Der Fiskus vermiest die Party

Peter Frech

Die steigenden Anleihenzinsen verderben den Aktienanlegern die Laune. Doch der Bullenmarkt seit September 2022 steht ohnehin auf wackeligen Beinen. Die Dominanz der Fiskalprobleme wird immer offensichtlicher. Nun hängt für die Aktienbörsen vieles davon ab, ob die Unternehmensgewinne so stark wie erwartet zulegen können.

Die Teilnehmer der geplanten Aktienparty 2025 haben die Rechnung ohne den Anleihenmarkt gemacht. Die Zinsen für länger laufende Staatspapiere steigen in allen wichtigen Märkten seit Monaten, obwohl die Notenbanken auf Zinssenkungskurs sind. In den USA begann der 10jährige Treasury mit dem Sprung von 3.6% auf aktuell 4.8% Verzinsung wohl nicht zufällig genau am Tag der ersten Zinssenkung durch die Federal Reserve im September. Die steigenden Langfristzinsen widersprechen der Bullenmarkt-Story von fallenden Zinsen, welche den Aktienmärkten 2025 zusätzlichen Schub verleihen sollten.

Die Inflation erweist sich sowohl in den USA wie auch in der Eurozone als hartnäckiger als gedacht und von den Zentralbanken gewünscht. Sowohl die Fed wie auch die EZB begannen mit ihren Zinssenkungen bereits deutlich bevor die Teuerung unter die Zielmarke von 2% gefallen war. Man wollte die Zinswende sozusagen herbeireden, auch um die Zinslast der Staatsfinanzen vieler Länder zu verringern. Erreicht hat man das Gegenteil. Inzwischen legen die Preise auf breiter Front wieder zu, getrieben von einer anhaltenden Dienstleistungs-Inflation von 4-5% auf beiden Seiten des Atlantiks. Die Lohn-Preis-Spirale dreht weiter. Die jüngsten Kälteeinbrüche sind sicher nicht hilfreich, da sie zu höheren Energiepreisen führen.

Der Kern des Problems ist, dass die Zentralbanken wie auch viele Anleger den grossen Inflationsschub 2021/22 immer noch als ein transitorisches, also vorübergehendes, Phänomen betrachten und zurück in die gewohnte «Normalität» mit 2% oder gar 0% Zins wollen.


Doch die Welt von 2025 ist nicht mehr dieselbe wie 2015. Seit der COVID-Krise sind die Staatsfinanzen in vielen Ländern aus dem Lot geraten. Die Gesamtverschuldung der OECD-Länder ist von 2019 bis 2023 um 35% auf 54'000 Milliarden Dollar hochgeschossen. Die Defizite türmen sich auch heute trotz guter Konjunktur wie sonst nur zu Krisen- und Kriegszeiten.

Albert Edwards, der Stratege von Société Générale, spricht gewohnt unverblümt bereits von «fiskalischer Durchfallerkrankung», welche die meisten Staaten erfasst habe (siehe Grafik unten).

Fiskaldefizite
Fiskaldefizite in Prozent des jeweiligen Bruttoinlandprodukts BIP. Innerhalb der Eurozone ist die Bandbreite sehr weit, negativ fällt primär Frankreich mit einem Defizit von 6% auf. (Quelle: SocGen)

Steigende Langfristzinsen und hartnäckige Inflation sind Anzeichen der neuen «Fiscal Dominance»: die Fiskalpolitik der Staaten bestimmt den Wert des Geldes, nicht mehr die Zentralbank. Die Ereignisse der letzten Wochen sprechen deshalb einmal mehr für die Fiskaltheorie des Preislevels über die wir an dieser Stelle schon berichtet hatten (siehe Von Argentinien lernen).

Westliche Länder gleichen sich Schwellenländern an

Die Dynamik von Zinsen, Währungen und Staatshaushalten in westlichen Ländern wie Grossbritannien, Frankreich und bald vielleicht auch den USA beginnt immer mehr, derjenigen von Schwellenländern wie Brasilien zu ähneln. Gibt der Fiskus zu viel Geld aus und schwindet das Vertrauen in die Nachhaltigkeit des Staatshaushalts, verkaufen die Anleger die langlaufenden Anleihen, die Zinsen steigen und die Währung fällt.


Um diese Spirale zu stoppen, musste die brasilianische Zentralbank die Leitzinsen seit September schon drei Mal erhöhen. Höhere Zinsen machen Druck auf die Regierung, die Ausgaben zu kürzen oder die Steuern zu erhöhen. Das ist der Sinn einer unabhängigen Geldpolitik. Eine Tradition, die jedoch in weiten Teilen der westlichen Welt in Vergessenheit geraten ist.

