11.01.2017

Die Reichen werden immer ärmer

Die Reichen mögen als Gruppe in manchen Ländern einen immer grösseren Teil der Vermögen in den Händen halten. Entgegen der verbreiteten Meinung sind es nicht dieselben reichen Leute, die dank Zinseszins und Privilegien immer reicher werden – sondern ständig werden sie von Newcomern verdrängt. Dies belegt eine neue Studie. Ein Vermögen über Generationen nur schon zu erhalten, ist in der Realität eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.

Peter Frech

vonPeter Frech

Fondsmanager

„Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte und die vierte verkommt vollends.“ Das Zitat von Otto von Bismarck beschreibt ein Problem, das in der Praxis der Vermögensverwaltung wohl bekannt ist. In Medien und Politik herrscht aber nach wie vor die Vorstellung, dass die Reichen dank Zinseszins auf ihrem Kapital immer reicher werden.

Bekanntester Vertreter dieser These ist momentan der französische Ökonom Thomas Piketty, dessen Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ zu einem internationalen Bestseller avancierte. Pikettys theoretische Argumentation bedient sich ausgiebig aus der marxistischen Mottenkiste und wurde bereits von zahlreicher Seite schlüssig demontiert. Doch die Botschaft des Buchs ist willkommen und liefert einen „wissenschaftlichen“ Unterbau für zahlreiche politische Agenden.

An dieser Stelle geht es jedoch um die Empirie, also um Fakten, die aus der praktischen Erfahrung gewonnen werden. Werden dieselben Reichen tatsächlich immer reicher? Werden grosse Vermögen über Generationen immer grösser? Ist dynastischer, also ererbter Reichtum die Hauptursache der beobachtbaren Vermögenskonzentration?

In der Theorie wäre der Aufbau eines dynastischen Vermögens ja ganz einfach. Dies zeigt etwa die Parabel vom Josefspfennig: 1 Cent im Jahr Christi Geburt zu 5% angelegt, ergäbe heute mit Zineseszins ein Vermögen von 24 Sextilliarden. Etwas weniger absurd: 1 Franken im Jahr 1516 investiert, als es schon so etwas wie Banken, Anleihen und Aktien gab, wären zu 5% über 500 Jahre zu 39 Milliarden Franken angewachsen. Doch wo sind sie heute, die Nachfahren dieser fleissigen Sparer? Offensichtlich ist es in der Praxis nicht so einfach, ein Vermögen über Jahrhunderte von Erbteilungen, Zahlungsausfällen, Inflation und Steuern zu retten.

Wo sind heute die Erben der Fugger, Medicis und Rothschilds? Oder die Nachfahren einst so ultrareicher amerikanischer Familien wie der Astors, Carnegies, Rockefellers und Vanderbilts? Als 120 Erben des legendären Eisenbahn-Moguls Cornelius Vanderbilt im Jahr 1973 zusammenkamen, befand sich nicht ein einziger Millionär darunter. Es gibt zwar noch ein paar Rockefellers und Rothschilds mit stattlichen Vermögen – aber diese sind im Vergleich zum sagenhaften Reichtum ihrer Vorfahren inzwischen lächerlich klein geworden.

Eine neue Studie von Robert Arnott, William Bernstein und Lillian Wu hat die Entwicklung der grössten Vermögen systematisch untersucht anhand der seit 1982 publizierten Reichsten-Listen der Forbes 400 sowie einer bis 1918 zurückreichenden Studie der reichsten amerikanischen Familien von Kevin Phillips.

70% der Reichsten sind self-made

Bereits ein einfacher Blick auf die Forbes 400 von 1982 im Vergleich zu 2014 zeigt, dass die Thesen von Piketty und anderen zur Vermehrung des dynastischen Reichtums nicht stimmen können: Nur noch 69 Mitglieder der ersten Liste beziehungsweise deren Nachfahren befanden sich 2014 unter den reichsten 400 Amerikanern. Unter den 30 Reichsten sind über 70% self-made, also Unternehmer der ersten Generation. Zudem befindet sich kein einziger Vertreter der 30 reichsten Amerikaner von 1918 oder 1930 heute noch unter den Top 30. Und dies wohlgemerkt in Amerika, wo weder Kriege, noch hohe Steuern oder Hyperinflation die Vermehrung von dynastischem Reichtum besonders erschwert hätten.

