Die China-Frage

Peter Frech

Der Aufstieg Chinas war die weitreichendste wirtschaftliche Umwälzung der letzten dreissig Jahre. Doch wie geht es weiter angesichts der neuen Wende der Volksrepublik zu autoritärem Dirigismus samt Lockdown-Wahn, der beunruhigenden Nähe zu Russland und des demografischem Niedergangs? Sind chinesische Aktien überhaupt noch investierbar? Der Versuch einer Antwort.

Erst vor drei Jahren noch war überall vom «Chinesischen Jahrhundert» die Rede, obwohl es wegen dem Corona-Virus gefühlt schon eine Ewigkeit her ist. Erinnern wir uns: Damals reisten über 100 Millionen chinesische Touristen jedes Jahr nach Europa oder in die USA, um die Sehenswürdigkeiten des Westens kennenzulernen. Heute sind den Chinesen touristische Auslandreisen aus Gründen der nationalen Gesundheit verboten.

Damals war es für Manager erstrebenswert, für ein paar Jahre als Expat nach Shanghai oder Peking zu gehen. Heute wohl eher nicht, weil es fraglich ist, ob man so bald wieder aus dem Land oder nur schon seiner Wohnung rauskommt. Damals war es auch für fast alle westlichen Unternehmen klar, dass man im Zukunftsmarkt China präsent sein muss. Heute überwiegt die Vorsicht vor den Eingriffen des chinesischen Staats oder westlichen Sanktionen gegen China – die ausländischen Direktinvestitionen sind kollabiert. Die neuste iPhone-Fabrik Apples steht in Indien. Damals hatten sich alle an billige Güter aus China gewöhnt – nicht zuletzt auch die Notenbanker, welche sich während Jahrzehnten auf eine tiefe Teuerung dank Chinas brummenden Fabriken verlassen konnten.

Heute stocken die Lieferketten wegen immer neuer COVID-Lockdowns im Reich der Mitte. Und als Damokles-Schwert schwebt ein Krieg oder eine Seeblockade in der Strasse von Taiwan über den globalen Handelsströmen oder gar dem Weltfrieden. Rund 70% aller Computerchips stammen von der umstrittenen Insel. Der langanhaltenden China-Euphorie ist einer breiten Ernüchterung gewichen. Firmen wie Anleger überdenken ihre Investitionsentscheidungen.

«Kaufen Sie jetzt auch günstige chinesische Aktien?». Diese Frage kriegen wir deshalb in jüngster Zeit öfters gestellt. Der Abstieg von Chinas Aktienmarkt und Ansehen in der Welt ging so schnell vonstatten, dass sich die Frage nach einem antizyklischen Investment aufdrängt. Derzeit halten die Quantex-Fonds jedoch keine Aktien aus China oder Hong Kong und es dürfte auf absehbare Zeit so bleiben.

Grundsätzlich sehen wir drei Probleme bei Investments in China. Wobei nur eines davon neu ist:

1. Die Frage der Rechtssicherheit: Dieses Problem bestand schon vor Corona. Die Grenzen zwischen Staat, staatsnahen Konzernen und staatlichen Eingriffen im nationalen Interesse sind ungenau und gefährlich. Mit ein paar wenigen Federstrichen hat China kürzlich den gesamten privaten Ausbildungssektor zerstört, der namhafte Börsentitel stellte. Selbst Mega-Caps wie der Internet-Riese Ali Baba wurden massiv drangsaliert, nachdem dessen Gründer Jack Ma in Ungnade gefallen war. Hinzu kommen teils komplex verschachtelte Holding-Strukturen im Ausland als ADR oder in Hong Kong gelisteter Titel, deren Zugriff auf chinesische Assets im Streitfall rechtlich fragwürdig ist. Prominente Investoren wie der japanische Internet-Tycoon Masayoshi Son bauen ihre Aktienbeteiligungen in China momentan ab mit Verweis auf die regulatorische Unsicherheit.

2. Die Frage der Wettbewerbsfähigkeit: Chinas Aufstieg zur führenden Wirtschaftsmacht galt lange Zeit als ausgemacht. Doch das Land hat ein gravierendes demografisches Problem auf Grund der einstigen Ein-Kind-Politik: Die Gesamtbevölkerung ging 2021 erstmals zurück. Die Zahl der Werktätigen in China schrumpft noch schneller. Längst ist man kein Billiglohn-Land mehr. Bereits sind die Löhne im Reich der Mitte höher als in Mexiko, dass für Exporte in die USA den gewichtigen Vorteil deutlich kürzerer – und sicherer – Nachschubwege hat.

Die demografischen Probleme werden sich rasch akzentuieren: Mittlerweile ist es den Chinesen erlaubt, wieder mehr Kinder zu haben. Doch die Fertilitätsrate lag zuletzt bei nur 1.15 Kindern, deutlich unter den im Westen üblichen 1.5 Kindern pro Frau. Die aktuelle Zero-Covid-Politik dürfte da auch nicht helfen. Die Tendenz der Geburtenrate ist weiter sinkend und könnte wie in Südkorea auf unter 1 fallen. Hinzu kommt ein Überschuss von 112 Männern zu 100 Frauen im gebärfähigen Alter auf Grund der systematischen Bevorzugung männlicher Babies durch Geburtenkontrolle.


Gemäss Projektionen der UNO könnte die werktätige Bevölkerung Chinas bis Ende des Jahrhunderts um 80% schrumpfen. Damit würde Nordamerika dank höherer Geburtenrate und Zuwanderung im Jahr 2097 wieder mehr Arbeitskräfte aufweisen als China.

