Umfragen zu den Fakten entlarven die Vorurteile
Der schwedische Arzt und Gesundheitsprofessor Hans Rosling hat in seinem lesenswerten Buch «Factfulness» eindrücklich dokumentiert, wie falsch unser Weltbild im Bezug auf Schwellen- und Entwicklungsländer tatsächlich ist. Er hatte sich einen Spass daraus gemacht, verschiedensten Gruppen von Experten oder Zuhörern Fragen zu stellen wie: «Was ist die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt heute weltweit?» Zur Auswahl stehen 50 Jahre, 60 Jahre und 70 Jahre.
Die richtige Antwortet lautet 70 Jahre. Allein durch Zufall würde ein Schimpanse zu 33% die richtige Antwort aus den Dreien erwischen. Doch das Weltbild der von Rosling befragten Menschen ist systematisch falsch und zu negativ, vor allem in höhergebildeten Kreisen. In Schweden wussten generell nur 29% der Befragten die korrekte Antwort. An Roslings Karolinska-Institut tippten sogar nur 18% der Professoren richtig. Die sollten eigentlich etwas über Gesundheit wissen, vergeben sie doch immerhin den Nobelpreis für Medizin… Das negativste Weltbild hatten übrigens norwegische Lehrer, nur 7% wählten die korrekte Antwort «70 Jahre». Am häufigsten wurde die Antwort «60 Jahre» gewählt. Die wäre durchaus auch mal richtig gewesen – zuletzt allerdings im Jahr 1973.
Das Muster der negativen Vorurteile gegenüber den Entwicklungs- und Schwellenländern zieht sich durch alle von Roslings Befragungen durch. Ob Kindersterblichkeit, Impf- und Schulabgangsquoten oder den Anteil von Menschen, die in extremer Armut leben müssen: Menschen aus nördlichen Industriestaaten haben eine systematisch negativ verzerrte Sicht auf die südliche Welt. Wieso sollte es bei Investoren anders sein?
Die Vorurteile mischen sich schnell einmal mit Stolz und Überheblichkeit: Disziplin im Staatshaushalt und bei der Geldpolitik sind natürlich wichtig und werden von Institutionen der reichen Länder wie dem IWF seit Jahrzehnten eisern gepredigt – aber in Europa nimmt man es längst nicht mehr so genau mit den Fiskaldefiziten oder trickst mit «Sonderhaushalten». Solche Schummeleien würde man den Brasilianern kaum durchgehen lassen.
Paradox des Vertrauens
Hier kommt das Paradox des Vertrauens ins Spiel: Wer geringes Ansehen geniesst, vielleicht etwas schmuddelig daherkommt oder in der Vergangenheit negativ aufgefallen ist, muss sich Vertrauen teuer erkaufen, indem er etwa für einen Kredit hohe Zinsen bezahlen muss. Wer dagegen hohes Ansehen geniesst, mit blütenreiner Weste auftritt und in der Vergangenheit vielleicht vieles richtig gemacht hat, der kommt einfacher zu Vertrauen oder Krediten.