Die Renditetreiber für Value

Livio Arpagaus

Value Investing ist ein sehr breiter Begriff. Manche Leute verstehen darunter Investments in halbtote Turnaround-Geschwüre, andere den Kauf von stabilen Dividendentiteln oder Qualitätsaktien. Wir stellen ihnen die zwei für uns relevanten Value-Stile vor, was deren jeweilige Renditetreiber sind und wann welcher Stil zum Einsatz kommen sollte.

Die Gesamtrendite einer Aktie setzt sich längerfristig aus drei Teilen zusammen: Aus der Gewinn- oder Free Cash Flow (FCF)-Rendite, der Veränderung der Bewertung und dem Gewinnwachstum pro Aktie. Somit lässt sich folgende Formel aufstellen:

FCF-Rendite + ∆ Bewertung + Gewinnwachstum pro Aktie = Gesamtrendite einer Aktie

Am amerikanischen Aktienmarkt belief sich die Gesamtrendite über die letzten fünfzig Jahre auf 11.1% pro Jahr. 6.7% kamen vom Gewinnwachstum, 1.6% durch die höhere Bewertung des Marktes und 2.9% aus den Dividenden.  In unserer Berechnung berücksichtigen wir die gesamte FCF-Rendite und nicht nur die ausgeschütteten Dividenden.

Die nächste Graphik zeigt in schwarz die Gesamtrendite des S&P 500 Index über rollierende zehn-Jahres-Intervalle. Bemerkenswert ist, dass die Veränderung der Bewertung den grössten Teil der Veränderung der Gesamtrendite über zehn Jahre ausmacht und dass das Gewinnwachstum über diesen langen Zeitraum praktisch immer positiv wirkt. Die Dividendenrendite als Ausschüttung liefert ebenfalls stetig einen positiven Beitrag. Über 50 Jahre glättet sich der Einfluss der Bewertungsveränderungen.

10yReturns
Die schwarze Linie zeigt die rollierenden 10-Jahres-Renditen von US-Aktien. Die far-bigen Balken zeigen die Komponenten der jeweiligen Renditen, nämlich Gewinn-wachstum (grün), Bewertungsveränderungen (braun) und Dividenden (blau). (Quelle: Carson Investment Research)

Aus unserer Sicht hat ein Investor nun die Möglichkeit, auf zwei Arten seine Gesamtrendite zu maximieren.

Benjamin Grahams Ansatz

Benjamin Graham ist der Urvater des Value Investing. Seine Anlagephilosophie beschreibt er folgendermassen:


"It is our argument that a sufficiently low price can turn a security of a mediocre quality into a sound investment opportunity."

Graham hatte einen klaren Fokus auf die Bewertung eines Unternehmens und weniger auf dessen Qualität. Diese Strategie, oft auch Deep Value genannt, versucht die Gesamtrendite über eine möglichst hohe FCF-Rendite und die Aufhebung einer grossen Unterbewertung zu maximieren.

Warren Buffetts Ansatz

Warren Buffett war Benjamin Grahams Schüler und hat dessen Ansatz weiterentwickelt. Sein Credo lautet:


“It's far better to buy a wonderful company at a fair price than a fair company at a wonderful price.”

Die Qualität des Unternehmens steht also im Vordergrund. Die Preiskomponente ist durchaus wichtig, Buffett beharrt aber nicht wie Graham auf einer krassen Unterbewertung, sondern auf Qualität zu einem anständigen Preis. Somit versucht Buffett über ein langfristig überdurchschnittliches Gewinnwachstum seine Gesamtrendite zu maximieren.

Wann welche Value-Strategie?

Beide Anlagestrategien haben relativ zum Markt ihre rosige und weniger gute Zeit, wann sollte aber welcher Ansatz implementiert werden?

Dafür können wir zwei Rechenbeispiele anhand von Visa und Petrobras machen. Visa wäre ganz klar Buffetts Favorit als Oligopol mit riesigen Gewinnmargen in einem strukturell wachsendem Markt. Petrobras als Rohstoffproduzent in Brasilien ohne Preissetzungsmacht und mit politisch bedingtem Bewertungsdiscount wäre eher etwas für Graham.

Mal angenommen, wir befänden uns in einem Marktumfeld mit sorgenfreien Investoren, in dem Visa beim fairen Wert und Petrobras mit einer leichten Unterbewertung von 20% handelt. Weiter glauben wir, dass Visa seinen Gewinn über die nächsten Jahre um 12% pro Jahr steigern und Petrobras’ Free Cashflow bloss mit der Inflation von 3% mithalten kann. Zudem gehen wir davon aus, dass beide Aktien in 10 Jahren am fairen Wert handeln. Was ist nun die erwartete Rendite beider Aktien?

