Die erste Ausverkaufswelle der Corona-Krise ist vorüber. In einigen europäischen Ländern scheint es dank harten Einschränkungen gelungen, das exponentielle Wachstum der Neuinfektionen zu stoppen. Damit ist zumindest das Horrorszenario einer totalen Überlastung der Spitäler vom Tisch. Nur die USA verzeichnen wegen anfänglichen Zauderns weiterhin eine hässliche Zuwachsrate bei den Neuinfizierten.
Diese Atempause gilt es jedoch nicht ungenutzt verstreichen zu lassen. In der Schockstarre zu verharren und darauf zu hoffen, dass schon bald alles zur gewohnten Normalität zurückkehren wird, ist sehr gefährlich. Es gilt nun, das Portfolio kritisch zu durchleuchten und jede Position darauf zu überprüfen, wie sie in der neuen Realität bestehen kann.
Aus zwei Gründen wird es so bald keine Rückkehr zur alten Normalität geben. Erstens ist schon jetzt absehbar, dass der Alltag auf Jahre hinaus oder gar für immer nicht mehr derselbe sein wird wie vor dem Ausbruch der Pandemie: Verschärfte Grenzkontrollen und Reisehürden, die ständige Gefahr neuer Ausbrüche und Zwangsquarantänen und generelle Einschränkungen von Massenveranstaltungen verunmöglichen dies.
Dies dürfte auch noch einige Jahre für den Fall gelten, dass bald ein Impfstoff gefunden wird und dauerhafte Immunität gegen den Coronavirus möglich ist. Solange nicht die gesamte Weltbevölkerung immun ist, besteht ständig die Gefahr neuer Ausbrüche und damit neuer Einschränkungen.
Der zweite Grund sind die gravierenden wirtschaftlichen und politischen Folgen, die aus den laufenden Zwangsmassnahmen zur Bekämpfung des Virus entstehen. Millionen von Unternehmen im Dienstleistungssektor sind direkt in ihrer Existenz bedroht. Massenentlassungen und Pleitewellen sind die Folge, auch wenn die meisten Staaten versuchen, mit Stimulusprogrammen das Schlimmste zu verhindern. Schon jetzt ist auf Grund der jüngsten Zahlen absehbar, dass die Arbeitslosenrate in den Industrieländern bis Ende April auf 10% bis 20% steigen wird.
Die Zweitrundeneffekte der Rezession sind gravierender als die Krise selbst
Daraus wiederum ergeben sich zahlreiche Zweitrundeneffekte einer typischen Rezession: Sinkende Konsumnachfrage, Zahlungsunfähigkeit und Kreditausfälle, Konkurse und neu aufgedeckte Buchhaltungsskandale. Die rekordhohe Verschuldung der Unternehmen und vieler Privathaushalte machen die Wirtschaft zudem besonders anfällig für Einbrüche beim Cashflow.
Als Reaktion auf die Wirtschaftskrise sind soziale Unruhen und weitere massive politische Interventionen zu erwarten. Strafzölle, Exportverbote, Hochinflation, vieles ist denkbar. Die globalen Zuliefererketten werden wieder kürzer und robuster gestaltet, damit aber auch teurer.
Gleichzeitig besteht auf internationaler Ebene die Gefahr, dass sich das ohnehin schlechte Klima der Beziehungen, besonders zwischen den Grossmächten USA und China, weiter verschlechtert. Auch der EU dürfte die bisher schwerste Zerreissprobe ihrer Geschichte erst noch bevorstehen.
Das alles sind keine schönen Aussichten und das Geldanlegen dürfte die nächsten Jahre alles andere als ein Sonntagsspaziergang werden. Gleichzeitig ist es aber auch falsch, in Resignation oder Panik zu verfallen. Die Menschen und die Finanzmärkte haben schon ganz andere Krisen überstanden.
Ein wacher und kritischer Blick ist jedoch gefragt. Die zahlreichen langfristen Folgen der Corona-Krise sind natürlich noch längst nicht abschätzbar. Gleichwohl können bereits jetzt alle Aktien und Anleihen im Depot einer strengen Triage unterzogen werden. Wir haben dies mit unseren Unternehmen auch getan und sehen grundsätzlich vier Kategorien von Titeln:
Die Hochrisiko-Patienten: Darunter fallen grundsätzlich Firmen aus Sektoren, die durch den Virus und die Zwangsmassnahmen für lange Zeit oder für immer eine massive Beeinträchtigung ihres Geschäfts zu erwarten haben. An erster Stelle steht hier die Flug- und Reisebranche. Wer hat die nächsten Jahre noch Lust auf eine Kreuzfahrt? Auch Veranstalter von Grossevents, Konzerten oder Messen dürften noch lange ein Problem haben und vermutlich der ganze Restaurantsektor. Das Problem ist hier besonders, dass die Lücke im Cashflow permanent sein dürfte: Ausgelassene Mittagessen können rein zeitlich nicht im nächsten Aufschwung nachgeholt werden.
Zu den Hochrisiko-Patienten gehören aber auch die zahlreichen total überschuldeten Firmen aus anderen zyklischen Sektoren wie Ölförderung, Autobau oder Einzelhandel, die grösste Mühe haben werden, den laufenden Umsatzeinbruch und die Rezession zu überleben. Viele Vertreter der Kategorie waren schon vor der Krise im Niedergang begriffen: Wie viele Einkaufszentren und Ölquellen braucht es in der Welt nach Corona überhaupt noch?
Anleger sollten sich bei den Hochrisiko-Patienten nicht naiv auf staatliche Rettungsprogramme verlassen. Das Unternehmen an sich mag dank einer Intervention überleben. Doch der Aktionär oder Obligationär riskiert trotzdem einen Totalverlust oder eine massive Verschlechterung seiner Position in der Kapitalstruktur. Man denke nur an die geretteten Banken der Finanzkrise von 2008 zurück: Die meisten Anleger sind mit ihren Aktien im Sektor bis heute nicht glücklich geworden.
Aus unserer Sicht habe beide Unterkategorien – die direkt von Corona betroffenen und die überschuldeten Zykliker – ein potenziell tödliches Problem, das zum Totalverlust führen kann. Entsprechend unserer Strategie werden wir deshalb in diese Art Titel nicht investieren, ganz egal, wie günstig sie aussehen mögen.
Die Rekonvaleszenten: Viele Firmen werden durch die Wirtschaftskrise einen zyklischen Einbruch ihrer Cashflows erleiden, sind aber durch die Massnahmen zur Virusbekämpfung nur indirekt oder höchstens kurzfristig betroffen. Darunter fällt in unseren Augen zum Beispiel der Bergbausektor, die Industrie- und Baubranche oder die Hersteller von Luxusgütern. Sofern diese Unternehmen über eine gute Bilanz verfügen, möglichst ganz ohne Schulden, sollten sie auch eine längere Rezession überleben können. Irgendwann schliesst sich die Lücke im Cashflow oder der verlorene Konsum kann sogar nachgeholt werden. Eine Erholung ist nur eine Frage der Zeit.
Am meisten Zykliker mit guten Bilanzen finden sich derzeit in Asien, vor allem Japan. Die Hälfte aller Titel an der Tokioter Börse verfügt über Netto-Cash in der Bilanz. Im amerikanischen S&P 500 oder dem DAX sind es dagegen nicht einmal 20%.