14.03.2023

Am Ende des Plattform-Zyklus

Die drei grossen Plattform-Konzerne Facebook, Google und Amazon nähern sich dem Ende ihres Lebenszyklus an: Monetäre Interessen haben jeglichen Zusatznutzen für die Anwender aufgezehrt. Sie sind reif für die Disruption durch neue Konkurrenten. Für die Aktionäre der drei Megafirmen ist vom grossen Boom erstaunlich wenig übriggeblieben.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

«Googlen ist auch nicht mehr, was es mal war», damit lässt sich wohl die Erfahrung zusammenfassen, die man als Anwender diese Tage ständig machen muss: Berge von nur noch minimal gekennzeichneten Anzeigen, massenweise Links zu konzerneigenen Seiten wie Youtube und rückvergütete Durchklick-Links zu lokalen Medienpartnern begraben das Bisschen an echten und treffenden Resultaten, für welche die Suchmaschine einst so berühmt wurde.

Es ist ein offensichtlicher Interessenskonflikt am Werk: «Durch Werbung finanzierte Suchmaschinen werden eine inhärente Neigung haben, ihre Werbekunden zu bevorteilen auf Kosten der Bedürfnisse ihrer Benutzer.» Dies schrieben zwei Stanford-Studenten 1998 in einem Essay. Es waren die Google-Gründer Larry Page und Sergei Brin, die später für ein paar Milliarden mehr ihre Vorsätze auf den Müllhaufen der Geschichte warfen.

Nun türmt sich der Müll in den Suchresultaten der Google-Nutzer. «Enshittification» nennt der Internet-Guru und Science-Fiction-Autor Cory Doctorow wenig schmeichelhaft den Prozess, bei dem zu Beginn nützliche Plattformen wie Google über die Zeit mit Scheisse angereichert werden, bis am Schluss nur noch ein grosser stinkender Haufen übrigbleibt. Angewidert werden die Benutzer die erstbeste Gelegenheit ergreifen, um das Weite zu suchen. Damit endet der Plattform-Zyklus und ein neuer beginnt.

Doctorow beschreibt den typischen Verlauf des Zyklus wie folgt: Zuerst versuchen neue Anbieter, möglichst viele Kunden auf ihre Plattform zu locken. Google lieferte treffende Suchresultate. Amazon offerierte ein riesiges Angebot an Konsumgütern mit tiefen Versandkosten. Facebook offerierte ein soziales Netzwerk, dass rasch an Beliebtheit gewann, weil es ermöglichte, mit Freunden und entfernten Bekannten in Kontakt zu bleiben.

Falls eine kritische Grösse erreicht wird, spielen zwei Faktoren für die Plattform-Firmen und beschleunigen ihr Wachstum: Der Netzwerk-Effekt macht sie umso attraktiver, je mehr andere Leute sie nutzen. Am offensichtlichsten ist dies bei Metas Facebook und Whatsapp. Hohe Wechselkosten («Switching Costs») erschweren den Nutzern zudem den Absprung. Wenn alle Freunde und die Fussball-Gruppe der Kinder auf Whatsapp sind, wird es schwierig, alle zu einem koordinierten Wechsel zu einer anderen Messenger-App zu bewegen. Wenn man eine Riesensammlung von E-Books und Musik auf Amazons Plattform gekauft hat, will man diese nicht verlieren und so weiter.

Damit beginnt die zweite Stufe, die viel zitierte Monetarisierung der Nutzerbasis. «Die Plattformen locken Firmenkunden an, indem sie den Nutzen von den Anwendern zu den Werbetreibenden verschieben», beschreibt Doctorow diesen Prozess. Ein riesiges Potenzial an Kunden ist mit gezielter Werbung erreichbar. Das zieht die Firmen magisch an. Doch auch ihre Freude währt nicht ewig.

Auf der finalen Stufe werden die Werbetreibenden gegeneinander ausgespielt

Die dritte und finale Stufe im Zyklus ist es, die nun an die Plattform gebundenen Werbekunden und Produktverkäufer gegeneinander auszuspielen. Es reicht nicht mehr, auf Amazon den besten Dosenöffner anzubieten – die Firmenkunden müssen plötzlich für das Privileg bezahlen, dass die Plattformnutzer ihr Produkt auch finden.

