Jeff Currie, Chef des Rohstoff-Researchs von Goldman Sachs, bringt gegenüber Bloom-berg die Misere auf den Punkt: «In vielen Teilen der Welt wurde zu viel in Wind, zu viel in Solar investiert. Die New Economy ist überschwemmt worden mit Investitionen, die Old Economy wurde ausgehungert.»
Currie ist alt genug, um die Tech-Blase der Jahrtausendwende aktiv miterlebt zu haben. Seine Wortwahl mit New und Old Economy verrät es. Damals wurden die Ausdrücke geprägt. Es kam zu ähnlichen Verzerrungen wie heute: Der New-Economy-Hype des Internets der späten 1990er Jahre wurde abgelöst durch einen von China getriebenen Boom der Old Economy. Vom Jahr 2000 bis 2007 waren etwa Stahlaktien und Minentitel die heissesten Sektoren am Aktienmarkt.
Diesmal scheinen aber die Verzerrungen und Fehlinvestitionen weit grösser zu sein. Die Geldpolitik war die letzten zehn Jahre um ein Vielfaches lockerer als in den 1990ern. Entsprechend war auch der Boom in den heissen Sektoren extremer: 2020 und 2021 wurden ständig neue Rekorde in Sachen Börsengänge geschrieben – darunter waren jedoch keine Öl- oder Gasaktien.
Durch Corona und die massiven Gelddruck-Aktionen als Reaktion darauf wurde die Entwicklung beschleunigt. Millionen von neuen Anlegern drängten mit ihren Stimulus-Checks und Kurzarbeitsentschädigungen an die Börse, um Technologie-Titel, Neuemissionen und Kryptowährungen zu kaufen. Der typische Neuankömmling versteht unter Diversifikation ein «Portfolio» von cool klingenden Kryptowährungen und einer Position in Tesla-Aktien, vielleicht auch noch einen Tech-ETF wie der von ARK. Leider wird dies wenig helfen, die nun plötzlich doppelt so hohe Stromrechnung zu bezahlen.
„In der Theorie gibt es keinen Unterschied zwischen Theorie und Praxis.“ - Yogi Berra
In der ökonomischen Theorie ist alles ganz einfach: Branchen, in die viel Kapital drängt, lassen durch das Überangebot an Geld und Konkurrenz tiefere Anlagerenditen in der Zukunft erwarten. Das umgekehrte gilt für Wirtschaftszweige, in die kein Kapital fliesst oder die sogar davon abgeschnitten werden. Dort winken höhere Renditen für alle verbleibenden Akteure.
In der Praxis ist alles jedoch nicht so einfach: Es fühlt sich viel besser an, in trendige Zukunftsbranchen wie Wasserstoff und Autonomes Fahren zu investieren. Vor allem, wenn es alle «Bros» und «Influencer» auf den sozialen Netzwerken auch tun.
Institutionelle Investoren unterliegen in ihren Anlagekomitees ähnlichen Zwängen. Wer ein Votum für mehr nachhaltige Anlagen einbringt, darf mit Zuspruch für seine Weitsicht rechnen. Vorschläge für mehr Investments in Ölaktien und Kohleminen dagegen…
Selbst die CEOs und Verwaltungsräte der verschmähten Branchen unterliegen dem Herdentrieb: Praktisch alle grossen Energiemultis haben ihre Investitionen in die Förderung von Öl und Gas drastisch zurückgefahren. Dabei hätte es für Investments kaum einen besseren Zeitpunkt gegeben als in den letzten zwei Jahren.
Zum Glück steigen aber in der Marktwirtschaft mit den Preisen die Anreize, die versäumten Investments nachzuholen und die Knappheit zu beheben. Noch ein paar Monate mit massiver Outperformance der Energie-Titel und so manches Investmenthaus wird seine Anlagepolitik diesbezüglich nochmals überdenken. Auf der anderen Seite verheisst die Realitätsanpassung jedoch wenig Gutes für Anlagen in den gehypten Zukunftstechnologien.
Derselbe Prozess wird auch die Fehlallokationen bei den Berufsleuten beheben – es dürfte nur noch etwas länger dauern, bis wir alle unseren Kindern empfehlen, eine Karriere als Lastwagenfahrer, Petroleum-Ingenieurin oder Forstwirt anzustreben.