Europas bessere Hälfte

Peter Frech

Die Börsen Osteuropas gehören zu den billigsten der Welt. Der Discount lässt sich ausser im Fall Russlands nicht rechtfertigen, die Fundamentaldaten der Region sind sehr gut. Ein Leitfaden für Investments in Europas besserer Hälfte.

Ganz Europa unterliegt seit Jahren einer chronischen Wachstumsschwäche. Ganz Europa? Nein. Zumindest ein Teil des Kontinents wächst seit Jahren ungebrochen: Die Volkswirtschaften Osteuropas legten sowohl 2014 wie auch 2015 um satte 3% zu. Im Kontrast dazu löste ein Plus von 1.5% für 2015 in der Eurozone schon grosse Erleichterung aus. Auch im laufenden Jahr dürfte das Wachstum in Polen und anderen Ländern der Region über 3% zu liegen kommen – keine Spur von einer Eurokrise.

Weitere wichtige Makrokennzahlen sprechen für ein längerfristiges Engagement in osteuropäischen Ländern: Die Staatsverschuldungen sind generell viel tiefer als in Westeuropa. Im Schnitt belaufen sie sich auf 54% des Bruttoinlandprodukts im Gegensatz zu 92% in der Eurozone. Zudem ist die Selbstfinanzierung der Schuldenlast hoch: Die Leistungsbilanzen Osteuropas sind im Schnitt ausgeglichen, anders als diejenigen vieler Schwellenländer. Als Netto-Importeur von Rohstoffen profitiert Osteuropa zudem vom aktuellen Preiszerfall, der Rohstoffexporteure wie Brasilien oder die Golfstaaten in eine tiefe Krise stürzte.

Doch die Aktienmärkte Osteuropas dümpeln seit Jahren vor sich hin. Gemessen am zehnjährigen Kurs/Gewinnverhältnis (auch Shiller-KGV genannt), gehören die osteuropäischen Börsen allesamt zu den günstigsten Märkten auf dem Planeten (vgl. Grafik).

Billiger Osten
Das zehnjährige Kurs/Gewinnverhältnis (Shiller-KGV) zeigt, dass die osteuropäischen Aktienmärkte die derzeit billigsten der Welt sind. (Quelle: www.starcapital.de).

Wie lässt sich diese extreme Diskrepanz aus guten Fundamentaldaten und billigen Börsenbewertungen erklären?

Osteuropas Börsen kamen in den vergangenen Jahren gleich mehrfach unter den Hammer. Seit dem Frühjahr 2011 blieben Emerging Markets generell hinter den Börsen der Industrieländer zurück. Dies führte zu entsprechenden Outflows aus allen Emerging-Markets-Vehikeln. 2011 und 2012 erreichte zudem die Eurokrise ihren Höhepunkt, der konjunkturell wie auch stimmungsmässig ebenfalls auf Osteuropa abfärbte. Und im Frühjahr 2014 folgte der nächste Schlag mit der Annexion der Krim durch Russland und dem Grenzkrieg in der Ukraine. Sanktionen wurden beschlossen, der Ölpreis kollabierte und Abermilliarden an Anlagegeldern flossen aus Russland ab.

In den meisten Osteuropa-Indizes und -ETF macht Russland mehr als 50% der Gewichtung aus. Es zeigt sich einmal mehr eine Schattenseite des passiven Investierens: Wer Osteuropa-Vehikel wegen Russland abstiess, verkaufte automatisch auch Polen, Tschechien oder Ungarn – Länder, die weder vom Grenzkrieg in der Ukraine, noch Sanktionen, noch dem Zerfall des Ölpreises betroffen sind.

Genau diese Länder sind aus unserer Optik interessant. Russland dagegen, obwohl im obigen Vergleich mit Abstand der günstigste Markt, weist gravierende Mängel in Sachen Aktionärsfreundlichkeit, Korruption und Rechtssicherheit auf. Viele Aktien wie etwa Gazprom sind nur auf den ersten Blick günstig. Betrachtet man die Cashflows, so wird bald offensichtlich, dass Gazprom selbst in den guten Zeiten keine freien Cashflows erzielte und netto kein Geld an die Kapitalgeber zurückfloss. Russische Aktien sollten deshalb nur mit grossen Bewertungsabschlägen gekauft werden. Bei uns finden sie sich momentan im rein quantitativ basierten Quantex Emerging Markets Fund, nicht jedoch im Global Value Fund.