Amazons steigende «Werbeeinnahmen» sind ganz einfach die Gelder, welche die Verkäufer seit geraumer bezahlen müssen, um überhaupt noch beachtet zu werden. Amazon ist sich auch nicht zu schade, gutlaufende Produkte auf seinem Marktplatz zu kopieren und auf eigene Rechnung anzubieten – ausser der Firmenkunde zahlt Lösegeld, also Werbung.

Bei Google ist die Degeneration mittlerweile schon so weit, dass Anbieter von Dienstleistungen wie Handwerker, Nannies oder Restaurant-Lieferservices für Werbung bezahlen müssen, damit Drittparteien und Zwischenhändler sich nicht in die Suchresultate vor sie schieben, um ein paar Dollars Provision abzugrasen. Die Startup-Welt der letzten Jahre ist voll von solchen unproduktiven Zwischenhändlern mit geringem Nutzen für die Gesellschaft aber grossem Online-Werbebudget.

Auf Metas Netzwerken können die Betreiber von Kanälen längst nicht mehr sicher sein, dass selbst ihre Abonnenten etwas davon zu sehen kriegen – ausser natürlich, sie bezahlen für Werbung, um vor all den anderen Werbetreibenden sichtbar zu bleiben. Das ist in etwa so als wenn Zeitungsverlage die Post bestechen müssten, damit ihre Zeitungen wirklich zugestellt werden und nicht verloren gehen, weil der Briefkasten schon voll mit Werbemüll war.

Profitieren die Aktionäre wirklich davon?

«Wenn eine Plattform alle Nutzer und Firmenkunden an sich gekettet hat, kann sie den Service mit Scheisse anreichern, ohne welche davon zu verlieren. Dann wird der ganze nützliche Überschuss zu Gunsten der Aktionäre der Plattform verschoben», bringt es Doctorow auf den Punkt. Doch hier hat Doctorow, bei dessen Texten immer eine ordentliche Portion Kapitalismuskritik mitschwingt, nur bedingt recht. Zwar konnten die drei grossen Plattformen Amazon, Alphabet und Meta in den letzten Jahren hohe Free Cashflows einfahren. Für die Anleger blieb davon aber so gut wie gar nichts übrig. Wie die untenstehende Tabelle zeigt, wurden damit keine Dividenden gezahlt. Und obwohl teils riesige Summen in Aktienrückkäufe flossen, ist die Zahl der ausstehenden Aktien bei keiner der drei Firmen gesunken. Die Rückkäufe haben einfach die Verwässerung durch all die an die Mitarbeiter verschenkten Aktien und Optionen verhindert – oder wie im Fall von Amazon und Facebook noch nicht einmal das (siehe Tabelle). Der Überschuss floss an die Angestellten, nicht die Aktionäre.


Über die letzten elf Geschäftsjahre haben die drei Plattform-Firmen viel Free Cashlfow ausgewiesen, aber netto ist davon nichts über Dividenden oder eine Reduktion der Aktienzahl bei den Investoren angekommen. (Quelle: Bloomberg)

Wer nie eine Aktie der drei Plattformen verkauft hat, sitzt nur auf Buchgewinnen und hat noch keinen Cent gesehen. Gleichzeitig steigt jetzt das Absturzrisiko: Denn eigentlich wollen inzwischen so gut wie alle Plattform-Nutzer so schnell wie möglich weg und werden nur noch durch Switching Costs und Netzwerk-Effekt gefangen gehalten. Sobald aber eine valable Alternative auftaucht, dürften die Dämme brechen.

Die grossen Plattform-Konzern sind heute in einer sehr verwundbaren Position, gerade weil sie so profitabel geworden sind und den letzten Cent aus ihren Nutzern und Firmenkunden herauspressen. Sie sind anfällig für die viel zitierte Disruption durch neue Konkurrenten geworden, welche den Anwendern mehr Zusatznutzen bieten.

Aus dieser Optik ist es auch gefährlich, die drei Firmen allein auf Grund ihrer hohen Marktkapitalisierung als grundsolide Blue Chips zu betrachten. Ihre Indexgewichtung ist hoch, aber genauso ihre Verwundbarkeit. In den Quantex-Fonds halten wir bei den Blue Chips lieber Aktien von Firmen wie Anheuser-Busch, Shell oder Philip Morris, welche seit 100 Jahren dasselbe Produkt verkaufen – ihr Disruptionsrisiko ist wesentlich geringer. Die Chance dagegen, dass Meta, Amazon und Alphabet in 100 Jahren oder auch nur schon 10 Jahren noch bedeutend sein werden, ist in unseren Augen gering.

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