In der Zinsfalle

Peter Frech

Bleiben die kurzfristigen Zinsen auf diesem Niveau, werden viele Banken und Immobiliengesellschaften insolvent. Durch die jahrelange Nullzinspolitik wurden sie von den Zentralbanken in eine gefährliche Zinsfalle gelockt.

Die Märkte für Geschäftsimmobilien sind in der Schockstarre. Transaktionen finden kaum noch statt. Und wenn, dann geben sie ein hässliches Bild ab. Der 40-stöckige Union Bank Tower im Zentrum von Los Angeles wurde soeben für 110 Millionen Dollar verkauft. Vor zwei Jahren wurde der Wert des Büroturms noch auf 250 Millionen geschätzt. Doch etwas Gravierendes hat sich seither geändert: Die Zinsen sind rasch und massiv gestiegen.

Der Hauptreiber des grossen Immobilienbooms der letzten Dekade fällt damit weg. Weil die Zinsen ständig sanken, wurden in den USA Geschäftsimmobilien vor kurzem nur noch mit 4.5% Mietrendite gehandelt. Das war ein attraktiver Ertrag, solange es am US-Anleihenmarkt knapp 1% gab und sich die Immokäufer mit 3% Kreditzinsen finanzieren konnten. Doch jetzt liegen die Zinsen für sichere Staatsanleihen am kurzen Ende bei 4% und die Zinsen für die Immobilienfinanzierung entsprechend höher bei 6-7%.

Damit ist klar, dass die Preise für Liegenschaften fallen müssen, bis die Mietrendite in Relation zu den Schuldzinsen wieder stimmt. Denn die Mieten lassen sich nicht über Nacht verdoppeln. Schon gar nicht bei Büroflächen, die mit dem Home-Office-Trend zu kämpfen haben. Ein Abschlag von gut 50% wie im Fall des Union Bank Tower ist da durchaus passend zur neuen Realität.

Noch düsterer sieht das Bild in Europa aus, wo die Zinsen durch die Negativzinspolitik der EZB sogar auf ein tieferes Niveau als in den USA gefallen waren. In deutschen Grossstädten wie München waren zuletzt Mietrenditen von 2.5% üblich – mickrig, aber immer noch besser als Negativzinsen auf dem Bankkonto oder bei langlaufenden Staatsanleihen. So dachten zumindest grosse Pensions- und Immobilienfonds wie auch viele Privatanleger.

Die mangelnden Alternativen an sicheren Renditen lockten eine ganze Generation von Investoren und Anlagevehikeln in die Zinsfalle. Doch jetzt hat die Falle zugeschnappt und die Zinsen sind wegen der Inflation rasch angestiegen: Bei sicheren deutschen Bundesanleihen gibt es bereits wieder 3% am kurzen Ende. Der gesamte Kapitalmarkt wird damit zerrüttet: Die alten Preise stimmen nicht mehr, sind nicht mehr finanzierbar und massive Verluste drohen. Ganze Sektoren sind irgendwo zwischen Schockstarre und Leugnung der Probleme gefangen.

Immobilienpapiere werden zu Schrott

Der Run auf die Immobilienfirmen hat begonnen. Der Stoxx 600 Real Estate Index hat in den letzten zwölf Monaten 40% verloren. Gemäss Berechnungen von Bloomberg werden bereits 62 Milliarden Euro an Obligationen von Immo-Firmen wie Schrottpapiere gehandelt, obwohl sie formell noch ein Investment-Grade-Rating aufweisen. 

Die deutsche Vonovia ist ein Titel darunter. Die Analyse für die Short-Seller ist schnell gemacht: Die Mietrendite auf dem Portfolio von 92 Milliarden Buchwert beträgt gerade mal 3%. Die aktuellen Refinanzierungskosten Vonovias am Anleihenmarkt liegen jedoch bei über 5%. Die Immobilien müssten um die Hälfte abgewertet werden, damit mit einer Mietrendite von 6% die Relationen wieder stimmen. Doch dann ist das ganze Eigenkapital weg und die Firma insolvent. Die Alternative wäre höchstens, der deutschen Politik eine Verdoppelung der Wohnungsmieten schmackhaft zu machen…

Vonovia ist jedoch kein prominenter Einzelfall, sondern symptomatisch für die Probleme der Branche in allen westlichen Ländern. Auch viele Immo-Fonds sind betroffen. Der riesige Blackstone B-REIT wird seit Monaten von Rücknahmegesuchen überrannt. Im März wollen die Anleger 4.5 Milliarden Dollar aus dem 70 Milliarden schweren Fonds abziehen. Blackstone erlaubte nur den Abfluss von 666 Millionen. Zudem hat ein anderes Immo-Vehikel von Blackstone eine Anleihe über 531 Millionen Euro nicht bedient. Für die Besitzer von Geschäftsliegenschaften ist es bereits oft attraktiver, die Zahlungsunfähigkeit zu erklären und ihre Immobilien den Gläubigern zu überlassen.