Dass sich das Land dereinst im grossen Stil öffnen wird für die Zuwanderung aus Südostasien oder Afrika ist momentan kaum vorstellbar. Die Gesamtbevölkerung wird deshalb voraussichtlich ebenfalls massiv schrumpfen und könnte bis ins Jahr 2100 von heute 1.4 Milliarden auf unter 500 Millionen fallen (vergleiche Grafik nächste Seite). Nimmt man allein die prognostizierte Zahl der Werktätigen als Massstab für Wirtschaftsmacht, würde Chinas Anteil an der Welt von heute 19% auf 6% fallen. Ein starker relativer Niedergang, der durch massive Produktivitätsgewinne wettgemacht werden müsste.

Bevölkerung Chinas
Die Grafik zeigt verschiedene prognostizierte Verläufe für die Bevölkerung Chinas in Milliarden Menschen. Derzeit ist auf Grund der rekordtiefen Geburtenrate die tiefste Verlaufskurve am wahrscheinlichsten. (Quelle: UN World Population Prospects 2022)

3. Sanktionen und Kriegsgefahr: Die China-Frage. Der absehbare Bedeutungsverlust Chinas erhöht die Gefahr, dass das Land sich ähnlich wie Russland zu aussenpolitischen Abenteuern bis hin zu einem Krieg hinreissen lässt. Das einstige kompetente Regierungsgremium von wechselnden Technokraten wurde durch die immer autokratischere Alleinherrschaft von Präsident Xi Jinping ersetzt. Wenn der Grosse Vorsitzende der KP etwas beschliesst, wird es kaum noch jemand wagen, ihm zu widersprechen: Sei es bei der derzeitig unsinnigen Null-Covid-Politik oder bei einem Angriff auf Taiwan.

Auch der seit Jahren beobachtbare Fokus von Chinas Regierung auf Autarkie bei Technologie und Lebensmitteln kann als Kriegsvorbereitung interpretiert werden. Wobei fairerweise der Westen mit den durch Präsident Trump begonnenen Strafzöllen und neueren Sanktionen der Biden-Regierung das Land auch in Richtung Selbstversorgung drängt. Daraus wird eine selbstverstärkende Spirale: Sinken die Handelsverflechtungen, steigt die Gefahr eines militärischen Konflikts. Wegen dieser Gefahr wiederum werden vorausschauend die Handelsverflechtungen von beiden Seiten reduziert.

Wie gross die Gefahr eines Kriegs um Taiwan derzeit ist, lässt sich naturgemäss nicht abschätzen. Sie scheint aber real und deutlich höher als noch vor fünf Jahren. Hört man sich die Panel-Diskussionen amerikanischer Think Tanks und Fernost-Experten an, so scheint die Konsensmeinung auf einen möglichen Konflikt in der zweiten Hälfte der laufenden Dekade hinzudeuten, da bis dahin Chinas Marine und Raketenstreitkräfte militärisch weiter aufgeholt oder die USA sogar teilweise überholt haben dürften.

Die Zeit spielt gegen Chinas Ambitionen

Andere Experten wie etwa der prominente Historiker Niall Ferguson weisen jedoch darauf hin, dass die Zeit wegen demografischer Probleme und des Ukraine-Kriegs nun nicht mehr für China spielt, da der Westen und Taiwan aus der Lethargie geweckt wurden und aufrüsten. Es steige somit die Gefahr, dass Präsident Xi in naher Zukunft den Angriffsbefehl gibt. Im Zweiten Weltkrieg wollten die Achsenmächte mit den überfallartigen Angriffen auf die Sowjetunion beziehungsweise die US-Marine in Pearl Harbor auch vollendete Tatsachen schaffen, weil ihnen wegen ihrer krassen wirtschaftlichen Unterlegenheit die Zeit davonzulaufen drohte. 

Selbst ohne Krieg um Taiwan steigt das Risiko eines Investments in chinesische Aktien mit der Nähe des Landes zu Putins Russland. Wenn China anfängt, Waffen und Raketen zu liefern, mit denen die Russen ukrainische Wohnblocks und Spitäler beschiessen, wächst das Risiko westlicher Wirtschaftssanktionen bis hin zur vollständigen Isolation und einem möglichen Handelsstop für chinesische Wertpapiere.

Das Risiko eines effektiven Totalverlusts ist real

Wir erachten deshalb bei einem Direktinvestment in China das Risiko als real, dass ein Anleger ähnlich wie bei russischen Aktien einen Totalverlust oder zumindest eine lange Handelsaussetzung hinnehmen muss. Entsprechend besteht eine potenziell tödliche Gefahr für unser Investment, auch wenn die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses noch so klein sein mag. Aus diesem Grund sehen wir von einer Anlage ab. Hinzu kommt, dass chinesische Aktien nicht günstiger bewertet sind als vergleichbare Papiere an anderen Märkten.


Das Risiko eines Totalverlusts wird nicht annährend entschädigt. Wir investieren aber weiterhin in Aktien, welche Güter und Rohstoffe an China verkaufen oder sogar in China produzieren, solange dies nicht einen Grossteil ihres Geschäfts ausmacht. Bei solchen Titeln wie etwa Adidas oder dem Minenkonzern South32 würde eine Eskalation des Konflikts mit China weh tun, es droht jedoch kein Totalverlust.

Die chinesische Geschichte besteht aus einer langen Abfolge des Wechsels zwischen Abschottung und Öffnung des Reiches. Derzeit verstärkt sich durch COVID und den Ukraine-Krieg die Tendenz zur Abschottung unter Präsident Xi. Es bleibt aber die Hoffnung, dass es in der Zukunft wieder zu einer Öffnung und Wiederannäherung mit dem Westen kommt.

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