Visa hat als wundervolles Geschäft eine höhere Bewertung verdient, deshalb ist ihre FCF-Rendite am fairen Wert nur 3%. Einen Gewinn durch eine höhere Bewertung in zehn Jahren können wir nicht erwarten, weil Visa bereits heute am fairen Wert handelt. Glücklicherweise wächst Visa unserer Meinung nach mit 12%.

Petrobras wächst mit 3% viel weniger stark, dafür beträgt die heutige FCF-Rendite 8% und wenn sich über zehn Jahre die Unterbewertung aufhebt, verdienen wir eine jährliche Zusatzrendite von 2.3%

Die erwartete Rendite beider Aktien ist folglich:

Visa
FCF-Rendite 3%
+ ∆ Bewertung 0%
+ Gewinnwachstum 12%
= Gesamtrendite 15%

Petrobras
FCF-Rendite 8%
+ ∆ Bewertung 2.3%
+ Gewinnwachstum 3%
= Gesamtrendite 13.3%

In diesem Beispiel ist Visa das bessere Investment, weil die Unterbewertung bei Petrobras nicht gross genug ist. In einer Phase der Sorglosigkeit ist das Qualitätsunternehmen vorzuziehen, weil man ungefähr die gleiche Rendite erhält wie bei allen anderen Aktien, aber viel mehr Qualität.

In einer Phase der Angst fliehen aber alle Investoren in die sichergeglaubte Qualität und die Bewertungsunterschiede zwischen den beiden Arten von Aktien können sehr gross werden. In einem solchen Fall kann es sein, dass Visa selbst auch mit 20% Discount leicht unterbewertet wird, Petrobras aber mit einem 50prozentigen Abschlag gehandelt wird. Wie sieht dann die Rechnung aus?

Visa
FCF-Rendite 3.7%
+ ∆ Bewertung 2.3%
+ Gewinnwachstum 12%
= Gesamtrendite 18%

Petrobras
FCF-Rendite 12.8%
+ ∆ Bewertung 7.2%
+ Gewinnwachstum 3%
= Gesamtrendite 23%

Jetzt ist der Bewertungsunterschied der beiden Aktien gross genug, dass man für das Zusatzrisiko in Petrobras entschädigt wird. Wenn alle Angst haben, wird der mutige Anleger belohnt.

Uns ist es bewusst, dass die Beispiele theoretisch sind und nicht zwangsläufig der Realität entsprechen. Zweifelhaft ist zum Beispiel die Annahme, dass sich eine krasse Unterbewertung von 50% stetig über zehn Jahre auflöst. Der Markt ist effizient genug, dass er eine starke Unterbewertung in der Regel schneller korrigiert. Der Graham-Ansatz ist darum in der Krise wahrscheinlich noch potenter als in der Theorie.

Sobald die Unterbewertung von Firmen wie Petrobras wieder aufgehoben ist, müssen diese aber wieder verkauft werden, weil die Rendite stark von der Bewertung abhängt. Deshalb hat eine Strategie à la Graham einen höheren Portfolio-Umschlag als eine Strategie nach Buffett, bei dem das zukünftige Gewinnwachstum einen grösseren Ein-fluss auf die Gesamtrendite hat.

Anlagezyklus
Der Anlagezyklus von Quantex: Graham-Stil in Phasen der Angst: Das zyklische Risiko wird durch sehr tiefe Bewertungsabschläge entschädigt. Buffett-Stil in Phasen der Eu-phorie: Gute Qualität ist relativ gesehen zu günstig.

Makro gehört in die Kaffeepause

Ist Ihnen etwas aufgefallen? Wir haben nicht ein Wort über Makro-Ökonomie, Zinsen oder Währungen verloren. Das ist das Schönste daran, wenn man sich allein von den relativen Preisen von der einen in die andere Strategie treiben lässt. Solange sich die Businessqualität der analysierten Unternehmen nicht gross verändert hat, ist es völlig egal, weshalb sich die Bewertungsunterschiede verändern; wichtig ist nur, dass sie sich verändert haben. Deshalb sind die allermeisten Anleger gut damit beraten, aufzuhören, sich über Makro den Kopf zu zerbrechen und stattdessen auf das Auf und Ab des Marktes zu lauschen.

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