13.09.2021

Der Dollar tanzt am Abgrund

Der unrühmliche Abzug aus Kabul hat eindeutigen Symbolcharakter, der den geopolitischen Rivalen der USA nicht entgangen ist. Doch viel schwerer wiegt die akute strukturelle Schwäche der amerikanischen Geld‐ und Fiskalpolitik. Nur noch die Gier der Anleger nach US‐Techaktien bewahrt den Dollar vor dem nächsten Absturz.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

Die Worte der Zentralbank-Experten waren ungewohnt deutlich: «Seit der Pandemie haben [diese Volkswirtschaften] massive fiskalische und geldpolitische Stimulusprogramme gestartet, welche nicht nur den Inflationsdruck erhöhen, sondern auch zu Spekulationsblasen geführt haben.» Gemeint sind nicht irgendwelche strukturschwachen Schwellenländer, sondern die etablierten Volkswirtschaften des Westens, allen voran die Vereinigten Staaten. «Die USA sind mit dem grössten Inflationsrisiko konfrontiert auf Grund der grossen Abweichung des Geldmengenwachstums vom Wirtschaftswachstum.»

Die Zeilen entstammen dem jüngsten Quartalsbericht der People’s Bank of China. Und die Experten der chinesischen Zentralbank haben völlig recht: Die rein objektiv unverantwortlichste Geld- und Fiskalpolitik von allen Staaten fahren derzeit die USA, dicht gefolgt von den Ländern der Eurozone und Grossbritannien. Alle gängigen Kennzahlen der USA sind derzeit so schlecht, dass sie einen massiven Währungsverfall des Dollars erwarten lassen (siehe Tabelle unten).

Während die Zentralbanken von Ländern wie Brasilien, Russland oder Korea zur Inflationsbekämpfung bereits wieder die Zinsen anheben, schiebt das Federal Reserve der USA dies auf die lange Bank.

Allenfalls über eine Reduktion der monatlichen Anleihenkäufe von 120 Milliarden Dollar wird als erster Schritt nachgedacht. Der grösste Inflationsschub seit Jahrzehnten wird als «transitorisch» abgetan.

Die Technokraten des Westens machen derzeit in Sachen Geld- und Fiskalpolitik all die Fehler, für die sie die Entwicklungsländer während Jahren und Jahrzehnten gerügt haben. Doch können sich die westlichen Industriestaaten den ökonomischen Grundgesetzen entziehen, welche sie selbst so lange gepredigt hatten? Oder gelten für eine Weltreservewährung wie den Dollar ganz eigene Regeln?

Fiskalpolitik, Inflationsrate und Leistungsbilanz

Nach gängiger Lehre sind es vor allem drei Faktoren, welche längerfristig über die Kaufkraft einer Währung entscheiden:

  1. Schlecht ist eine stark expansive Fiskalpolitik, also wenn der Staat deutlich mehr ausgibt als er einnimmt und das Defizit mit der Notenpresse finanziert.
  2. Liegen die Leitzinsen unter der Inflationsrate, die Realzinsen sind also negativ, verlieren Guthaben in dieser Währung an Kaufkraft und sind somit für Anleger und Sparer unattraktiv.
  3. Die Leistungsbilanz als Saldo der Handels- und Kapitalströme gibt an, ob ein Land sich im Ausland netto verschuldet oder Guthaben aufbaut.

In der Praxis haben sich diese Kennzahlen bewährt: Länder mit positiver Leistungsbilanz und Fiskaldisziplin wie die Schweiz, Japan oder Deutschland hatten über die letzten fünfzig Jahre seit dem Ende des Bretton-Woods-Systems die stärksten Währungen.

Ein kurzer Blick auf die aktuellen Kennzahlen zeigt, wie miserabel die USA und der Dollar derzeit dastehen (siehe Tabelle).

Die USA sehen derzeit in allen währungsrelevanten Kennzahlen schlecht aus (rote Färbung): Das grösste Fiskaldefizit, die schlechteste Leistungsbilanz und die zweithöchste Inflationsrate bei gleichzeitig praktisch null Zinsen. (Quelle: Bloomberg)

Natürlich sind Prognosen über den drohenden Untergang des Dollars ein wiederkehrendes Thema in der Finanzberichterstattung. Typischerweise schaffte es der schwache Greenback vor allem dann auf die Titelseiten, nachdem er schon eine gute Weile gefallen war. Negative Presse ist daher meistens ein Signal, das eine baldige Gegenbewegung anzeigt:

Derzeit ist es erstaunlich ruhig um die US-Währung geworden. Die spannende Frage ist deshalb: Wieso ist der Dollar nicht schon längst wieder ins Rutschen gekommen?

Zum einen wird der Greenback sicherlich durch den Mangel an Alternativen gestützt. Die USA sind nicht das einzige Land, das derzeit in Sachen Geld- und Fiskalpolitik einer Bananenrepublik ähnelt. Die Eurozone und Grossbritannien sehen fundamental nur wenig besser aus.

