Der Preis der Sünde

Peter Frech

Der Trend zu nachhaltigem Investieren ist unaufhaltsam. Aus praktischen Zwängen handelt es sich dabei vielfach um Etikettenschwindel. Dennoch besteht ein ernstzunehmendes Bedürfnis, bei der Geldanlage Gutes zu tun. Doch je mehr Leute den Pfad der Tugend beschreiten wollen, desto lohnender wird das Investieren in sündhafte Aktien.

Bereits 60% aller Institutionellen Investoren in den USA ziehen Kriterien zur Nachhaltigkeit bei ihren Entscheiden ein. 55% der Pensionskassen sind es gemäss der NZZ in der Schweiz. Der Trend scheint unaufhaltsam. Welcher Stiftungsrat oder Bankmanager will sich schon dagegen aussprechen, beim Investieren die Umwelt, soziale Faktoren und die Governance (Englisch zusammengefasst als ESG) zu beachten? Schliesslich kostet ein reines Lippenbekenntnis zur Tugendhaftigkeit nichts. Doch wie steht es darum in der Praxis?

Das erste grosse Problem besteht darin, was denn ESG überhaupt sein soll. Praktisch jeder Investor versteht darunter etwas Anderes: Ist Kernenergie umweltfreundlich, weil sie kaum Kohlendioxid ausstösst? Sind Hersteller von Zigaretten böse, Hersteller von übersüssten Getränken aber nicht? Sind soziale Netzwerke wie Facebook wirklich sozial oder sogar mitschuldig an der grassierenden Selbstmordepidemie bei Teenagern, wie erste Langzeitstudien zeigen?

Unzählige Anbieter von ESG-Ratings buhlen um die Aufmerksamkeit der Anleger. Eine Studie von Berg, Koelbel & Rigobon (2019) hat ergeben, dass die Korrelation zwischen den ESG-Ratings verschiedener Anbieter für dieselbe Aktie gerade mal 61% beträgt.

Das ist sehr wenig. Bei Kreditratings für Obligationen beträgt die Korrelation der Ratings verschiedener Anbieter 99%. Offensichtlich besteht eine grosse Uneinigkeit bezüglich nachhaltigem Investieren, was angesichts der Komplexität der Materie auch nicht verwundert. Schnell einmal wird die Diskussion, was denn jetzt nachhaltig sein soll, sehr sektiererisch.

Weil aber nicht genau festgelegt werden kann, was nachhaltig ist, sind der Augenwischerei und dem Etikettenschwindel Tür und Tor geöffnet. Acht der derzeit zehn grössten ESG-Fonds in den USA sind zum Beispiel im Ölsektor investiert. Meistens wird dies mit einem «Best-in-Class»-Ansatz gerechtfertigt: Wenn eine Ölfirma wie Shell sich zur Nachhaltigkeit bekennt und einen dicken ESG-Report zum Jahresbericht liefert, ist sie damit besser als andere Ölfirmen und investierbar.

Der praktische Grund dafür ist natürlich, dass gerade Institutionelle zwar nachhaltig investieren wollen, aber bitte ohne einen Tracking Error aufzuweisen, also eine Performance-Abweichung zum Index. Den ganzen Ölsektor auszulassen, ist aus dieser Sicht ein zu grosses (Karriere-)Risiko.

Die wirklich interessante Frage ist deshalb nicht: «Möchten Sie nachhaltig investieren?», sondern «Sind sie bereit, dafür auf Rendite zu verzichten?». Doch muss man das überhaupt?

Bisherige Studien sind sich dazu uneinig. Je nach verwendeten ESG-Kriterien und Zeithorizont der Studie war das nachhaltige Investieren besser oder schlechter als der Index. Was Anbieter von entsprechenden Fonds nicht daran hindert, mittels selektiver Datenauswahl ihren Kunden trotzdem Nachhaltigkeit und Outperformance in Aussicht zu stellen. Und gerne wollen natürlich die Anleger glauben, dass es Tugendhaftigkeit nicht nur zum Nulltarif, sondern sogar noch mit einer Belohnung im Diesseits gibt.

Theoretisch ist es klar, dass Nachhaltigkeit Rendite kosten muss

Aus rein theoretischer Sicht ist jedoch klar, dass wirklich nachhaltiges Investieren jenseits des Etikettenschwindels eine verminderte Rendite zur Folge haben muss. Denn wenn man in ein Anlageuniversum investiert, das einer Einschränkung bezüglich der Titelauswahl unterliegt, muss die erwartete Rendite logischerweise tiefer sein als ohne diese Einschränkung. Denn sonst wäre es ja keine Einschränkung, wenn man ohnehin nur die Outperformer auswählt.

