Wenn die Kausalität mit der Korrelation kollidiert

Maurice Rüegg

Die Analyse von Daten will gelernt sein. Denn Informationen sind billig, während ihre Interpretation teuer und komplex sein kann ­– und oft auch falsch. Das Hauptproblem: gefundene Abhängigkeiten zweier Beobachtungen haben manchmal nicht den vermuteten kausalen Zusammenhang. Beim Investieren an der Börse kann dies weitreichende Folgen haben.

Die Detailhandelsriesen weltweit sammeln sie schon lange – unsere Daten zum Kaufverhalten. Bekannt in der Schweiz ist Migros Cumulus oder Coop Supercard. Für Punkte, die einer Preisreduktion von 1% entsprechen, geben wir unsere Anonymität auf. Dafür weiss der Detailhändler jetzt, dass Männer jeweils beim Windel-Einkauf auch Bier kaufen. Und sie tun dies vor allem an Donnerstagen und Samstagen. Also stellt man das Bier in die Nähe der Windeln und verstärkt diese Tendenz. Weitergedacht, personalisiert man die Preise und gibt Männern an Donnerstagen und Samstagen keine Rabatte mehr auf Windeln. Deswegen sind sie ja gekommen. Vielleicht gewährt man ja einen Rabatt auf das Bier (in den wenigsten Fällen werden die einkaufenden Männer einen dringenden Bedarf nach Bier gehabt haben und dabei spontan Lust, auch Windeln zu kaufen).

Beachtenswert ist natürlich auch die Tatsache, dass Männer jeweils am Donnerstag und Samstag einkaufen. Am Samstag, weil Wochenende und arbeitsfrei ist und man ja Zeit hat zum Einkaufen hat sowie die Partnerin entlasten will. Und am Donnerstag wahrscheinlich, weil es eben ein über die Woche gewachsenes Bedürfnis nach Windeln (oder Bier?) gibt.

Der Detailhändler hat also durch sogenanntes Data-Mining in den Einkaufsgewohnheiten seiner Kunden Korrelationen zwischen Personengruppen und Einkaufszeiten (Familienväter an Samstagen) sowie auch zwischen Produkten (Windeln und Bier) feststellen können.

Die Korrelation scheint einfache Gründe zu haben. Eine Kausalität kann vermutet werden. Diese allerdings zu beweisen, dürfte nicht ganz einfach sein. Der Detailhändler muss dies auch nicht, er kann einfach reagieren, sein Sortiment umstellen und mehr oder weniger Aktionen an gewissen Tagen durchführen.

Das generelle Muster von Kausalität und Korrelation ist weitreichend. Oft werden dabei Zusammenhänge falsch gedeutet. Vor allem auch beim Investieren an der Börse kann dies teure Folgen haben. Allgemein unterscheidet man zwischen den folgenden Beziehungen von zwei korrelierenden Begebenheiten A und B:

  1. A ist der Grund für B (direkte Kausalität)
  2. B ist der Grund für A (invertierte Kausalität)
  3. A und B sind die Konsequenzen eines gemeinsamen Grundes C
  4. A ist der Grund für B und B der Grund für A (zyklische Kausalität)
  5. A ist der Grund für C, wobei C der Grund für B ist (indirekte Kausalität)
  6. A und B stehen in keinerlei Beziehung. Die Korrelation ist zufällig.
Direkte und Indirekte Kausalität

Wichtig ist immer, zu sehen, was Ursache und Folge ist. Nicht der steigende Börsenkurs macht ein Unternehmen im Markt erfolgreich, aber ein erfolgreiches Unternehmen kann mit höheren Kursen rechnen.

Manchmal allerdings ist es nicht der Erfolg im Markt, sondern der Herdentrieb der Investoren aufgrund eines "Hypes" in den Medien, wie heute zum Beispiel bei Tesla Motors und Netflix oder vor 15 Jahren in der Schweiz ThinkTools während der Internet-Blase und ein paar Jahre später Meyer Burger und andere Solarenergie-Unternehmen.