Theoretisch können die Zentralbanken die Leitzinsen natürlich weiter senken und sogar wieder Staatsanleihen kaufen, um die Zinsen am langen Ende tief zu halten. Man nennt dies «Yield Curve Control». Doch dann setzt typischerweise die Flucht aus der Währung eines Landes erst so richtig ein und die Inflation legt über die Importpreise zu.

Die schrittweise Entschuldung über eine Deckelung der Zinsen und moderate Inflation ist grundsätzlich möglich. Man spricht dabei von Finanzieller Repression, da Sparer und Institutionen wie Versicherungen, die Anleihen halten müssen, indirekt enteignet werden. Doch diese Strategie funktioniert nur bei tiefer Neuverschuldung und möglichst hohem Wirtschaftswachstum. Bei 1% realem Wirtschaftswachstum und 3% Inflation, also 4% nominalem Wachstum, kann ein Land die Schuldenlast im Vergleich zum Bruttoinlandprodukt BIP weg inflationieren, wenn es die Zinsen zum Beispiel bei 2% deckelt. Aber wenn die Neuverschuldung wie derzeit vielerorts 6% des BIP beträgt, wächst der Schuldenberg weiter – eine viel höhere Inflation müsste generiert werden, damit die Repression funktioniert. Am Ende dieses Pfads warten dann abschreckende Beispiele wie Argentinien.

Regierungen können nur die Art ihres Scheiterns wählen

Regierungen stehen deshalb in vielen Ländern vor dem unlösbaren Dilemma, dass sie entweder wie Biden-Harris abgewählt werden, weil sie zu viel Inflation erzeugt haben, oder dass sie wie Macron in Frankreich von den Wählern abgestraft werden, weil sie sich an die Kürzung von staatlichen Leistungen und Steuererhöhungen machen.

Der Kampf zwischen den überschuldeten Staaten, dem Anleihenmarkt und den Zentralbanken dürfte erst so richtig in die Gänge kommen und ein episches Drama mit offenem Ausgang bieten. Sicher ist aber, dass mehr Instabilität auf der makroökonomischen Ebene nicht förderlich für den Aktienmarkt ist. Mehr Steuern oder höhere Zinsen für Unternehmen sind wahrscheinlich.

Der Aktien-Bullenmarkt steht auf wackeligen Beinen

Fällt das Standbein fallender oder zumindest stabiler Zinsen weg, steht der laufende Bullenmarkt bei Aktien auf wackeligen Beinen. Die Unternehmensgewinne müssen 2025 insbesondere in den USA wie prognostiziert zweistellig zulegen, um die hohen Bewertungen der Aktien zu rechtfertigen.

Ein anhaltender Gewinn-Boom, in schöne Stories von AI-Produktivitätszuwächsen verpackt, ist jedoch höchst unwahrscheinlich. Der Aktienmarkt hat in den letzten zehn Jahren bereits massiv von höheren Margen im Tech-Sektor, tiefen Zinsen und fallenden Steuerraten profitiert. Dass alle diese Effekte in der nächsten Dekade nochmals zu Gunsten der Aktien zusammenkommen, widerspricht der historischen Norm. Die Korrelation des realen Gewinnwachstums über 10 Jahre mit den nächsten 10 Jahren beträgt gemäss Berechnungen von Research Affiliates -0.55 (siehe Grafik unten). Eine Gewinn-Flaute folgt früher oder später auf jeden Gewinn-Boom.

Gewinnwachstum
Die Grafik zeigt das reale Gewinnwachstum der US-Unternehmen auf der Horizontalachse im Verhältnis zum Gewinnwachstum in den folgenden zehn Jahren. Der goldene Stern markiert die aktuelle Ausgangslage und impliziert gemäss der Regressionsgeraden, dass die US-Gewinne in den nächsten zehn Jahren real fallen werden. (Quelle: Research Affiliates)

Konklusionen für Investoren

  • Auf einen anhaltenden Boom der Unternehmensgewinne zu setzen, widerspricht der historischen Norm von gegenläufigen langfristigen Zyklen. Defensive Qualitätsaktien und Gewinn-Stabilität generell erscheinen uns dagegen momentan zu günstig, weil alle nur noch Wachstumstiteln nachrennen.

  • Langlaufende Zinspapiere sind angesichts der miserablen fiskalischen Ausgangslage in den meisten Ländern und immer noch tiefen Zinsen völlig uninteressant und potenziell sogar eine der gefährlichsten Anlagen, wenn es zu finanzieller Repression oder Hochinflationsphasen kommt.

  • Gold und Rohstoffe machen als Inflationsschutz und Anlagen ohne Gegenpartei-Risiko weiterhin viel Sinn und gehören darum in unseren Augen in jedes Depot.

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