Der Präsident der Vereinigten Staaten bittet die Saudis und Russen am Rande des Weltklimagipfels um eine Steigerung der Ölförderung – mehr Satire geht nicht. Joe Biden drohte der Opec+ sogar mit Konsequenzen, falls sie nicht umgehend die Förderquoten erhöhten. Gleichzeitig predigte die Biden-Administration in Glasgow vollmundig die Energiewende. Wie die Financial Times berichtet, hat das Weisse Haus kürzlich einige US-Produzenten direkt kontaktiert und danach gefragt, wie schnell sie die Förderung erhöhen können – dieselbe Biden-Administration, welche zuvor Genehmigungen für Pipelines und neue Bohrungen auf staatlichem Land verweigerte.
Natürlich steigt mit dem Preis an der Zapfsäule der Druck auf die Politiker, etwas dagegen zu tun. In Deutschland wurden bereits Rabatte auf die Mineralölsteuer ins Spiel gebracht. Frankreich und Italien verteilen Geld an die ärmeren Haushalte, damit sie sich die Gasrechnungen noch leisten können. Vor dem Hintergrund der stark steigenden Inflation sind die Preisanstiege bei Öl und Gas doppelt ungemütlich.
Mit dem Ölausstieg läuft es in etwa wie mit dem Atomausstieg: Er wird vollmundig angekündigt, die Produzenten werden unter Druck gesetzt – und dann merkt man, dass man doch noch nicht ohne leben kann.
Die Rechnung wurde ganz ohne den Konsumenten gemacht. Die weltweite Ölnachfrage stieg gemäss BP bereits wieder auf das Vorkrisen-Niveau von über 100 Millionen Fass am Tag. Dabei sind weder alle Länder noch der Flugverkehr vollständig geöffnet.
Permanent höhere Ölpreise und damit der Anreiz, weniger zu verbrauchen, wären eigentlich ein Teil der Lösung des Klimaproblems. Der grosse Ölpreis-Schock von 1973/74 führte zu zahlreichen Effizienzsteigerungen und einem bis heute anhaltenden Nachfragerückgang in Industrieländern wie Deutschland, Japan oder der Schweiz.
Aber die Politiker haben nicht das Rückgrat, dem Wähler zu sagen, dass mit der Energiewende alles teurer wird und es letztlich auf Konsumverzicht hinausläuft. Also werden Elektroautos subventioniert und Druck auf die Ölkonzerne – immer ein dankbarer Bösewicht – gemacht, weniger Öl zu pumpen. Und dann werden die Saudis und Russen hinten rum angefleht, mehr Öl und Gas zu liefern, wenigstens noch bis zur nächsten Wahl.
Ungewohnte Förderdisziplin dank ESG
Doch Joe Biden und die ESG-Aktivisten haben etwas erreicht, was bis jetzt niemand geschafft hat: Den Ölfirmen mehr Disziplin bei den Investitionen beizubringen. In vergangenen Zyklen verhielten sich die Branchenvertreter bei steigenden Ölpreisen etwa so diszipliniert wie Dreijährige bei den Geschenken unter dem Weihnachtsbaum.
In diesem Zyklus bei Öl über 80 Dollar je Fass aber verharren die Kapitalausgaben auf Tiefstständen: Weniger als 400 Milliarden Dollar werden dieses Jahr für die Erschliessung neuer Öl- und Gasfelder ausgegeben. Auf dem Top des Shale-Booms im Jahr 2014 waren es satte 1000 Milliarden Dollar. Gemäss den Analystenschätzungen werden die Investitionen auch die nächsten Jahre unter 400 Milliarden bleiben.
Damit investiert die Ölindustrie derzeit weniger, als sie jährlich auf alten Investitionen abschreibt. Ein Zustand, der bisher nur einmal in den letzten 70 Jahren erreicht wurde, während des grossen Öl-Crashs Mitte der 1980er Jahre (siehe Grafik).