13.12.2023

Lektionen von Onkel Charlie

Mit dem Tod von Charlie Munger verlor Warren Buffett seinen wichtigsten Partner im Erfolg. Value-Investoren müssen künftig auf eine Quelle der Inspiration und des Wortwitzes verzichten: Welche Lektionen wir von Onkel Charlie gelernt haben oder immer wieder neu lernen müssen.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

Charles Thomas Munger verstarb am 28. November im Alter von 99 Jahren. Zusammen mit Warren Buffett führte er die Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway über Jahrzehnte zu ihrem legendären Erfolg. Munger war der eher wortkarge und teils schroff-direkte und grummelige Partner von den beiden. Mit einem Vermögen von rund 2.5 Milliarden Dollar wurde er wegen seines späteren Einstiegs bei Berkshire auch bei weitem nicht so reich und berühmt wie der charismatischere Buffett. Doch sein Einfluss auf den Erfolg Berkshires und die Anlagephilosophie ihres Gründers kann kaum überschätzt werden. Munger war der massgebliche Faktor, dass Buffett seinen Anlagestil von schrottbilligen Value-Aktien in Richtung Qualität verän-derte. Es ist deshalb angebracht, dass wir uns die besten Zitate von Onkel Charlie nochmals zu Gemüte führen.

«Beim Investieren geht es darum, grossartige Unternehmen zu finden und dann auf seinem Hintern zu sitzen.»

Mungers Zitat klingt simpel, ist aber in der Praxis wesentlich schwieriger umzusetzen als gesagt. Was macht ein grossartiges Unternehmen aus? Wie unterscheidet man es von einem mittelmässigen, dass gerade einen grossartigen Lauf bei den Gewinnen hat? Besitzt Nvidia etwa tatsächlich einen anhaltenden Wettbewerbsvorteil beim Design von High-End-Chips? Oder profitiert die Firma nur vorübergehend vom laufenden Hype in Sachen AI? Am schwierigsten für professionelle Investoren ist aber zweifellos der zweite Teil: Wenn man sich den ganzen Tag mit der Börse beschäftigt und dafür bezahlt wird, etwas mit dem Geld der Anleger zu tun, fällt das auf dem Hintern Sitzen unglaublich schwer. Dabei wäre dies gemäss Munger der wichtigste Teil:

 «Das grosse Geld liegt nicht im Kaufen oder Verkaufen, sondern im Warten.»

Wie erkennt man also ein grossartiges Unternehmen?

«Es gibt zwei Arten von Unternehmen: Das erste erwirtschaftet zwölf Prozent und man kann die Gewinne Ende Jahr rausnehmen. Das zweite erwirtschaftet zwölf Prozent, aber der ganze Gewinn muss reinvestiert werden.»

Hier geht es um das Thema Gewinn und Kapitalintensität versus freien Cashflow. Gute Unternehmen brauchen wenig Kapital, um zu wachsen. Sie erwirtschaften viel Free Cashflow, den sie an die Aktionäre ausschütten können in Form von Dividenden oder Aktienrückkäufen. Bei einer Software-Firma zum Beispiel wird gar kein Kapital benötigt, um weitere Kopien oder Abos zu verkaufen. Weniger gute Unternehmen müssen Kapital investieren, um wachsen zu können. Ein Industriekonzern, der die Produktion verdoppeln will, kommt nicht darum herum, neue Fabriken zu bauen. Am schlechtesten dran sind Unternehmen, die ständig viel Kapital investieren müssen, um nur schon im Geschäft zu bleiben: Ein Bergbau-Konzern zum Beispiel, dessen Mine sich über die Zeit erschöpft. Dann braucht der Konzern Kapital, um eine neue Mine zu bauen und wieder gleichviel Metall wie zuvor schürfen zu können. Miserabel sind auch die Autobauer dran, die derzeit Hunderte von Milliarden investieren, um die Produktion auf Elektroautos umzustellen und dann wieder gleichviele Wagen zu verkaufen wie zuvor – ohne Aussicht auf höhere Gewinne pro Stück.

«Wenn ein Business 18% auf dem Kapital verdient über 20 oder 30 Jahre, wird man ein gutes Resultat erhalten, selbst wenn man einen teuer erscheinenden Preis bezahlt.»

Über die Zeit kann man gute Unternehmen an einer stetig hohen Kapitalrendite erkennen, gemessen zum Beispiel am Return on Invested Capital (ROIC). Da wenig Kapital ins Geschäft investiert werden muss, ist die Gewinnrendite auf dem Kapital hoch. Charlie Munger ist überzeugt, dass sich solche Firmen über die Zeit als die besseren Investments erweisen. Die Frage ist aber trotzdem, welches der richtige Preis dafür ist. Apple zum Beispiel ist zweifellos ein hervorragendes Unternehmen mit einem fantastischen ROIC von derzeit 48%. Doch der Preis von 30mal Free Cashflow ist teuer. Als Buffett und Munger 2016 bei Apple eingestiegen waren, wurde der Titel bei nur 10mal Free Cashflow gehandelt.

