Wer das Geld hat, hat die Macht – hiess es früher immer. Heute hat derjenige mit dem Geld oft ein Problem. Zumindest, wenn es ums Investieren geht. Es fängt bei den Minuszinsen an, die es auf dem Sparkonto und auf Tausenden Milliarden von Anleihen gibt. Die Notenbanken manipulieren natürlich diesen Markt. Doch sie machen nicht allein den Preis. Viele Anleger zahlen offenbar auch bereitwillig für das Privileg, für zehn Jahre und mehr auf ihr Geld zu verzichten.
Eine der Grundannahmen der Ökonomie – ein Franken heute ist wertvoller als ein Franken in einem Jahr – ist damit in weiten Teilen des Marktes nicht mehr gültig.
Der Verlust des Zeitwerts zeigt sich auch in der mehr als zehn Jahre anhaltenden Underperformance des Value-Stils gegenüber Wachstumsaktien. Value bedeutet, dass man lieber eine Aktie mit hoher Gewinn- oder Free-Cashflow-Rendite kauft als eine mit niedriger Rendite. Dies bedeutet letztlich, dass man schneller sein investiertes Kapital zurückerhält – und dass die ferne Zukunft der Unternehmensgewinne weniger wichtig ist als die Gegenwart.
Natürlich versprechen alle Wachstumsunternehmen traditionellerweise, statt heute einen Franken in der Zukunft zwei oder mehr Franken Gewinn abzuwerfen. Es widerspricht nicht den ökonomischen Grundsätzen, dass Anleger bereit sind, schon heute einen hohen Preis für diese Zukunftsversprechungen zu bezahlen. In der Praxis unterliegen die Anleger aber in einer Wachstumsaktien-Blase gerne dem Trugschluss der Komposition: Während einzelne Firmen natürlich lange Zeit viel stärker als der Marktschnitt wachsen können, ist es unmöglich, dass dies der Grossteil des Marktes tut: Nicht jeder kann überdurchschnittlich sein.
Ein konkretes Beispiel für diesen Trugschluss bieten die stark wachsenden Internet-Werbegiganten Facebook und Google. Zusammen kontrollieren sie bereits mehr als einen Viertel des globalen Werbemarkts. Mehr als vervierfachen können sie ihre Umsätze folglich nicht mehr – unter der Annahme, dass für traditionelle TV- und Print-Werbung sowie all die hoffnungsvollen Internet-Konkurrenten wie Amazon oder Snap rein gar nichts mehr übrigbleibt.
Die Herde der Einhörner galoppiert an die Börse
Auf den Gipfel getrieben wird der aktuelle Verlust jeglichen Zeitwerts mit der laufenden Welle von Aktien-Neuemissionen (IPOs). Der Taxi-Service Lyft ging gerade mit einer 23-Milliarden-Bewertung an die Börse. Konkurrent Uber will demnächst 10 Milliarden einsammeln und total über 100 Milliarden wert sein. In der Warteschlange sind weitere prominente «Unicorns» oder Einhörner, also Startups mit über einer Milliarde Bewertung, wie Pinterest, Slack oder Airbnb.
Ein heisser Markt für IPOs ist am Ende eines langen Booms nichts Ungewöhnliches, sondern geradezu typisch. Schliesslich gilt es von der guten Stimmung und vollen Taschen der Börsianer zu profitieren. Es überrascht deshalb wenig, dass Aktien von IPOs im historischen Schnitt ein miserables Investment sind.
Doch selten waren die Neuemissionen so unprofitabel wie heute: Wie Professor Jay Ritter zeigt, schrieben 1980 ein Viertel aller neuen Publikumsgesellschaften zum Zeitpunkt des Börsengangs Verluste. Heute sind es 80% (siehe Grafik unten). Gleichzeitig kommen die Neuemissionen zu einem viel späteren Zeitpunkt und mit viel höheren Kapitalisierungen auf den Markt als früher üblich.