der Aktie gestiegen ist. Nein, sagt der Value-Investor, der nun den gleichen Wert zum halben Preis bekommt. Und während der varianz-bewusste Investor nun die Gewichtung von Nestlé im Depot reduzieren wird, kauft der Value-Investor dazu. Je launischer die Märkte und stärker schwankend die Preise, desto besser für ihn.

Risiko aus Sicht des Value-Investors

Doch was ist aus unserer Value-Sicht das Risiko beim Investieren, wenn es nicht die Volatilität ist? Knapp gesagt: Risiko ist, dass es anders kommt, als man denkt. Dies bezieht sich allerdings auf die Fundamentaldaten, nicht die Kurse. Ein Risiko ist zum Beispiel, dass die zukünftigen Cashflows eines Unternehmens tiefer ausfallen als erwartet. Höhere Cashflows dagegen sind natürlich kein Problem, sondern sehr willkommen.

Entsprechend versuchen wir bei unseren Analysen immer auch abzuschätzen, wie gross die Bandbreite der möglichen zukünftigen Cashflows sein wird. Natürlich mögen wir grundsätzlich lieber Firmen mit guter Voraussehbarkeit wie etwa Nestlé anstatt solche mit grosser Unsicherheit wie etwa zyklische Aktien (siehe Ausgabe vom Januar).

Aber der Preis eines Investments ist der zweite Faktor, mit dem sich der Value-Investor vor Risiko schützen kann: Wenn etwas sehr billig ist, kriegt man eine grosse Sicherheitsmarge gegen mögliche Schätzfehler und ungünstige Entwicklungen in der Zukunft. Wenn also zum Beispiel ein stabiles Unternehmen wie Nestlé aktuell mit 4% Free-Cashflow-Rendite gekauft werden kann und ein zyklisches Unternehmen mit unsicherer Zukunft auch mit 4%, so kaufen wir natürlich lieber Nestlé. Offeriert einem der launische Markt dagegen einen Zykliker mit 20% Rendite, so verschiebt sich unsere Präferenz in die andere Richtung. Jetzt werden wir für das Risiko, dass es anders kommt, als wir denken, vermutlich hinreichend entschädigt.

Risiko beim Investieren setzt sich für uns folglich aus zwei Komponenten zusammen: 1. Die Unsicherheit der zukünftigen Free Cashflows. 2. Der Preis, den man dafür bezahlen muss.

Die Volatilität eines Investments ist uns dagegen komplett egal. Sie ist ohnehin oft trügerisch. Ein gutes Beispiel neben dem gerade implodierten Short-Vola-ETF sind Bankaktien während eines Immobilien-Booms: So lange die Wirtschaft brummt und die Häuserpreise steigen, verzeichnen die Banken kaum Kreditausfälle und können stetig höhere Gewinne verbuchen. In den Zahlen und den Aktienkursen ist wenig Volatilität sichtbar. Gleichzeitig blähen die Kredite jedoch auch die Bankbilanz auf. Kommt es dann zum Crash, sind die Banken dadurch maximal exponiert und kommen wegen des Hebels zum Eigenkapital meistens auf einen Schlag in Todesgefahr. So geschehen zuletzt mit US-Banken im Jahr 2008 oder südeuropäischen Banken nach 2012.

Immobilien-Blasen erscheinen bis zu ihrem Platzen wenig volatil

Das grösste Risiko unserer Tage haben aber nicht diese in der jüngeren Vergangenheit sehr volatilen Banken, sondern solche aus Nordeuropa, Kanada oder der Schweiz, welche relativ gut durch die Finanzkrise kamen und einen anhaltenden Immobilienboom reiten konnten. Dort hat sich unter der ruhigen Kursoberfläche viel Kreditrisiko aufgestaut. Die Volatilität wurde sozusagen versteckt und droht, in der nächsten Krise auf einen Schlag sichtbar zu werden.

Auch andere populäre Anlagen dieser Tage weisen in unseren Augen ein grosses verborgenes Risiko auf, selbst wenn sie wenig volatil erscheinen. Namentlich sind dies Private Equity und die oben schon erwähnten Immobilien. Beide Anlageklassen wurden in den letzten Jahren gerade deshalb so beliebt, weil sie im Vergleich zu Aktien weniger volatil erschienen. Die Hauptursache ihrer schönen Performance waren jedoch vermutlich die ständig fallenden Zinsen, welche die Bewertungen nach oben trieben und gleichzeitig den Einsatz von Kredithebeln umso lukrativer machten.

Steigende Zinsen treiben die Volatilität

«Volatilität ist der Bruder des Kredits», bringt es Christopher Cole auf den Punkt. Wenig volatil erscheinende Investments wie Immobilien werden oft mit Krediten so lange nach oben gehebelt, bis sie nicht mehr stabil sein können: Der Hebel ist so gross, dass der leichteste Preisrückgang oder Zinsanstieg reicht, um das Schuldengebäude zum Einsturz zu bringen. Rekordhohe Haushaltsverschuldungen in Ländern mit Immobilien-Blasen wie der Schweiz, Australien, Kanada oder den skandinavischen Ländern dürften schon bald böse enden, wenn sich der Trend zu höheren Zinsen fortsetzt.

Steigende Zinsen werden generell zu volatileren Preisen von Vermögenswerten führen – die Anleger hatten es diesbezüglich mit Zinsen auf Jahrhunderttiefstständen zu lange zu gut und die Volatilitäten wurden dadurch zu lange unterdrückt. Dies gilt auch für den Aktienmarkt: Viele Unternehmen nutzten die tiefen Zinsen, um ihre Verschuldungen auf ein rekordverdächtiges Niveau zu treiben. Je mehr Fremdkapital die Bilanz einer Firma aufweist, desto grösser ist logischerweise der Hebel, der auf das Eigenkapital und damit den Wert der Aktie wirkt – sie wird zwangsläufig volatiler: Und zwar nicht unbedingt der Kurs, aber sicherlich ihr fairer Wert.

Die Angst vor mehr Volatilität der Fundamentaldaten ist es deshalb, die uns generell vor überschuldeten Unternehmen zurückschrecken lässt. Die Aktien im Quantex Global Value Fund wie auch im Quantex Nebenwerte Fund weisen im Durchschnitt Netto-Cash in der Bilanz auf. Dies steht im krassen Gegensatz zur deutlichen Netto-Verschuldung des Gesamtmarkts. Das schöne dabei ist: Für diese Titel mit grundsoliden Bilanzen mussten wir keine Bewertungsprämie bezahlen, da der Markt bezüglich der Schuldenfrage noch zu sorglos ist. Damit minimieren wir zumindest eine mögliche Quelle der Volatilität für unsere Fundamentaldaten. Wie volatil die Kurse in nächster Zeit jedoch sein werden, können wir nicht beeinflussen. Grundsätzlich gilt: Je mehr Vola, desto besser.

 


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