«Ein grossartiges Unternehmen zu einem fairen Preis ist besser als ein faires Unternehmen zu einem grossartigen Preis.»

Dieser Spruch ist zum Mantra von Buffett und Munger geworden. Traditionell versuchten Value-Investoren vor allem günstige Aktien zu kaufen. In den 1970er Jahren wandelte sich der Stil Buffetts jedoch hin zu «Qualität zu einem fairen Preis». Gleichwohl stellt sich die Frage, ob dieses Mantra immer gilt: Wann ist der Preis für Qualität nicht mehr fair, sondern einfach zu hoch? Und wie billig sind die mässig guten oder fairen Unternehmen auf der anderen Seite? Mit der Rotation des Value-Stils im Quantex Global Value versuchen wir, diesen Schwankungen Rechnungen zu tragen. Wenn Qualitätstitel zu teuer und die mässig guten Firmen wirklich schrottbillig sind, verlassen wir Mungers Pfad und versuchen Titel zu grossartigen Preisen zu kaufen.

«Wenn man etwas kauft, weil es unterbewertet ist, muss man über den Verkauf nachdenken, wenn es sich dem berechneten fairen Wert annähert. Das ist schwierig. Aber wenn man grossartige Unternehmen kauft, kann man auf seinem Hintern sitzen. Das ist eine gute Sache.»

Der Verkauf ist tatsächlich die grösste Schwierigkeit, je näher ein Titel bei seinem geschätzten Fairen Wert notiert. Mit diesen Entscheidungen haben wir als Fondsmanager ständig zu kämpfen. Für langfristiges Buy&Hold eignet sich Mungers Stil mit Fokus auf grossartige Unternehmen besser.

«Die erste Regel der Aufzinsung: Unterbreche den Prozess nie unnötig.»

Selbst wenn man ein grossartiges Unternehmen zu einem fairen Preis hat kaufen können, gibt es immer wieder verlockende Alternativen – seien es andere Qualitätstitel oder schrottbillig gewordene Value-Aktien. Die Liste der hervorragenden Unternehmen, die einst im Global Value Fund waren und viel zu früh von uns verkauft wurden, ist lang und das Ausmass der entgangenen Gewinne erschreckend: Mastercard verkauft im Oktober 2015 zu 97 Dollar, heute bei 415 Dollar. Oder Microsoft, verkauft im Juli 2012 bei 29 Dollar. Aktuell wird der Titel bei 371 Dollar gehandelt. Der extremste Fall: Nvidia kauften wir als billigen Value-Titel im Mai 2013 zu Split-bereinigten 3.45 Dollar und verkauften sie im Oktober 2015 bei knapp 7 Dollar. Ein schöner Gewinn, konnte man damals meinen. Heute liegt der Preis der Aktie bei 466 Dollar. Natürlich ist bei diesen Betrachtungen viel Hindsight-Bias dabei – 2015 war es noch lange nicht absehbar, dass Nvidia zum dominanten Hersteller von Chips für Krypto-Mining oder AI werden würde. Auch wird der Titel heute zu sehr hohen 65mal Free Cashflow gehandelt. Klar ist dennoch, dass unser grösster Fehler als Investoren in der Regel darin besteht, den Prozess der Aufzinsung bei wirklich guten Unternehmen unnötig zu unterbrechen.

«Erkennen, was man nicht weiss, ist der Anfang der Weisheit.»

Etwas mehr Bescheidenheit tut Investoren generell gut. Besonders bei Profis verbreitet ist die Tendenz, umfangreiche Prognosen zu Volkswirtschaften, Zinsen, Währungen und der Zukunft von Technologien und Sektoren zu erstellen. Alles Dinge, die gemäss empirischen Studien und unserer Erfahrung nicht einmal annährend vorhersehbar sind. Dennoch wird vielerorts ausgehend von solchen Prognosen top-down investiert. Bei uns bleiben volkswirtschaftliche Prognosen ganz aus unserem Anlageprozess draussen. Grossartige Unternehmen und wirklich billige Aktien sind einfacher zu erkennen als zu wissen, wer die nächsten Präsidentschaftswahlen gewinnt und wo der Dollar dann Ende Jahr steht.

 «Wir haben drei Körbe beim Investieren: Ja, nein und zu schwierig zu verstehen.»

Wie Munger und Buffett immer wieder betonen, geht es im Kern darum, die Grenzen des eigenen Kompetenzbereichs zu erkennen. Von Firmen, Ländern oder Technologien, die man nicht versteht, lässt man besser die Finger.

 «Viele Leute mit hohen IQs sind schlechte Investoren, weil sie ein schlechtes Temperament haben.»

Selbstüberschätzung, Ungeduld, Gier, übertriebene Ängstlichkeit oder zu viel analytisch bedingtes Zaudern spielen auch intelligenten Menschen beim Investieren ständig Streiche, die viel Performance kosten. Der Schlüssel zum Erfolg an der Börse liegt darin, die eigenen Emotionen im Griff zu haben. Ein hoher IQ und imposante Diplome bringen dagegen wenig bis gar nichts und erweisen sich oft sogar als schädlich, da sie leicht zu Selbstüberschätzung führen.