Zyklische Kausalität

Kompliziert wird es, wenn die Kausalität gegenseitig ist. In der Tierwelt beeinflusst die Zahl von Raubtieren die Population der Beutetiere. Diese wiederum lässt die Raubtierpopulation wachsen oder schrumpfen. Die Unternehmensbewertungen der Technologiefirmen im Silicon-Valley werden beflügelt durch die Innovationskraft des Bereichs. Dieser wird wiederum gefördert durch die hohe Bereitschaft, Geld dort zu investieren.

Die unten folgenden Beispiele machen deutlich, wie wichtig es ist, unlogische Ableitungen von Korrelationen zu Kausalitäten zu erkennen und zu vermeiden. Denn allein die Tatsache, dass A und B korrelieren, erlaubt keine Rückschlüsse auf die Existenz oder Richtung einer Ursache-und-Wirkung Beziehung. Auch statistische Signifikanz oder eine erklärte Varianz beweisen keine Beziehung. Dies darf nicht vergessen gehen. Man spricht sonst vom "cum hoc ergo propter hoc" Fehler (Latein für "mit diesem, folglich deswegen").

Zufälligkeit

Bereits im November 2015 haben wir an dieser Stelle zum Thema Backtesting die Korrelation des S&P 500 mit den Butterpreisen in Bangladesch besprochen. Backtesting ist besonders anfällig auf Korrelationen, die keine Kausalitäten beinhalten, sondern zufällig sind. Die folgende Graphik zur Korrelation von Rockmusik und Ölproduktion führt das augenzwinkernd vor Augen.

Rock Music Quality vs. US Oil Production
Man könnte meinen, die Jahre mit guter Rockmusik, die zu den Rolling Stone 500 Greatest Songs gehören, hätten etwas mit der US Erdöl-Fördermenge zu tun. (Quelle: www.overthinkingit.com)

Lustige Blüten treibt die falsche Interpretation der unlogischen Ableitung von Korrelationen zwischen A und B, wenn eine Studie findet, dass Menschen mit grossen Füssen lieber Fussball schauen. Frauen haben einfach kleinere Füsse. Oder dass mit steigendem Glace-Konsum die Ertrinkungsgefahr zunimmt – was wohl der Sommer damit zu tun haben könnte? In beiden Beispielen wird eine dritte Variable C vergessen, beides sind Beispiele für indirekte Kausalität.

Verkehrt herum ist es natürlich auch falsch: oder wollen wir behaupten, dass weil Windmühlen jeweils bei Wind drehen, sie Wind generieren? Die Kausalität wäre hier offensichtlich invertiert. Bei den Ökonomen wird die Analyse schwieriger, wenn Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff meinen, Schulden von über 90% des GDP eines Landes würden das Wachstum der Wirtschaft hemmen (Growth in a Time of Debt, American Economic Review, 2010) und Paul Krugman entgegnet, dass es genau umgekehrt sei. Lassen wir die Wirtschaftsprofessoren sich streiten, aber vielleicht ist die Kausalität ja gar nicht invertiert sondern zyklisch?

Luck and Skill

Eine weitere Kausalität, die wir im Laufe der Zeit immer wieder anzuzweifeln wagen: Wenn ein Unternehmen floriert, dann hat es einen guten Chef. Oder: wenn ein Fonds an Wert gewinnt, dann hat er einen guten Fondsmanager. Ist denn ein guter Chef oder Fondsmanager erfolgreich und ein erfolgreicher auch gut? Hier gilt es stark zwischen "Luck and Skill" zu unterscheiden, ein Thema, auf das wir gerne in einem zukünftigen Quantex Werte Beitrag umfassend eingehen möchten.

Das Risiko ist immer, dass wir uns zu sehr auf eine gute Geschichte oder ein auffälliges Muster konzentrieren. Wir lieben Geschichten. Sie geben uns einen Rahmen, um Entscheidungen zu treffen, von denen wir annehmen, dass sie Sinn machen. Dabei tendieren wir dazu, die Fakten zu ignorieren und die Geschichten zu bevorzugen. Hier sei jedem Daniel Kahnemanns Buch Thinking Fast and Slow empfohlen.

Narrative Fallacy

Nassim Taleb, Autor von The Black Swan hat dies in aller Deutlichkeit immer wieder betont. In seinem weniger zitierten aber mindestens ebenbürtigen früheren Buch Fooled by Randomness" (deutsch: Narren des Zufalls) spricht er dabei vor allem von der "narrative fallacy", der Verzerrung von Tatsachen, weil die Geschichte dazu so schön ist. Ein gutes Beispiel hier ist die Biographie einiger Jungunternehmer, die in einer Garage gestartet haben, um schliesslich zu Microsoft, HP oder Apple zu werden. Muss man also in einer Garage starten, um ein Unternehmen zum Erfolg zu führen?