In einem Punkt mag das Volksempfinden recht haben: Die Reichen als Klasse werden immer reicher: 1982 genügten bereits 75 Millionen Dollar, um es unter die Top 400 Amerikas zu schaffen. 2014 musste man dazu über ein Vermögen von mindestens 1.5 Milliarden Dollar verfügen. Selbst inflationsbereinigt entspricht dies einem Anstieg um das Achtfache. Die 400 Reichsten wurden auch im Vergleich zum durchschnittlichen Bruttoinlandprodukt pro Kopf um gut das Achtfache reicher – aber es sind eben gerade nicht dieselben Leute und ihre Nachkommen. Dynastischer Reichtum ist ein moderner Mythos.

Der relative Reichtum halbiert sich alle 23 Jahre

Im Gegenteil ist es mehrheitlich so, dass die reichen Dynastien über die Generationen immer ärmer werden. Gemäss den Auswertungen von Arnott et al. halbiert sich der relative Reichtum der Forbes 400 rund alle 23 Jahre. Das bedeutet nicht unbedingt, dass ihr Vermögen nominal schwindet. In Relation zu den Neureichen auf der Liste sowie dem steigenden US-Bruttoinlandprodukt BIP werden sie jedoch immer „ärmer“. Auch im Vergleich zu einem passiven Portfolio aus 60% Aktien und 40% Obligationen schrumpft ihr Vermögen um rund 5% im Jahr. Eine Analyse der reichsten Familien seit 1918 gemäss Phillips‘ Liste ergab ebenfalls eine Schwundrate von rund 5.3% im Jahr in Relation zum durchschnittlichen Pro-Kopf-BIP der Amerikaner.

Diese relative Vermögenserosion von 5% ist eine direkte Folge der zahlreichen Schwierigkeiten beim Erhalt grosser Vermögen: Steuern, Verwaltungsgebühren, exzessiver Konsum, schlechte Anlageentscheide, Erbteilungen und Rechtsstreitigkeiten sind wohl die häufigsten Ursachen dafür.

Wobei die Reichtumserosion mit jeder Generation zunimmt: Die Gründer verloren in 32 Jahren im Schnitt nur etwas über einem Viertel an relativem Reichtum. Die Erben der zweiten Generation büssten dagegen in 24 Jahren schon die Hälfte ihres Vermögens im Vergleich zum Schnitt der Forbes 400 ein. Bei der dritten Generation betrug die Halbwertszeit nur noch 11 Jahre. Bismarck berühmtes Dictum lässt sich damit empirisch belegen (siehe Grafik unten). Nur die Analyse der „verkommenen“ vierten Generation steht mangels Daten noch aus.


Die Grafik zeigt den relativen Vermögensschwund nach Generationen der Forbes-400-Mitglieder im Verhältnis zum durchschnittlichen Vermögen der Forbes 400 in Jahren nach dem Messzeitpunkt t. (Quelle: Arnott, Bernstein & Wu (2015))

Der relative Wohlstandsschwund der Reichsten aus der Forbes-Liste lässt sich von zwei Seiten erklären: Zum einen wird sicherlich in vielen Fällen Vermögen aktiv vernichtet durch exzessiven Konsum, Steuern und schlechte Investments. Auf der anderen Seite werden aber auch die Newcomer immer reicher. Durch die zunehmende globale Vernetzung über Medien und Internet werden die Auswirkungen von „Winner takes it all“ immer stärker: In früheren Zeiten konnte man es schon als lokaler oder nationaler Star oder Medienmogul zu beträchtlichem Wohlstand bringen – heute dagegen will alle Welt Chelsea gegen Barcelona schauen oder ein Mark Zuckerberg beherrscht mit Facebook das soziale Netzwerk des gesamten Planeten. Dasselbe gilt für viele Unternehmen. Dies treibt den Reichtum der globalen „Winner“ in immer grössere Höhen.

Ein anderer Faktor trieb in den letzten Jahrzehnten zudem die wahrgenommene Ungleichheit bei der Vermögensverteilung: Durch die steigenden Zinsen wurden die Cashflows aus Vermögenswerten wie Immobilien oder Firmen immer wertvoller. Am Immobilienmarkt ist die extreme Kluft zwischen „Habenden“ und „Nicht-Habenden“ wohl am anschaulichsten zu beobachten – vor allem in Ländern mit extrem tiefen Zinsen wie der Schweiz. Die Reichen sind aber in vielen Fällen nur auf dem Papier reicher geworden: Die ihrem Vermögen zu Grunde liegenden Cashflows (etwa die Mieteinnahmen) sind oft gar nicht gestiegen. Entsprechend umkehrbar ist dieser Effekt bei steigenden Zinsen – dann werden die Cashflows wieder weniger wert und entsprechend das Einkommen aus Arbeit relativ gesehen wieder wertvoller.