«Wir haben früh erkannt, dass intelligente Leute sehr dumme Dinge tun. Wir wollten wissen warum, so dass wir diese vermeiden konnten.»

Seit sie in der Öffentlichkeit stehen, wundern sich Buffett und Munger über Dinge, welche vor allem institutionelle Investoren tun. Meist spielen dabei Herdentrieb und Konformismus eine Rolle, die Intelligenz der Individuen ist dafür völlig irrelevant. Seien es die Verwaltungsräte und Manager von Unternehmen, die Anlagekomitees von Stiftungen und Banken oder Fondsmanager in grossen Institutionen: Sie alle unterliegen dem Herdentrieb.

«Wie können Professoren diesen Unsinn verbreiten, dass die Volatilität einer Aktie ihr Risikomass sei? Ich warte seit Jahrzehnten auf das Ende dieses Wahnsinns.»

Charlie Munger kritisierte über Jahrzehnte die gängige Lehre, wonach die Volatilität einer Aktie ein Mass für deren Risiko sei. Diese Finanzmarkttheorien sind tatsächlich seit den 1960er Jahren empirisch mehrfach falsifiziert worden und obsolet. Wieso werden sie weiter an allen Universitäten gelehrt? Primär geht es wohl darum, ein elegantes mathematisches Modell für die Finanzmärkte zu haben, dass einfach zu vermitteln und in Prüfungen abzufragen ist. Dass es dann in der Praxis nicht funktioniert, ist nicht das Problem der Professoren. Für Value-Investoren ist es sogar nüchtern betrachtet ein Wettbewerbsvorteil, wenn viele Marktakteure an das gelehrte Dogma glauben: Demnach wird die Aktie eines guten Unternehmens riskanter, je tiefer und steiler ihr Kurs gefallen und damit ihre Volatilität gestiegen ist. Value-Investoren greifen jedoch genau in solchen Situationen gerne zu und kaufen, während auf der anderen Seite viele Investoren verkaufen, weil das «Risikobudget» überschritten wurde und die Volatilität ihres Portfolios zu hoch wurde.

«Ich denke, wann immer man das Wort Ebitda sieht, sollte man es durch «Bullshit Gewinne» ersetzen.»

Die Kritik Mungers richtet sich jedoch nicht nur gegen das akademische Establishment, sondern auch gegen die unermüdlichen Marketinganstrengungen der Wallstreet. Selbst marodeste Aktien werden mit Brutto-Cashflow-Kennzahlen wie Ebitda schön gerechnet. Aus Sicht eines Eigentümers gilt: Was nützt einem ein Unternehmen, das nur vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen einen Überschuss erwirtschaftet?

«Die Idee der exzessiven Diversifikation ist Wahnsinn.»

Unsere rund 40 Aktienpositionen wären definitiv zu viele für Onkel Charlie, der einen klaren Fokus auf eine Handvoll exzellente Firmen propagiert. Aber jeder Investor muss seine ideale Portfoliogrösse finden. Nur ganz wenige Titel zu halten, erhöht in unseren Augen neben dem finanziellen auch den emotionalen Einsatz je Position: Man neigt dann eher dazu, sich etwas vorzumachen und bekommt Mühe, Fehler bei der Selektion einzugestehen. Auf der anderen Seite führt eine exzessive Diversifikation zu Disziplinlosigkeit bei der Selektion und Underperformer können einfacher ignoriert werden.

«Eine Idee oder eine Tatsache ist nicht mehr wert, weil sie für einen leicht verfügbar ist.»

Wenn der selbstsicher wirkende Trader im Internet oder der freundliche Investment Banker oder Kundenberater einem eine «aussergewöhnliche Gelegenheit» zum schnellen Reichtum präsentiert, sollte man rasch das Weite suchen. Leicht zugängliche Informationen und Anlageideen sind meist wenig wert oder gar gefährlich. Jeder weiss es schon, jeder hat schon danach gehandelt. Gerade junge oder generell neue und unerfahrene Anleger neigen dazu, in die Falle zu tappen und zu glauben, dass die erstbeste ihnen präsentierte Anlageidee ihr Ticket zum grossen Geld ist. Meistens sind es jedoch unpopuläre, nicht auf allen Kanälen angepriesene Investments und nicht überall leicht verfügbare Informationen, welche die höchsten Erträge bringen.

«Es kann nicht einfach sein. Jeder, der es einfach findet, ist dumm.»

Investieren und überdurchschnittliche Renditen zu erzielen, kann per Definition nicht einfach sein, sonst wäre an der Börse jeder ein Gewinner. Vor allem die emotionale Seite bereitet den Anlegern viele Schwierigkeiten. Doch die Lektionen von Onkel Charlie können uns zumindest helfen, zu besseren Investoren zu werden.

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