Zum anderen ist es aber vor allem der anhaltende Hunger der Anleger nach amerikanischen Vermögenswerten, welcher dem Dollar Auftrieb gibt. Insbesondere die Megacaps des Techsektors wie Apple, Alphabet und Microsoft sind es, welche weiterhin viel Geld anziehen. Kurzfristig können solche Geldströme die fundamentalen Schwächen einer Währung überdecken. Das war in der letzten Technologieblase um das Jahr 2000 nicht anders. Selbst als der Nasdaq-Index nach dem Top im März 2000 schon abbröckelte und als nach den Anschlägen des 11. September 2001 der teure «Krieg gegen den Terror» absehbar war, wurde der Dollar noch eine gute Weile weiter gekauft. Im Januar 2002 begann dann der letzte grosse Abwärtstrend, der bis 2011 anhielt.

Wie Julian Bridgen von Macro Intelligence vorrechnet, flossen in den letzten drei Jahren 81% aller ETF-Gelder in den US-Markt. Andere Länder wie Deutschland, Frankreich oder Russland verzeichneten sogar Abflüsse. Doch wie schon nach dem Jahr 2000 drohen sich diese Anlageströme nach dem Platzen der Techblase umzukehren und damit den Druck auf den Dollar zu erhöhen.

Das exorbitante Privileg der USA

Der Dollar wird aber vor allem auch durch seinen Status als Haupthandelswährung gestützt, der dazu führt, dass ihn viele Zentralbanken, Privatanleger und Unternehmen als Reservewährung halten. Weil die Handelspartner der USA ihre durch den Verkauf von Gütern erhaltenen Dollars gerne horten, können es sich die Amerikaner mehr als alle anderen Nationen leisten, mit frisch gedrucktem Geld ständig über ihre Verhältnisse zu leben. Dieses «Exorbitante Privileg», wie es der französische Finanzminister Valéry Giscard d'Estaing schon in den 1960er Jahren nannte, ist jedoch nicht für alle Zeit in Stein gemeisselt. Drucken die USA zu viele Dollars, schwindet ihre Akzeptanz als Reservewährung. Prominente Kritiker der US-Geldpolitik unserer Tage sind etwa die Hedge-Fund-Manager Stanley Druckenmiller und Ray Dalio. Sie warnen vor dem möglichen Verlust des Status als Reservewährung.

Der Aufstieg Chinas kratzt am Lack des Dollars

Die geopolitische Lage verändert sich zudem rasant mit dem Aufstieg Chinas. Machte das Reich der Mitte im Jahr 2000 nur 4% des Welthandels aus, waren es 2019 schon 15%. Das ist fast das Doppelte des US-Anteils. China ist das Ziel von US-Sanktionen geworden und versucht nun verstärkt, den Yuan als Handelswährung zu entwickeln. Gemäss dem SWIFT-Report werden zwar erst 2.4% des Zahlungsverkehrs in Yuan abgewickelt. Doch der Anteil der chinesischen Währung wächst rasant. Derjenige des Dollars fiel im vergangenen Jahr von 40.8% auf 38.3%.

Logischerweise führten gerade die amerikanischen Sanktionen der letzten Jahre gegen China und Russland dazu, dass die beiden Länder inzwischen mehr als 50% ihres Handels untereinander in den eigenen Währungen abwickeln. Wie die chinesische «Global Times» berichtet, fand der Handel zwischen China und Russland im Jahr 2015 noch zu 90% in US-Dollar statt. Russland hat zudem seine Währungsreserven inzwischen völlig «entdollarisiert» angesichts der ständigen Sanktionsdrohungen über das dollarbasierte internationale Finanzsystem.

Fazit für Investoren

Der Dollar ist weiterhin die dominante Währung und wird es wohl noch für geraume Zeit bleiben. Es ist jedoch vor allem das momentane Bedürfnis der Anleger, Dollars und US-Vermögenswerte zu horten, welches den Greenback stützt. Fundamental gesehen, ist die amerikanische Währung derzeit so marode wie selten zuvor.

Als Anleger sollte man sich deshalb besser zwei Mal überlegen, ob man wirklich so hohe Anteile in US-Wertpapieren halten will, wie die marktgewichteten Indizes derzeit vorgeben. Aktuell wären es nach dem MSCI-World-Index 67% für US-Titel. Amerikas Aktien sind zudem die am höchsten bewerteten der Welt und seine Anleihen weisen angesichts der hohen Inflation die schlechtesten Realzinsen auf.

Anlagen in die Währungen oder Anleihen von Emerging Markets wie China oder Russland mögen riskanter oder politisch unkorrekt erscheinen. Entgegen ihrem Image handeln diese Länder in Sachen Geld- und Fiskalpolitik jedoch verantwortungsbewusster als es die USA derzeit tun. Man könnte auch sagen, sie haben angesichts ihres schlechten Images keine andere Wahl, als so zu handeln. Die USA können sich dagegen einen gewissen Schlendrian erlauben.

Aber es gibt auch noch weitere Alternativen. Gold und Rohstoffe sind zwei Anlageklassen, die in der Vergangenheit meistens von einer Schwächephase des Dollars profitieren konnten.

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