Hungernde Haifische

Peter Frech

Noch nie gab es eine so lange Phase der Underperformance tief bewerteter Aktien – zumindest gemäss den Masszahlen der Quants von AQR. Die meisten Value-Investoren mussten die letzte Dekade eine ausgeprägte Hungerstrecke erdulden und verschwinden zunehmend vom Börsengeschehen. Werden die Märkte damit ineffizienter? Und was sind die richtigen Schlussfolgerungen daraus?

Leute, die glauben, dass der technologische Fortschritt die Finanzmärkte effizienter macht, sind vermutlich auch der Überzeugung, dass die Sozialen Medien den gesellschaftlichen Zusammenhalt verbessern. Die «Meme-Stock-Mania» in den Jahren 2020 und 2021 zeigte die Schattenseiten einer hyper-vernetzten Börsenwelt auf. Gamestop, AMC Entertainment und Hunderte von Neuemissionen fanden je reissenderen Absatz bei Privatanlegern, je absurder ihr Geschäftsmodell und je maroder ihre Finanzen waren – angeheizt durch den Austausch auf Investment-Foren und lustige Memes.

Ein amüsanter und teils erschreckender Dokumentarfilm auf Youtube gibt einen Einblick in den absurden Todeskult um die Aktien der Pleitefirma Bed, Bath & Beyond (Ticker BBBY): The Cult of the Dead Stock. Der Einzelhändler für Haushaltswaren war einst ein profitabler Value-Titel, der sich 2014 bis 2017 sogar in unserem Global Value Fund befand. Anfang 2022 war die Firma aber eindeutig im Niedergang, bedroht durch Online-Handel und eine überschuldete Bilanz. Gleichwohl stürzten sich Kleinanleger auf die Aktie und bestärkten sich in Videocalls und auf Foren wie Reddit gegenseitig in dem Glauben, damit wie bei Gamestop das ganz grosse Geld machen zu können.


Selbst als das Unternehmen offiziell Konkurs anmeldete, kauften todesmutige Investoren weiter. Wie der Film zeigt, hoffen sogar heute nach der Wertloserklärung aller Aktien von BBBY durch den Konkursrichter noch manche Anleger auf ein Comeback.

Die Theorie der weniger effizienten Märkte

Solche Anekdoten bestätigen natürlich noch keine Theorie bezüglich der zunehmenden Irrationalität der Märkte. Der Finanzmarktforscher Clifford Asness und die Quants seiner AQR Capital Management untersuchen jedoch seit Jahrzehnten das Börsengeschehen und kommen zu genau diesem Schluss. In einer neuen Studie propagiert er «The Less-Efficient Market Hypothesis» Link zur Studie.

Ein Hauptanhaltspunkt für seine These sind verschiedene Value Spreads, welche sich seit Jahren auf stark erhöhtem Niveau befinden. Damit sind die Bewertungsunterschiede am Markt zwischen teuren und billigen Aktien gemeint. Definitionsgemäss müssten diese Unterschiede um ihren langfristigen mittleren Bewertungsunterschied schwanken – doch seit gut sieben Jahren sind sie stark erhöht. Das heisst, teure Aktien sind derzeit besonders teuer oder billige Aktien besonders billig (siehe Grafik unten).

ValueSpreads
Bewertungsunterschiede (Value Spreads) über fünf Value-Kennzahlen für den US-Aktienmarkt in standardisierten Z-Werten. Aktuell erleben wir die stärkste und längste Abweichung von der Null-Linie, also dem langfristigen Durchschnitt. (Quelle: AQR)

Wie die Analysen von AQR ergeben, lassen sich die erhöhten Value Spreads auch nicht durch grösser gewordene Qualitätsunterschiede zwischen den teuren und billigen Firmen erklären. Qualität als Anlagefaktor, gemessen zum Beispiel an Margen und Kapitalrenditen, war die letzten Jahre übrigens auch schlecht und litt genau wie der Value-Faktor unter dem Boom bei Story-Aktien wie Tesla oder Gamestop.

