Der Anfang vom Ende des Zyklus

Peter Frech

Die extrem langsame Konjunkturerholung seit der Finanzkrise 2008 scheint in die Boomphase einzutreten. Während sich die Stimmung verbessert und bald in Euphorie münden könnte, wird das Timing des Übergangs von offensiven in defensive Aktien zur grossen Herausforderung.

Alle Zeichen stehen auf Boom – nur mag noch niemand so recht dran glauben. Nach Jahren der Stagnation, politischen Krisen und zahllosen enttäuschten Hoffnungen wagt man es kaum noch zu sagen: Der Aufschwung ist da. Zumindest zeigen dies die jüngsten Konjunkturindikatoren aus den USA und Europa eindrücklich: Die vorlaufenden Einkaufsmanager-Indizes (PMI) der Industrie notieren bei 57.7 in den USA und 55.4 in Europa eindeutig in der Boomzone. Der Stand impliziert eine Wachstumsrate von rund 2.4% für die Eurozone, das wäre ein Rekord für die Nachkrisenphase seit 2008/09.

Bereits im vergangenen Jahr fiel das Wachstum in der Eurozone mit 1.7% respektabel aus, gezogen von Spanien mit satten 3.0% und Deutschland mit 1.9%. Damit wuchs der viel gescholtene Kontinent sogar einen Tick mehr als die USA, die trotz besserer Publicity nur 1.6% zulegen konnten. Selbst die Arbeitslosigkeit sank in Europa auf den tiefsten Stand seit 2009 – während am US-Arbeitsmarkt bereits eindeutige Zeichen von Überhitzung und steigender Lohninflation auszumachen sind.

Der Aufschwung ist global: Die Einkaufsmanager-Indizes aller wichtigen Länder stehen erstmals seit langem auf Expansion. Der Economic Surprise Index der Citigroup verzeichnete soeben den höchsten Stand seit Erhebungsbeginn vor 17 Jahren.

Auch im Bankensystem, dem Kern der jahrelangen Malaise, haben sich die Aussichten massiv verbessert. Während amerikanische Institute schon länger vor Kraft und Eigenkapital nur so strotzen, zeigt auch der europäische Patient Anzeichen der Genesung. 2016 kam es nach langer Flaute wieder zu einer Netto-Kreditvergabe durch die Banken Europas (siehe Grafik unten). Hält der Trend an, kann ein selbstheilender Rückkopplungsprozess aus mehr Kreditvergabe, gesünderen Unternehmen und weniger faulen Krediten in den Bankbüchern in Gang kommen.

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Die Grafik zeigt das Wachstum der Kreditvergabe in Prozent durch europäsche Banken: Das doppelte Tief von Finanzkrise 2009 und Eurokrise 2012/13 scheint überwunden. (Quelle: Bloomberg)

Die Politik scheint nur eine Nebenrolle zu spielen.

Die Lage ist damit viel besser als die Stimmung von Anlegern und Wahlvolk. Die Verbesserung der Konjunkturdaten begann bereits letzten Sommer, lange vor der überraschenden Wahl von Donald Trump. Die Aussicht auf Steuersenkungen und Regulierungsabbau in den USA tut nun ihr übriges, um die Stimmung bei den Unternehmen zu verbessern.

In Europa stehen mehrere wichtige Wahlen an. Viele denkbare Krisenszenarien scheinen aber schon eingepreist, wenn die Anleger derzeit so viel Mühe darauf verwenden, Obligationenprospekte auf die möglichen Folgen eines Austritts Frankreichs aus dem Euro abzuklopfen. Verlaufen die Wahlen einigermassen glatt und ist weiteres politisches Durchwursteln angesagt, wäre dies wohl schon eine deutlich positive Überraschung. Jüngste Umfragewerte zeigen jedenfalls schon ein Abflauen der populistischen Protestwelle.