Die Banken sind noch schlimmer dran

Die nächste Eskalationsstufe sind die Banken. Sie stecken gleich doppelt in der Klemme: Bei den 1400 Milliarden Euro an Krediten für Geschäftsimmobilien-Firmen wird es sicher zu grösseren Abschreibern kommen. In den USA sind sogar 2800 Milliarden an kommerziellen Bankkrediten im Risiko. Bei Hypotheken für Wohnimmobilien droht mittelfristig dasselbe Problem: Werden die höheren Zinsen von allen Schuldnern bedient, wenn die Werte der Immobilien fallen und die Leute in der Rezession ihre Einnahmen verlieren?

Auf der anderen Seite der Bilanz sind die Banken aus derselben Zinsdynamik mit einem Run auf ihre Spareinlagen konfrontiert. Auf Sparkonten in Europa und den USA gibt es derzeit kaum 1% Zins. In sicheren Euro-Staatspapieren dagegen schon 3% und 4.8% in den USA. Allein der massive Zinsvorteil spricht dafür, das Ersparte vom Konto in kurz-laufende Staatsanleihen und Geldmarktfonds umzuschichten. Hinzu kommt das reduzierte Gegenparteirisiko in der neuen Phase der Bankpleiten.

Kein Wunder verzeichnen Geldmarktfonds derzeit rekordmässige Zuflüsse (siehe Grafik nächste Seite). Je mehr Anleger jedoch diesen rationalen Schritt vollziehen und ihr Geld in Sicherheit bringen und dafür sogar noch mehr Zins erhalten, desto mehr Banken werden Liquiditätsprobleme bekommen. Theoretisch könnten sie den Abfluss von Spargeldern durch den Verkauf von Vermögenswerten in ihrer Bilanz wie Kredite oder Staatsanleihen bedienen. Doch wegen den gestiegenen Zinsen sind diese Aktiva alle deutlich weniger Wert.

Spareinlagen und Geldmarkt-Anlagen in den USA

US-Spareinlagen
Die Grafik zeigt die Entwicklung der US-Spareinlagen (grün, linke Skala) und des Vermögens in US-Geldmarktfonds (blau, rechte Skala) in Billionen US-Dollar. (Quelle: Jefferies)

Die Banken sitzen voll in der Zinsfalle: Erhöhen sie den Zins auf den Einlagen, um die Sparer zu halten, schrumpft ihre ohnehin mickrige Zinsmarge und sie verlieren täglich Geld. Erhöhen sie die Sparzinsen nicht, geht der Bankrun weiter und sie riskieren, wie die Silicon Valley Bank und die Credit Suisse illiquide zu werden.

Eine Kreditklemme wie 2008 ist angelaufen

 Was können die Banken also noch tun, um ihre Bilanz zu verbessern? Sie verknappen die Herausgabe von neuen Krediten. Gemäss einigen Masszahlen sinkt die Kreditvergabe derzeit so stark wie zuletzt in der Finanzkrise 2008. Dies verstärkt wiederum die Kreditklemme bei überschuldeten Firmen und erhöht die Wahrscheinlichkeit von Pleiten und Zwangsverkäufen. Die Zinsaufschläge für neue Kredite und Anleihen steigen. Damit dreht sich die selbstverstärkende Spirale weiter nach unten.

Am Ende der Liquidationsspirale wird der Ruf nach einer Intervention von Staat und Zentralbanken so stark werden, dass ihm kaum noch zu widerstehen ist. Die Rechnung wird dann letztlich von der Allgemeinheit in Form von noch maroderen Staatsfinanzen und Währungsabwertungen bezahlt.

Konklusion für Investoren: Der Finanzsektor taumelt auf eine neue Krise zu, in die Falle gelockt von mehr als einer Dekade mit mickrigen Zinsen und entsprechend begünstigten jahrelangen Fehlinvestitionen von Kapital. Aktien von Banken aus allen ehemaligen Tiefzinsländern sind in unseren Augen derzeit uninvestierbar, auch wenn ihre Bewertungen noch so günstig aussehen mögen. Das Ausmass des Schadens lässt sich zu Beginn der Krise zu wenig abschätzen und Totalverluste drohen. Aber auch Titel von anderen Unternehmen, welche auf längere Zeit mehr oder weniger fixe Einnahmen aufweisen und sich kurzfristig am Kapitalmarkt zu höheren Zinsen finanzieren müssen, sind brandgefährlich – allen voran die Immobilien-Firmen oder Infrastruktur-Investments. Generell vorsichtig sind wir auch bei Aktien von überschuldeten Konzernen, welche in den nächsten ein bis zwei Jahren viele Kredite refinanzieren müssen.

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