Nur in der grossen Internet-Aktienblase um das Jahr 2000 gab es einmal ähnlich starke Abweichungen der Value Spreads vom Durchschnitt. Asness und andere dem Value-Stil zugeneigte Investoren hatten sich damals nach der extremen Aktienblase der Jahrtausendwende kaum vorstellen können, dass es nur zwanzig Jahre später nochmals zu ähnlich extremen Preisverzerrungen kommt – und dass diese dann auch noch wesentlich länger anhalten:


«Erfahrung aus dem realen Leben hat mich gelehrt, dass nicht nur das Ausmass harter Zeiten zählt, sondern auch, wie lange die harten Zeiten anhalten.» Damit ist das Lamento zahlreicher Value-Investoren zusammengefasst, die seit Jahren vergeblich auf ein Comeback ihres Anlagestils und die Rückkehr von mehr Rationalität an den Märkten warten.

Doch was für mögliche Gründe gäbe es dafür, dass die Preisunterschiede am Markt länger oder sogar dauerhaft hoch bleiben? Clifford Asness führt drei mögliche Hypothesen dazu auf.

Erstens könnte es sein, dass sich mehr Information und bessere Technologien negativ auf die Markteffizienz auswirken. Das tönt paradox, hat doch heute jeder Anleger sofort und überall Unmengen von Daten und Infos zum Aktienmarkt zur Verfügung. Doch sowohl die Geschichte wie auch einige psychologische Experimente zeigen, dass Entscheidungen einer Gruppe von Menschen im Durchschnitt vor allem besser werden, wenn jeder allein im stillen Kämmerchen seine Daten analysiert. Sind die Menschen alle am gleichen Ort oder durch Internet und soziale Medien permanent vernetzt, werden sie zu einem Mob, der anfällig für Gefühlsansteckung ist. Was ist besser geeignet, als die Menschheit zu einem gewaltigen Mob zu formen als überall verfügbares Trading und Soziale Medien, bei denen uns ausgefeilte Algorithmen unter Ausnutzung teils niederer Instinkte zu immer extremerem Content führen?

Sind die tiefen Zinsen an allem Schuld?

Die lange Phase fallender und extrem tiefer Zinsen ist eine zweite mögliche Erklärung. Die Vermutung liegt nahe, dass die lange Nullzins-Phase die renditehungrigen Anleger zu zahlreichen Dummheiten verlockt hat. Doch auf längere Sicht konnte Asness keinen Zusammenhang zwischen dem Zinsniveau und dem Erfolg von Value-Strategien feststellen. Ausserdem waren die Zinsen währen der Internet-Blase des Jahres 2000 alles andere als tief.

Passive Investoren und die Haifische

Eine dritte vermutete Ursache ist das passive Investieren in einen Index. Tatsächlich fällt der Siegeszug des Index-Investing über die letzten dreissig Jahre mit den erhöhten Value Spreads und zwei Spekulationsblasen 2000 und 2020/21 zusammen. Die gleichlaufende Tendenz beweist natürlich noch keine Kausalität. Die Hypothese von Asness geht so: Es gibt am Markt passive Investoren, die den Index kaufen, und aktive, welche untereinander die Preise machen. Nach einer Analogie aus der Pokerwelt teilen sich die aktiven Preissetzer in Haie und Fischchen auf.


Die Fischchen treffen schlechte Entscheidungen auf Basis von Gefühlen, Hypes und Stories ohne rationale Berücksichtigung von Chancen und Risiken. Die Haie nehmen die Gegenseite ein und profitieren auf lange Sicht von den Verhaltensfehlern der Fischchen – so zumindest sehen sich die Poker-Pros und die Value-Investoren gerne selbst.