Entscheidend bleibt die Unternehmensebene

Damit haben wir die von Investorenlegende Peter Lynch empfohlenen drei Minuten Makro-Analyse im Jahr aber ohnehin mehr als überschritten. Entscheidend wird nun sein, wie die Unternehmen auf der Mikroebene auf die optimistischeren Aussichten reagieren. Bis jetzt waren die Firmen sehr zurückhaltend mit Investitionen und steckten oft lieber Geld in Aktienrückkaufprogramme und Dividendenzahlungen. Die Investoren belohnten die Unternehmen für dieses Verhalten mit Outperformance – ein typisches Muster in einer Rezession und der folgenden Erholungsphase.

In der Boomphase wollen die Anleger dann aber Wachstum sehen und haben plötzlich wieder ein offenes Ohr für grandiose Investitionspläne und Mega-Übernahmen. Bis jetzt wachsen die Investitionen weniger schnell als die Cashflows und Gewinne, doch das kann sich rasant ändern.

Die stärksten Sektoren seit den US-Wahlen waren Finanzen, Industrie, Rohstoffe und Technologie – allesamt zyklische Sektoren. Die grossen Verlierer dagegen waren Versorgungsunternehmen, Immobilienfirmen und Konsumgüter-Hersteller. Diese defensiven Werte waren in den Jahren der Stagnation und Wachstumsunsicherheit sehr beliebt und damit teuer geworden. Nun ist ihr tiefes, aber stetiges Wachstum plötzlich nicht mehr so interessant, wenn andernorts die Aussicht auf zweistellige Zuwächse besteht. Die steigenden Zinsen und Inflationserwartungen tun ihr Übriges, um stetige Cashflows unattraktiv zu machen.

Massiv gesunken ist auch der generelle Stresslevel am Markt, gemessen an den Bewertungsunterschieden zwischen den einzelnen Titeln. Gemäss Erhebungen von Empirical Research sind diese Valuation Spreads inzwischen wieder unter ihren langfristigen Schnitt der letzten Jahrzehnte gefallen. Typischerweise geht mit fallenden Valuation Spreads eine Outperformance von Value-Aktien einher, weil sich die günstigen Aktien dem Bewertungsschnitt annähern. Dieses Momentum hält normalerweise auch noch rund 12 Monate an, nachdem die Bewertungsunterschiede am Markt unter den langfristigen Durchschnitt gefallen sind.

Schwierige Zeiten für Value drohen

Als Value-Investoren haben wir damit noch etwas Rückenwind. Klar ist aber auch, dass es bei geringeren Bewertungsunterschieden immer schwieriger wird, günstige Titel zu finden. In der Endphase eines Booms sind meist nur noch wirklich hoffnungslose oder gefährlich überschuldete Unternehmen tief bewertet. Alles läuft dann darauf hinaus, die am besten wachsenden Firmen auszuwählen – oder jene, die bei den Anlegern am meisten Wachstumsfantasien wecken. Dies ist nachweislich nicht unser Metier.

Je länger der Boom anhält und je geringer die Bewertungsunterschiede, desto wichtiger wird es aus unserer Sicht, auf Qualität zu setzen. Eine solide Bilanz, stetiger Free Cashflow und eine gute Marktstellung sind Attribute, die am Ende einer Boomphase typischerweise zu günstig werden – wenn auch nur aus relativer Sicht zum euphorischen Gesamtmarkt.

Das Dilemma ist momentan nur, dass diese defensiven Qualitäten vom Markt immer noch mit einer Bewertungsprämie bedacht werden. Diese schrumpft jedoch seit geraumer Zeit und dürfte ganz verschwinden, sollten wir tatsächlich in die finale Boomphase eintreten. Bereits jetzt konnten wir aber einige gut defensive Titel wie den koreanischen Tabakkonzern KT&G oder den spanischen Zigaretten-Distributor Logista zu sehr fairen Preisen kaufen. Mit der Zeit werden mehr solche Gelegenheiten kommen. Doch nun sollten Anleger fürs Erste einmal die Show geniessen.

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