Man kann so weit gehen und unser Gehirn als Schwarm von Neuronen betrachten, welche durch elektrische Impulse, sprich Kommunikation, die kollektive Intelligenz des einzelnen Lebewesens erzeugen.
Schwarmintelligenz spielt auf dem Viehmarkt
Das am besten bekannte Beispiel der Schwarmintelligenz stammt ausgerechnet vom Viehmarkt: der britische Naturforscher Sir Francis Galton fragte 1906 an der jährlichen westenglischen Nutztiermesse die Besucher nach dem Gewicht eines Bullen. Er wollte die Dummheit der Massen beweisen, kam dann allerdings zu dem überraschenden Ergebnis, dass der Durchschnitt aller Schätzungen ziemlich genau dem tatsächlichen Gewicht entsprach, mit einer Abweichung von nur 0.8% oder etwa einem Pfund. Liess er nur Fachleute schätzen, war das Ergebnis schlechter.
Entscheidend ist bei der Qualität des Ergebnisses, dass die Schätzungen unabhängig sind. Die „dumme Masse“ schätzt besser, weil die Experten unbewusst gleichgeschaltet sind, sich entweder von einem Meinungsführer oder der allgemeinen Stimmung manipulieren lassen.
Genau hier setzt die Forschung von Dirk Helbling an der ETH Zürich an: Er stellte 144 Studenten sechs Fragen, unter anderem zur Bevölkerungsdichte in der Schweiz, zur Länge der Landesgrenze und zur Mordrate in der Bevölkerung. Als Motivation wurden kleinere Geldbeträge verteilt für diejenigen Probanden, die am besten schätzten. Zusätzlich erfuhr ein Teil der Teilnehmer nach einer ersten Schätzung den Mittelwert aller anderen Schätzungen, ein Teil sogar die genauen Schätzwerte der anderen. Dann wurden sie gefragt, wie zuverlässig sie ihre eigenen Werte sahen.
Es zeigte sich, dass die zuerst gegebenen Antworten im Schnitt die besten waren. Die Schwarmintelligenz sank je weiter, je mehr Informationen zu den Schätzungen der anderen Teilnehmer bekannt waren. Extremwerte verschwanden zwar deutlich, die Zahlen näherten sich allerdings immer mehr, ohne dass der Mittelwert genauer wurde. Der soziale Einfluss, sprich die Kommunikation hat also mehrere Effekte:
- Die Diversität der Antworten verringert sich.
- Der kollektive Fehler bleibt oder steigt.
- Die Meinung zur Exaktheit der eigenen Schätzung steigt, obwohl sie eher schlechter als besser ist.
Gleichschaltung und Gefühlsansteckung
Diese drei Faktoren führen an den Märkten immer wieder zu Spekulationsblasen und Massenpaniken. Die zunehmende Gleichschaltung des Anlegerdenkens hat ebenfalls biologische Ursprünge: Wenn die anderen Gruppenmitglieder in der Savanne plötzlich unvermittelt zu rennen beginnen, rennt man am besten gleich mit anstatt zurück zu bleiben und einem allfälligen Löwen allein gegenüber zu stehen. Nachahmung ist in vielen Situationen sinnvoll. Meist erfolgt sie über Gefühlsansteckung unreflektiert: Die Angst greift um sich oder die Gier, ja nichts zu verpassen. „Das ist genau wie vor der Finanzkrise“, meinte Helbling schon 2011 zu Spiegel Online. „Wenn alle anderen das Gleiche machen wie man selbst, glaubt man, auf dem richtigen Dampfer zu sein.“
Der Homo oeconomicus als rationaler Agent und Nutzenoptimierer ist also höchstens in einer Gesellschaft von Taubstummen Realität, die Hypothese der effizienten Märkte eine Illusion, basierend auf völlig unabhängigen und emotionslosen Entscheidungsträgern.
Die moderne Technik macht es nicht besser, sondern schlimmer. Nachrichten und Meinungen waren noch nie so schnell und einfach zugänglich wie heute. Der Effekt dieser Kommunikationsflut: Die Angleichung der Meinungen und das wilde hin und her der Herden werden potenziell immer extremer. Es ist wohl kein Zufall, dass die grösste Aktienspekulationsblase aller Zeiten im Jahr 2000 mit dem Aufkommen des Internets einherging.
Die Herde jagt Bitcoins
Ein aktuelles Beispiel von Google Trends gefällig? Man tippe Bitcoin ins Suchfeld ein und erhalte das Resultat wie unten gezeigt: einen Hype. Die Zahl der Suchanfragen bei Google nach Bitcoin steigt und fällt ziemlich genau mit dem Preis dieser Kryptowährung.