Ob das passive Investieren an den wilden Value Spreads schuld ist, hängt davon ab, ob die letzten Jahrzehnte mehr Haie oder Fischchen das aktive Anlegen aufgegeben haben. Sind dollargewichtet mehr Haie auf die passive Seite gewechselt – bei institutionellen Grossinvestoren war dieser Trend offensichtlich – so bleiben am Markt relativ mehr Fischchen zurück, die mit ihren Emotionen die Preise machen. Zumindest auf kurze bis mittlere Sicht dominieren sie das Geschehen, bis die Realität sich dann doch durchsetzt: beispielsweise mit dem Konkurs eines Unternehmens wie Bed, Bath & Beyond.

Die Hungerstrecken werden länger

Unterschreibt man Clifford Asness’ Hypothese, dass die Märkte durch die Dominanz der Fischchen irrationaler geworden sind, folgt daraus in der Theorie, dass die zukünftigen Renditeerwartungen für die verbleibenden Haie grösser geworden sind. Es gibt nur ein praktisches Problem: Die Hungerstrecken für die Haie sind mit Blick auf die Value Spreads auch länger geworden. Oder um Lord Keynes berühmtes Diktum zu paraphrasieren: «Die Märkte können länger irrational bleiben, als die rationalen Investoren noch Kunden haben.»

Selbstverstärkende Feedback-Schlaufen sind am Werk: Während den Hungerstrecken sterben immer mehr rational und systematische agierende Fonds aus beziehungsweise ihre Kunden entziehen ihnen das Geld und stecken es in passive Vehikel.

Ein ähnlicher selbstverstärkender Prozess ist bei der geographischen Diversifikation am Werk. US-Aktien haben den Rest der Welt seit 1990 deutlich outperformt. Entsprechend wächst ihr Gewicht in Indizes wie dem MSCI World und passive Anleger investieren immer mehr in Amerika. Da es durch die heute wesentlich höheren Bewertungen der US-Aktien unwahrscheinlich ist, dass sie nochmals 34 Jahre outperformen, wäre mehr internationale Diversifikation rational. Doch eine Hungerstrecke von über 30 Jahren hat die Zahl der aktiven Vertreter von globalen Investments mit weniger US-Gewichtung zwangsläufig schrumpfen lassen.

Quantex Global Value ist auch unter Druck

Als überzeugte Value-Investoren sind wir bei Quantex genau diesem Druck ausgesetzt: Unser Portfolio ist, getrieben durch unseren Bottom-Up-Prozess, immer mehr in Value- und Qualitäts-Titel ausserhalb des teuren US-Markts und besonders abseits der hochgejubelten Tech-Aktien investiert.

Die Underperformance dieser Strategie über die letzten zwei Jahre war brutal. Längere Hungerstrecken von bis zu zwei Jahren waren in der 16jährigen Geschichte des Fonds auch schon vorgekommen. Doch dies war die bisher heftigste (siehe Grafik unten).

GlobalValuePerformance
Die Grafik zeigt die relative jährliche Performance des Quantex Global Value zum Vergleichsindex Bloomberg World. Die kumulierte Outperformance des Fonds erfolgte Schubweise und war gezeichnet von teils längeren Durststrecken. (Quelle: Bloomberg)

Ein Blick auf die Balkengrafik mit der relativen Performance des Global Value Fonds zeigt aber auch, dass die Outperformance-Phasen unseres Stils sehr stark ausfallen können wie 2013 oder 2020-2022. Das Warten auf eine Trendwende am Markt in Richtung Value hatte sich bisher netto immer gelohnt.

Clifford Asness fasst das Dilemma treffend zusammen: «Gutes Investieren besteht daraus, die richtigen Investments zu erkennen und dann mit den Richtigen lange genug durchzuhalten. Das erste ist heute einfacher geworden, das zweite schwieriger.» In diesem Sinn bleiben wir unserem Stil treu und möchten uns an dieser Stelle bei allen unseren geduldigen Investoren bedanken.

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