Dagegen kann eingebracht werden, dass die nachhaltigen Unternehmen auf lange Sicht systematisch besser sind als die anderen, quasi sündhaften Firmen. Das mag auf Unternehmensebene stimmen. Entscheidend für die zukünftige Rendite ist aber immer auch der Preis eines Investments. Wenn sündhafte Aktien immer günstiger werden, weil immer weniger Anleger sie anfassen wollen, so steigen logischerweise deren zukünftige Renditeaussichten.

Dieser Effekt wird umso stärker, je mehr Investoren ihr Geld tugendhaft anlegen wollen. Irgendjemand muss ja all die bösen Aktien kaufen, sonst gibt es keinen Markt und die guten Investoren können nicht aussteigen. Also muss der Preis so lange gesenkt werden, bis sich jemand bereit erklärt, die sündhafte Aktie zu übernehmen und das entsprechende Reputationsrisiko zu tragen. Der Lohn der Sünde ist eine höhere zu erwartete Rendite.

Bisherige Studien zu einem kleinen Kreis sündhafter Aktien zeigen diesen Effekt. Die Sektoren Tabak, Alkohol und Gambling gelten schon seit längerer Zeit als sündhaft, lange bevor Umwelt und Klimawandel ein so grosses Thema wurden. Weil sie zugleich einen relativ kleinen Teil der Gesamtmarktkapitalisierung ausmachen, fiel es vielen Investoren nicht schwer, diese Sektoren ganz beiseite zu lassen. In den letzten 20 Jahren haben jedoch Aktien aus diesen drei Sektoren den Markt gemäss einer Analyse von Empirical Research sehr deutlich geschlagen. Nicht eine akademische Studie über verschiedene Zeiträume konnte zeigen, dass sündhafte Aktien underperformen. Sechs von elf Studien zeigten eine Überrendite als Lohn der Sünde. Die historische Erfahrung scheint sich also mit der theoretischen Erwartung zu decken.

S&P 500 vs Sin Stock Portfolio
Die Grafik zeigt die langfristige Entwicklung sündhafter Aktien (hellblau) im Vergleich zum S&P-500-Index (dunkelblau). Die Gesamtperformance der Sünder belief sich seit 1994 auf das Doppelte des Gesamtmarkts. (Quelle: www.devlinvest.com)

Derzeit wird der Kreis der sündhaften Aktien rapide erweitert: Produzenten fossiler Brennstoffe, Airlines, Zuckerverarbeiter, Soziale Netzwerke und viele mehr stehen auf der potenziellen Abschussliste. Während kurzfristig der Desinvestitionsprozess den Preis dieser Aktien fallen lässt, steigt dadurch die Renditeerwartung in diesen Titeln für die Zukunft. Value Investoren, die immer auf der Suche nach günstigen Aktien sind, werden in den nächsten Jahren deshalb vermutlich vermehrt von sündhaften Aktien angezogen sein.

Die Strategie von Quantex

Wir bei Quantex werden bei der Aktienauswahl weiterhin vor allem auf die erwartete Rendite bedacht sein, nicht auf Nachhaltigkeit – nur schon, weil wir dafür keine überzeugende und alle unsere Investoren befriedigende Definition finden können. Natürlich lag uns insbesondere das G für Governance aus ESG schon immer am Herzen: Wie wird ein Unternehmen geführt und was macht es mit dem Geld der Aktionäre? Die anderen beiden Faktoren sind uns aber zu vage, um damit im Anlageprozess etwas anfangen zu können.

Selbstverständlich haben wir aber nichts gegen Transparenz und lassen unser Portfolio gerne nach beliebigen ESG-Kriterien untersuchen. In Sachen Kohlendioxid-Ausstoss und Umweltfreundlichkeit sollte das aktuelle Portfolio des Global Value Fund zum Beispiel sehr gut aussehen, weil wir seit Jahren keine einzige Aktie aus dem Ölsektor oder der Automobilindustrie drin haben. Dafür sind wir seit geraumer Zeit in einigen Tabakaktien investiert.

Tugend liegt im Auge des Betrachters

Letztlich muss deshalb jeder Investor für sich selbst vermehrt abwägen, was für ihn Nachhaltigkeit bedeutet, auf wieviel potenzielle Rendite er dafür verzichtet und welche Fonds seine Kriterien erfüllen. Höchstwahrscheinlich wird es aus Marketing-Überlegungen schon in naher Zukunft so sein, dass praktisch alle Fonds das Label ESG tragen werden – wie Bio im Supermarktregal – obwohl praktisch dieselben Titel drin sein werden wie zuvor. Das ESG-Label wird damit zur Farce und der Pfad der Tugendhaftigkeit wird nicht weniger Arbeit erfordern als zuvor.

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