Viele Value-Strategien sind statistische Täuschungen
Ergebnisse aus solchen Backtesting-Übungen sind deshalb eigentlich immer zu gut, um wahr zu sein. Das gilt übrigens auch für viele Untersuchungen zu Value-basierten Kennzahlen. Es ist kein Zufall, dass auch viele in akademischen Studien gefundene Value-Strategien seit ihrer Entdeckung nicht mehr funktionieren. Akademiker wie Anleger verdrängen aber gerne diese statistischen Tatsachen und wollen lieber daran glauben, den Stein des Weisen gefunden zu haben.
Wer selbst nicht auf der Suche nach einer Zauberformel ist, glaubt dafür allzu bereitwillig, einen aussergewöhnlich begabten Geldverwalter gefunden zu haben. Erkennbar ist diese Tendenz jeweils daran, wie viel Geld jeweils den neusten Star-Fondsmanagern und Wunderkindern der Finanzbranche zufliesst. Viele davon sind reine Eintagsfliegen wie etwa Hedge-Fund-Manager John Paulson, der in der letzten Finanzkrise gegen Subprime-Hypotheken gewettet hatte und danach mit Milliarden von Anlegergeldern überschüttet wurde. Nach Jahren mit grottenschlechter Performance verwaltet er nun praktisch nur noch sein eigenes Vermögen.
Gerade jetzt nach einem langen Aktienboom ist auch erstaunlich, wie viele Investoren wieder daran glauben wollen, dass «ihr» Aktienfonds mit schönen zweistelligen Zuwächsen über die letzten Jahre sich auch in der Zukunft immer weiter so entwickeln wird. Theoretisch weiss man, dass starke Rückschläge bei Aktien normal sind. In der Praxis macht man sich dann aber doch gerne immer wieder vor, dass «diesmal alles anders ist» oder dass man den richtigen Fondsmanager hat, der dann rechtzeitig aussteigt, bevor die Kurse in den Keller rasseln.
Weit verbreitet bei institutionellen Investoren ist zum Beispiel auch das Denken, dass ihre Anlagen in «Private Equity» weniger riskant seien als öffentlich gehandelte Aktien («Public Equity»). Der Selbstbetrug basiert auf der Tatsache, dass die seltener berechneten und oft nur modellierten Kurse von Private-Equity-Vehikeln weniger volatil sind als täglich gehandelte Aktien. Damit sind sie nach gängiger Lehre weniger riskant, obwohl es sich um den gleichen Basiswert handelt: Beteiligungen an Unternehmen.
Von Bitcoin und anderen magischen Münzen
Das sehr verbreitete naive Extrapolieren von Trends ist letztlich eine Folge des magischen Wunschdenkens. Bitcoin und andere Kryptowährungen zogen täglich eine grosse Schar neu konvertierte Gläubige an, so lange der Chart schön steil nach oben zeigte. Schnell reich werden wollen mit etwas, von dem eigentlich jeder schon gehört hat, ist so kindisch wie der Glaube, das Christkind komme nur zu einem selbst und muss nicht noch all die Millionen anderen Kinder am selben Tag beschenken.
Auf der anderen Seite des Spektrums bieten viele Abzocker und Betrüger dem Anleger eine «exklusive Investitionsmöglichkeit» an und nutzen damit die verbreitete Neigung, daran Glauben zu wollen, das geheime Portal ins Feenreich mit hohen und sicheren Renditen gefunden zu haben.
Der Milliarden-Betrüger Bernie Madoff etwa behandelte seine potenziellen Kunden bewusst schroff und unfreundlich, gerade auch wenn es sich um Prominente handelte. Also umso exklusiver galt es dann, zum Kreis seiner Auserwählten gehören zu dürfen.
Rezepte gegen den Aberglauben
All diesen Versuchungen des magischen Denkens zu erliegen, ist letztlich allzu menschlich. Die hohe Varianz des Geschehens an den Finanzmärkten verhindert es oft, die Realität zu erkennen und fördert den Aberglauben. Trotzdem ist für den langfristigen Anlageerfolg unerlässlich, zu versuchen, den magischen Nebel zu durchdringen und sich der Realität anzunähern.
Dazu gehört es, alle Prämissen und Versprechungen an den Märkten ständig zu hinterfragen und nach Gegenbeweisen zu suchen. Das negative Prinzip, dass es oft einfacher ist zu erkennen, was garantiert nicht funktionieren kann, führt den Anleger nicht selten über das Ausschlussverfahren zur richtigen Lösung (vgl. SpectraNews vom März 2018)
Meistens kommt man mit gesundem Menschenverstand schon erstaunlich weit. Als Leitlinie und Realitätscheck für alle Renditeerwartungen gilt:
- Es ist möglich, relativ sichere und stetige tiefe einstellige Renditen zu erreichen, zum Beispiel mit soliden Anleihen. Aktuell tendieren diese Renditen allerdings gegen Null. Wer auf Sicherheit bedacht ist, sollte im heutigen Umfeld jedoch lieber die Null für eine Weile akzeptieren anstatt sich nach mehr Rendite zu strecken.
- Hohe einstellige Renditen sind meist mit moderatem Schwankungsrisiko erhältlich, zum Beispiel mit einem Mix aus Aktien und Anleihen. Anlagen, die solche Renditen auf stetiger oder sicherer Basis versprechen, sind meist schon suspekt. Oft bestehen über die Zeit ungleich verteilte Extremrisiken («Tail Risks»). Nach Jahren mit stabilen Renditen folgt plötzlich der umso heftigere Schockverlust.
- Zweistellige Renditen sind dagegen nie stetig erreichbar, sondern nur mit erheblichem Schwankungsrisiko. Das kann nicht anders sein, weil man sonst ganz einfach Kredite aufnehmen und in die stabile profitablere Strategie investieren könnte, um so in kürzester Zeit sehr reich zu werden. Wenn ihnen jemand stetige zweistellige Renditen verspricht oder zumindest zwischen den Zeilen in Aussicht stellt, sollten alle Alarmglocken läuten. Entweder es handelt sich um regelrechten Betrug oder aber eine Strategie, die schon bald einen umso heftigeren Verlust erleiden dürfte.
Aktien sind der transparenteste Weg, um zweistellige Renditen auf lange Sicht zu erreichen. Aber natürlich nur um den Preis erheblicher Kursschwankungen, die immer wieder zu Frust, Stress und Phasen der Angst führen. Anders als in den Märchen gibt es keine magischen Wundermittel für mehr Rendite ohne Nebenwirkungen. Ehrlich mit sich selbst zu sein, ist letztlich das Ziel der Übung. Ein erfülltes Leben ohne den Osterhasen und die Zahnfee ist schliesslich auch möglich, wie die allermeisten Kinder bald herausfinden.