12.02.2016

Die Petrodollar-Ebbe

Mit dem Kollaps des Ölpreises kehrt sich einer der grössten globalen Geldflüsse um: Geldklamme Petrostaaten müssen plötzlich ihre Vermögenswerte in aller Welt liquidieren. Die aktuellen Folgen davon für die Finanzmärkte und einzelne Industrien sind dramatisch. Doch langfristig ist die Trendumkehr positiv und bietet Chancen.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

Saudische Scheichs und russische Öl-Magnaten waren in den letzten Jahren zu gern gesehene Kunden bei Auktionshäusern und Luxusimmobilien-Maklern. Ebenso von der Geldschwemme in den Petro-Staaten profitiert haben die grossen Fondsverwalter: Hunderte von Milliarden an überschüssigen Petrodollars flossen ihnen über Staatsfonds aus den arabischen Ölstaaten zu.

Wie die Citigroup berechnet, entstanden während der Ölbooms rund 4000 Milliarden an Petrodollar-Vermögen. Doch die Geldschwemme brach mit dem Kollaps des Ölpreises seit Juni 2014 abrupt ab. Seither geht die Flut zurück. Riesige Löcher entstanden in den Staatsfinanzen der Ölexporteure: Allein Saudi-Arabien wies im vergangenen Jahr ein Budgetdefizit von über 100 Milliarden Dollar aus. Diese Löcher müssen mit dem Verkauf von Vermögenswerten in aller Welt gedeckt werden. Wie immer bei einem Notverkauf werden dabei zuerst vor allem liquide Werte abgestossen. JP Morgan schätzt, dass die Staatsfonds der Ölexporteure im vergangenen Jahr 90 Milliarden Dollar an Staatsanleihen, 50 Milliarden an Aktien und 7 Milliarden an Unternehmensanleihen verkaufen mussten.

Der Ausverkauf an den Aktienmärkten diesen Januar und die starke Korrelation der Börsenschwankungen mit dem Ölpreis dürfte zu einem wesentlichen Teil auf diese Notverkäufe vor allem arabischer Staatsfonds zurückzuführen sein. Die Strategen von JP Morgan rechnen auf Basis der geschätzten Budgetdefizite in diesem Jahr sogar mit einem Abfluss von 80 Milliarden Petrodollars aus Aktien und über 100 Milliarden aus Staatsanleihen, also noch mehr als im Vorjahr.

Denn eines der Hauptprobleme der Staatsfonds ist, dass sie in den Boomjahren viele illiquide Assets zusammen kauften wie etwa Luxushotels, Immobilien, Infrastruktur- und Private-Equity- Investments. Diese lassen sich nicht über Nacht abstossen, Aktien und Obligationen jedoch schon. Der Liquiditätsengpass scheint so gross, dass neben Saudi-Arabien nun erstmals auch Abu Dhabi erwägt, Staatsanleihen auszugeben. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Petrostaaten ihre Vermögenswerte letztlich noch belehnen. Doch bleibt der Ölpreis tief, werden auch die illiquideren Assets irgendwann abgestossen werden müssen. Ein Hauch von Panik liegt in der Luft.

Der Abfluss der Petrodollars hat also unmittelbare Folgen für Aktienmärkte, Fondshäuser und Vermögensverwalter. Selbst die UBS führte jüngst den Rückgang ihrer verwalteten Vermögen in Schwellenländern auf finanziell in Not geratene Privatkunden aus dem Nahen Osten und Russland zurück.

Doch der Rückgang der Flut hat auch zahlreiche längerfristige Konsequenzen, die für Anleger relevant sein können. Wie immer in der Ökonomie gilt es dabei, beide Seiten des Problems zu betrachten. Zu den grossen Gewinnern gehören zweifellos die Konsumenten in Europa und Asien. Seit 2003 mussten sie immer mehr für eine Tankfüllung berappen, was direkt die Kontostände der Petrostaaten aufblähte. Jetzt wird Autofahren und Heizen deutlich billiger. Vor allem in Asien, wo der Staat die Energiepreise nicht noch so stark mit Steuern unterlegt hat. Auch der amerikanische Konsument profitiert, doch als Heimatland des Shale-Oil-Booms und jetzigen Crashs verlieren die USA derzeit auch viele gut bezahlte Jobs und damit Konsumenten.

Die Investitionen werden schneller zusammen gestrichen als der Konsum steigt

Theoretisch handelt es sich um ein Nullsummenspiel: Die eine Seite profitiert vom Kollaps des Ölpreises, die andere verliert. Doch in der Praxis gibt es zahlreiche Verwerfungen durch die unterschiedlichen Ausgabenverpflichtungen, Konsumpräferenzen und zeitlichen Verschiebungen im Fluss der Petrodollars. Während etwa der europäische Konsument erst langsam beginnt, die tieferen Ölpreise als Segen wahrzunehmen und zaghaft etwas mehr Geld für den Konsum auszugeben, steht den Ölproduzenten das Wasser schon bis zum Hals, weil sie ihre Ausgaben in Jahren des Booms so stark nach oben gefahren hatten.