Taleb meint, dass Erfolg wahrscheinlich gleichviel mit Zufall wie mit Talent zu tun hat, er betont allerdings, dass das Glück dem Tüchtigen hold ist. Im Umkehrschluss sollte man sich immer wieder fragen, ob Erfolg nicht Zufall statt Talent ist. Wenn man sich als Investor immer hinterfragt, ob ein Gewinn oder Verlust nicht einfach Glück oder Pech ist, werden wir die besseren, weil objektiveren Investoren.

Und weil wir so sehr auf Geschichten reinfallen oder Muster zu erkennen glauben, gilt es, diese sofort und immer wieder zu hinterfragen. Oft ist das Muster nur von kurzer Dauer. Man spricht von Zeitvarianz. Eine Korrelation und auch eine Kausalität kann über die Zeit erst entstehen: Der Goldpreis kann steigen, weil immer mehr Leute an eine Hochinflation glauben und die Zentralbanken diese vielleicht sogar heraufbeschwören. Oder wenn eine Kausalität wirklich existiert, dann kann sie natürlich auch verloren gehen. Man erinnere sich an die Zinsen in der Eurozone, wo die Europäische Zentralbank die Länder durch die Maastricht-Kriterien in Einklang brachte. Wie allseits bekannt, wurden und werden diese Kriterien nie eingehalten, was den Effekt hatte, wie er unten in der Graphik gezeigt wird.

Government Benchmarks
Zinsen von zehnjährige Staatsanleihen in der Eurozone (Quelle: denkraum.wordpress.com)
Fazit für Investoren

Anleger sollten die allzu menschlichen Neigungen zur Überinterpretation von Daten und Zusammenhängen immer im Auge behalten. In der Praxis sind vor allem folgende Fallgruben gefährlich:

  • Den Erfolg eines Unternehmens auf seinen von Presse und Analysten hochgejubelten CEO zurückzuführen. Oft ist es nur ein glücklicher Narr, der zur rechten Zeit in der richtigen Branche landete. Über die Zeit in der gleichen Branche oder aber nach einem Branchenwechsel scheitern dann viele dieser Superstars kläglich.
  • Den Aktienkursen sollten keine so grosse Bedeutung wie den Fundamentaldaten eines Unternehmens beigemessen werden. Auf lange Sicht korrelieren natürlich beide stark. Doch auf kurze Sicht können die Launen des Marktes die beiden auch weit auseinander driften lassen. Benjamin Graham, der Begründer des Value-Stils, bezeichnete den Markt auf lange Sicht als exakte Waage, auf kurze Sicht jedoch als Popularitätswettbewerb. Von dieser Diskrepanz leben schlussendlich Value-Investoren. Nur weil eine Aktie stark fällt, muss ein Unternehmen noch lange nicht dem Untergang geweiht sein. Und nur weil ein Kurs stetig steigt, muss nicht alles zum Besten stehen.
  • Generell Vorsicht ist angebracht bei allen möglichen und zum Teil sehr esoterischen Prognoseindikatoren: Bei den Butterpreisen in Bangladesch und dem S&P 500 mag die Lächerlichkeit einer Kausalität offensichtlich sein – doch was ist mit dem US-Präsidentschaftszyklus, „Sell in May“ oder zahlreichen charttechnischen Indikatoren?

Korrelationen an den Finanzmärkten sind zudem in vielen Fällen nicht stetig: Phasenweise steigen die Aktienkurse, weil schwache Konjunkturdaten für längere Zeit tiefere Leitzinsen vermuten lassen. Und dann steigen die Kurse plötzlich, weil höhere Zinsen ein Signal für gute Konjunkturdaten und damit bessere Unternehmensgewinne sind. Die Gefahr von Fehlinterpretationen der Zusammenhänge ist auf der Makroebene meist noch viel grösser als auf Unternehmensebene. Dies ist ein Grund mehr, sich beim Investieren auf die Firmenanalyse zu konzentrieren.

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