Tipps zum Reich bleiben

Zum Abschluss eine Liste von Tipps, wie sich ein Vermögen am besten über Generationen bewahren und vermehren lässt, zusammengestellt aus der empirischen Forschung wie auch unserer Praxis als Vermögensverwalter:

1. Die Gebühren minimieren: Vor allem das Stapeln von Gebühren für Vermögensverwalter / Family Office, Fonds, Depotbanken und Treuhändern ist potenziell ein grosser Vernichter von Reichtum. Einfache Anlagestrukturen und transparente Vergütungsmodelle für allfällige Berater machen es einfacher, die Kosten im Griff zu behalten.

2. Den Geltungsdrang im Zaum halten: Dies gilt nicht nur bei den Ausgaben für Konsum oder Wohneigentum, sondern auch in der Verwaltung des Finanzvermögens. Viele Reiche halten es für wenig prestigeträchtig, wie die Kleinanleger in gewöhnliche Aktien und Obligationen zu investieren – obwohl sie gemäss der Forbes-400-Studie rund 5% hinter der Rendite eines entsprechenden Portfolios zurückbleiben. Eine ganze Industrie bedient diesen Geltungsdrang der Reichen und Superreichen mit „exklusiven Investments“ in alternative Anlagen wie Hedge Funds, Private Equity, Venture Capital oder Kunst. Meist sind in diesen intransparenten Vehikeln vor allem exklusiv hohe Gebühren versteckt und die Rendite ist unter dem Strich weniger als gewöhnlich.

3. Bescheidenheit lehren: Mit Blick auf die nachfolgenden Generationen ist es zweifellos von grösster Bedeutung, möglichst viel Bescheidenheit und gesunden Menschenverstand zu vermitteln. Dies gilt natürlich für die Ansprüche in Sachen Lebensunterhalt und Konsum. Aber auch mit Blick auf die Ambitionen: Will die nachfolgende Generation den Erfolg ihrer Eltern noch übertreffen, geht sie nicht selten auch zu grosse Risiken ein. Erziehungsversuche sind jedoch generell nur aussichtsreich, wenn die Eltern es den Kindern entsprechend vorleben. Zentral ist zudem die Peer Group der Kinder: Auf Luxusschulen und Wohngemeinden mit lauter Zöglingen von Reichen und Superreichen ist der Druck „mitzuhalten“ viel grösser als etwa in einer gewöhnlichen Umgebung der „Upper Middle Class“.

4. Nicht zu aggressiv investieren: Besonders Neureiche der ersten oder allenfalls zweiten Generation neigen dazu, ihr Vermögen zu aggressiv anzulegen. Vielleicht hatten sie mit einer Unternehmensgründung oder einem stark gehebelten Immobilieninvestment Erfolg – nun wollen sie diesen Erfolg replizieren und sehen nicht, dass es meist ein einmaliger Glücksgriff war und nicht ein generell wiederholbares Muster. Eine gute Faustregel zur Vermögensbewahrung ist sicherlich, keine Investments zu tätigen, welche das gesamte Familienvermögen auslöschen könnten. Damit fallen stark gehebelte Investitionen generell durch – obwohl paradoxerweise genau diese natürlich der schnellste Weg sind, zu einem grossen Vermögen zu kommen. Aber wieso sollte man das Glück unnötig strapazieren, wenn man schon ein grosses Vermögen hat?

5. Nicht zu vorsichtig investieren: Auf der anderen Seite kosten Anlagestrategien, welche zu sehr auf Sicherheit und Vermögenserhalt bedacht sind, auf lange Sicht viel Geld. Ein typischer Fehler der zweiten und dritten Generation ist eine zu passive Anlagestrategie. Das beginnt oft damit, die Vermögenswerte der Gründergeneration einfach blind zu halten, obwohl sich die Rahmenbedingungen vielleicht dramatisch verändert haben. Und es endet mit den unsäglichen Vermögensverwaltungsmandaten vom Typ „konservativ“, wo mehrheitlich in Obligationen investiert wird und in der heutigen Zeit nach Gebühren, Steuern und Inflation eine negative reale Rendite garantiert ist.

Gelingt die Umsetzung dieser fünf Regeln einigermassen, besteht zumindest eine Chance im Kampf gegen den Reichtumsschwund erfolgreich zu sein.


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