Ölförderer und Ölservicegesellschaften streichen 2016 ihre Kapitalinvestitionen nochmals massiv zusammen. Dies trifft einen langen Rattenschwanz von industriellen Zulieferern, die ihrerseits ihre Investitionen zurückfahren müssen.

Eine epische Pleitewelle droht

Dem hoch verschuldeten nordamerikanischen Ölsektor droht dieses Jahr eine epische Pleitewelle, welche das schon schlimme 2015 noch übertrifft. 60 Produzenten mussten bereits Konkurs anmelden, dieses Jahr dürften es gemäss IHS mehr als doppelt so viele werden. Gleichzeitig ziehen die Staatsfonds ihre Gelder jetzt aus den Finanzmärkten ab, was die Börsenstimmung drückt und Banken sowie Vermögensverwaltern schadet.

Es entsteht eine zeitliche Petrodollar-Lücke: Jeder Konsument wird über die nächsten Jahre ein paar Hundert oder Tausend Dollar mehr im Portemonnaie haben. Die Produzenten fahren aber schon heute ihre Kapitalinvestitionen für die nächsten Jahre stark hinunter. Und die Finanzmärkte nehmen täglich Abermilliarden von Abschreibern auf Öl-Vermögenswerten und -Anleihen hin.

Aus dieser zeitlichen Petrodollar-Lücke könnte eine Rezession oder zumindest eine deutliche Wachstumsdelle entstehen. Denn die kurzfristigen Veränderungen des Bruttoinlandprodukts hängen zu einem wesentlichen Teil von den Schwankungen der Kapitalinvestitionen der Industrie ab. Letztlich handelt es sich dabei aber um ein statistisches Artefakt: Für die ölimportierenden Staaten können die langfristigen Folgen des Ölpreisverfalls nur positiv sein.

Auch die politischen Dimensionen des Ölcrashs versprechen auf lange Sicht eher Gutes: Jahrelang ermöglichte die Öl-Hausse arabischen und russischen Potentaten, dass mürrische Volk mit dem sprudelnden Geldsegen ruhig zu stellen. In Lateinamerika konnte ein Hugo Chavez damit seine bizarre sozialistische Retrospektive finanzieren. Überzufällig viele Ölstaaten waren und sind letztlich Schurkenstaaten. Aber auch hier könnten die kurzfristigen Folgen schmerzhaft und dramatisch sein: Revolutionen, Chaos und neue Grenzkonflikte drohen.

Konklusionen für Investoren

  1. Der Petrodollar-Crash ist langfristig positiv, führt aber kurzfristig zu gewaltigen Verwerfungen an den Finanzmärkten. Zuerst trifft es die liquidesten Anlageklassen wie Aktien, später dürfte es auch Luxusimmobilien und andere Vermögenswerte treffen, die mit Petrodollars gekauft wurden.
  2. Engagements im Ölsektor und seinen Zulieferern sind nach wie vor brandgefährlich wegen der generell grossen Schuldenlast. Ein hohes finanzielles Leverage kombiniert mit einem hohen operativen Hebel zum Ölpreis ist ein Rezept für massive Verluste. Solange sich der Sektor oder zumindest einzelne Titel nicht über Free Cashflow selbst finanzieren können, sind sie von der Gnade der Finanzmärkte abhängig. Negative Feedback-Spiralen können sich ungehindert weiter drehen. Es muss wohl noch hässlicher werden, bevor es wieder besser werden kann. 
  3. Der Crash schafft jedoch Chancen in Anlagen, die fundamental nicht vom Kollaps des Ölsektors betroffen sind, sondern nur vom raschen Rückzug der Ölgelder. „Kaufen, was die Scheichs verkaufen müssen“, lautet das Motto der Stunde für Contrarians.
  4. Aktien als liquidestes Instrument werden momentan stark verkauft. Auf Grund der weiterhin passablen Fundamentaldaten und den sehr moderaten Bewertungen versprechen Aktien aber mittelfristig auch das grösste Gewinnpotenzial.
  5. Eine der unmittelbar grössten Kaufchancen sehen wir in europäischen und amerikanischen Finanztiteln. Ihre Kunden sind die Konsumenten, die vom Ölpreis-Kollaps profitieren. Nur ganz wenige Institute haben ein hohes Engagement in Krediten an Ölproduzenten oder Privatkunden aus Petro-Staaten. Die grosse Öl-Investitionsblase wurde nicht über die Banken, sondern hauptsächlich über den noch lange völlig sorgenlosen Obligationenmarkt finanziert.
  6. Wir bevorzugen Aktien von stabilen amerikanischen Regionalbanken wie Fifth Third oder Regions Financial sowie südeuropäischen Kreditbanken wie Banco Popular oder Bank of Cyprus. Südeuropa ist ein grosser Nettoimporteur von Öl. Ebenfalls sehr interessant sind die Aktien der grossen Fondshäuser wie T Rowe Price, Aberdeen oder Franklin Resources. Ihr Newsflow ist durch Börsen-Crash und den Abfluss von Staatsfonds-Geldern kurzfristig negativ. Ihr langfristiges Ertragspotenzial und ihre Bilanzen sind aber weiterhin ausgesprochen stark und die Aktienbewertungen sehr tief.

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