Bereits 60% aller Institutionellen Investoren in den USA ziehen Kriterien zur Nachhaltigkeit bei ihren Entscheiden ein. 55% der Pensionskassen sind es gemäss der NZZ in der Schweiz. Der Trend scheint unaufhaltsam. Welcher Stiftungsrat oder Bankmanager will sich schon dagegen aussprechen, beim Investieren die Umwelt, soziale Faktoren und die Governance (Englisch zusammengefasst als ESG) zu beachten? Schliesslich kostet ein reines Lippenbekenntnis zur Tugendhaftigkeit nichts. Doch wie steht es darum in der Praxis?
Das erste grosse Problem besteht darin, was denn ESG überhaupt sein soll. Praktisch jeder Investor versteht darunter etwas Anderes: Ist Kernenergie umweltfreundlich, weil sie kaum Kohlendioxid ausstösst? Sind Hersteller von Zigaretten böse, Hersteller von übersüssten Getränken aber nicht? Sind soziale Netzwerke wie Facebook wirklich sozial oder sogar mitschuldig an der grassierenden Selbstmordepidemie bei Teenagern, wie erste Langzeitstudien zeigen?
Unzählige Anbieter von ESG-Ratings buhlen um die Aufmerksamkeit der Anleger. Eine Studie von Berg, Koelbel & Rigobon (2019) hat ergeben, dass die Korrelation zwischen den ESG-Ratings verschiedener Anbieter für dieselbe Aktie gerade mal 61% beträgt.
Das ist sehr wenig. Bei Kreditratings für Obligationen beträgt die Korrelation der Ratings verschiedener Anbieter 99%. Offensichtlich besteht eine grosse Uneinigkeit bezüglich nachhaltigem Investieren, was angesichts der Komplexität der Materie auch nicht verwundert. Schnell einmal wird die Diskussion, was denn jetzt nachhaltig sein soll, sehr sektiererisch.
Weil aber nicht genau festgelegt werden kann, was nachhaltig ist, sind der Augenwischerei und dem Etikettenschwindel Tür und Tor geöffnet. Acht der derzeit zehn grössten ESG-Fonds in den USA sind zum Beispiel im Ölsektor investiert. Meistens wird dies mit einem «Best-in-Class»-Ansatz gerechtfertigt: Wenn eine Ölfirma wie Shell sich zur Nachhaltigkeit bekennt und einen dicken ESG-Report zum Jahresbericht liefert, ist sie damit besser als andere Ölfirmen und investierbar.
Der praktische Grund dafür ist natürlich, dass gerade Institutionelle zwar nachhaltig investieren wollen, aber bitte ohne einen Tracking Error aufzuweisen, also eine Performance-Abweichung zum Index. Den ganzen Ölsektor auszulassen, ist aus dieser Sicht ein zu grosses (Karriere-)Risiko.
Die wirklich interessante Frage ist deshalb nicht: «Möchten Sie nachhaltig investieren?», sondern «Sind sie bereit, dafür auf Rendite zu verzichten?». Doch muss man das überhaupt?
Bisherige Studien sind sich dazu uneinig. Je nach verwendeten ESG-Kriterien und Zeithorizont der Studie war das nachhaltige Investieren besser oder schlechter als der Index. Was Anbieter von entsprechenden Fonds nicht daran hindert, mittels selektiver Datenauswahl ihren Kunden trotzdem Nachhaltigkeit und Outperformance in Aussicht zu stellen. Und gerne wollen natürlich die Anleger glauben, dass es Tugendhaftigkeit nicht nur zum Nulltarif, sondern sogar noch mit einer Belohnung im Diesseits gibt.
Theoretisch ist es klar, dass Nachhaltigkeit Rendite kosten muss
Aus rein theoretischer Sicht ist jedoch klar, dass wirklich nachhaltiges Investieren jenseits des Etikettenschwindels eine verminderte Rendite zur Folge haben muss. Denn wenn man in ein Anlageuniversum investiert, das einer Einschränkung bezüglich der Titelauswahl unterliegt, muss die erwartete Rendite logischerweise tiefer sein als ohne diese Einschränkung. Denn sonst wäre es ja keine Einschränkung, wenn man ohnehin nur die Outperformer auswählt.
Dagegen kann eingebracht werden, dass die nachhaltigen Unternehmen auf lange Sicht systematisch besser sind als die anderen, quasi sündhaften Firmen. Das mag auf Unternehmensebene stimmen. Entscheidend für die zukünftige Rendite ist aber immer auch der Preis eines Investments. Wenn sündhafte Aktien immer günstiger werden, weil immer weniger Anleger sie anfassen wollen, so steigen logischerweise deren zukünftige Renditeaussichten.
Dieser Effekt wird umso stärker, je mehr Investoren ihr Geld tugendhaft anlegen wollen. Irgendjemand muss ja all die bösen Aktien kaufen, sonst gibt es keinen Markt und die guten Investoren können nicht aussteigen. Also muss der Preis so lange gesenkt werden, bis sich jemand bereit erklärt, die sündhafte Aktie zu übernehmen und das entsprechende Reputationsrisiko zu tragen. Der Lohn der Sünde ist eine höhere zu erwartete Rendite.
Bisherige Studien zu einem kleinen Kreis sündhafter Aktien zeigen diesen Effekt. Die Sektoren Tabak, Alkohol und Gambling gelten schon seit längerer Zeit als sündhaft, lange bevor Umwelt und Klimawandel ein so grosses Thema wurden. Weil sie zugleich einen relativ kleinen Teil der Gesamtmarktkapitalisierung ausmachen, fiel es vielen Investoren nicht schwer, diese Sektoren ganz beiseite zu lassen. In den letzten 20 Jahren haben jedoch Aktien aus diesen drei Sektoren den Markt gemäss einer Analyse von Empirical Research sehr deutlich geschlagen. Nicht eine akademische Studie über verschiedene Zeiträume konnte zeigen, dass sündhafte Aktien underperformen. Sechs von elf Studien zeigten eine Überrendite als Lohn der Sünde. Die historische Erfahrung scheint sich also mit der theoretischen Erwartung zu decken.