Die übrigen vier grossen osteuropäischen Börsenplätze Polen, Tschechien, Ungarn und Rumänien bieten dagegen ein aussichtsreiches Jagdgebiet für Value-Investoren. Die Liquidität der meisten Titel ist gut für Privatanleger und kleinere Fonds wie unsere. Auf den Kurszetteln dominieren jedoch wie in vielen Emerging Markets vorerst noch Banken, Versorgungsunternehmen und Energietitel. Einzig die Börse Warschau weist ein erstaunlich breites Spektrum an Sektoren auf. Folgende Unternehmen befinden sich momentan in unseren Fonds:

Asseco Poland ist der führende Anbieter von Software-Lösungen in Osteuropa. Die Kunden finden sich je zu rund einem Drittel im Finanzwesen, der Industrie sowie staatlichen Behörden. Das Unternehmen verzeichnet seit Jahren ein relativ stetiges Wachstum und konstante Margen und Free Cashflows. Die Bewertung der Aktie ist attraktiv, wenn auch nicht spottbillig. (Börsenwert 1.1 Mrd. EUR, Dividende 5.0%)

CD Project ist ein ehemals kleiner Computerspiel-Hersteller, der lange Zeit auf eine treue Fanbasis zählen konnte und dem 2015 mit dem dritten Teil seiner Witcher-Serie ein Welterfolg gelang. Das Kurs/Gewinnverhältnis für das vergangene Geschäftsjahr dürfte nur rund 6 betragen. Die Einnahmen der Firma bleiben jedoch unstetig, da nur alle 2-3 Jahre ein grösseres Spiel aus der Software-Schmiede kommt. Ausserdem stellt sich nun erstmals die Frage, wie das von den Gründern dominierte Management mit dem plötzlichen Geldsegen umgehen wird. (Börsenwert 525 Mio. EUR, Dividende 0%)

Warsaw Stock Exchange ist der Betreiber der polnischen Börse. Je höher das Handelsvolumen und die Zahl der notierten Firmen, desto höher liegen die Umsätze des Unternehmens. Warschau hat sich in den letzten Jahren als führender Börsenplatz der Region etabliert und zieht auch Unternehmen aus Nachbarländern an. Dank relativ tiefen Fixkosten und wenig Kapitalbedarf erzielt die Warsaw Stock Exchange wie andere Börsenbetreiber relativ konstante Free Cashflows, die praktisch vollumfänglich als Dividenden ausgeschüttet werden. (Börsenwert 370 Mio. EUR, Dividende 6.4%)

PGNIG ist ein Gasproduzent und Versorgungsunternehmen, das sich immer noch zu 72% in Staatsbesitz befindet. Anders als die meisten Konkurrenten ist PGNIG jedoch netto nicht verschuldet und erzielt weiterhin freie Cashflows. (Börsenwert 6.7 Mrd. EUR, Dividende 4.1%)

Kernel ist ein integrierter Agrokonzern aus der Ukraine mit Börsennotierung in War-schau. Hauptprodukt ist Sonnenblumenöl. Die Aktie hatte unter der Unsicherheit durch den Grenzkonflikt mit Russland gelitten. Das Unternehmen war bisher jedoch nicht direkt durch die Krise betroffen. (Börsenwert 1 Mrd. EUR, Dividende 1.7%)

Fondul Proprietatea ist ein geschlossener Fonds, über den die ehemaligen Staatsbeteiligungen Rumäniens privatisiert wurden. Im Portfolio finden sich vor allem Energie- und Stromversorgungsunternehmen, aber auch Beteiligungen an Banken und Flughäfen. Ein Grossteil davon ist ebenfalls börsennotiert, so dass die NAV-Schätzungen für den Fonds als realistisch angesehen werden können. Aktuell erhält man diese Beteiligungen über den Fonds mit einem Abschlag von 33% zum NAV. (Börsenwert 1.81 Mrd. EUR, Dividende 6.5%)

Unipetrol ist ein tschechischer Verarbeiter von Rohöl, Hersteller petrochemischer Produkte und Treibstoffhändler. Als solcher hat das mehrheitlich der polnischen PKN Orlen Gruppe gehörende Unternehmen gut von den hohen Margen im Ölsektor profitieren können. Zusätzlich wurde nach Verlusten im Jahr 2014 die Kostenbasis durch ein umfangreicheres Sparprogramm reduziert. Analysten rechnen 2016 sogar mit einer möglichen Dividende, der ersten seit 2007. (Börsenwert 1.1 Mrd. EUR, Dividende 0%)

Philip Morris CR begann seine Geschichte mit einer Lizenz an die damalige tschechische, staatliche Unternehmung Tabàk für die Produktion von Marlboro. 1992 wurde Tabàk durch Philip Morris International übernommen. Heute arbeiten 1200 Angestellte im Unternehmen, und mehr als die Hälfte der produzierten Zigaretten werden ins restliche Europa exportiert. Das Unternehmen hat keine Schulden und weist einen Free Cashflow gegenüber dem Unternehmenswert von über 25% aus. (Börsenwert 1.3 Mrd. EUR, Dividende 6.7%)

KRKA ist ein slowenischer Pharma- und Generikakonzern mit über 10‘000 Mitarbeitern und Produktionsstandorten in Slowenien, Deutschland, Kroatien, Österreich, Polen und Russland. 4/5 der Produkte sind rezeptpflichtige Medikamente, die in über 70 Ländern vertrieben werden. Das Unternehmen hat keine Schulden und investiert viel Geld in die Forschung. (Börsenwert 2.0 Mrd. EUR, Dividende 4.1%)

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