Die sieben Todsünden des Investierens

Peter Frech

Ständig hört der Anleger gut gemeinte Ratschläge und Tipps, was er zu tun habe. Dabei ist es oft erfolgversprechender, die grössten Sünden zu vermeiden, anstatt besondere Brillanz oder Tugendhaftigkeit anzustreben. Menschliche Schwächen werden auch bei ausgefeilten Anlageprozessen nie ganz verschwinden.

Der Weg ins Anlegerparadies ist lang und beschwerlich. Die Verlockungen am Wegesrand sind mannigfaltig: Ein Teufelchen verspricht schnelle Gewinne mit Optionen, ein anderes flüstert heisse Aktientipps, ein drittes verspricht sichere 5% Rendite in Zeiten der Nullzinsen mit einem ganz besonderen Fonds… Kein Wunder, kommen viele Anleger ständig vom rechten Weg ab und erliegen den Versuchungen von Mammon und anderen Dämonen.

Ohne hier religiöse Gefühle verletzen zu wollen: Ein Blick auf die sieben Todsünden des Christentums kann helfen, auch bei der Geldanlage grobe Fehler zu vermeiden. Gemäss unserer Überzeugung ist das erfolgreiche Investieren vor allem eine negative Kunst (siehe SpectraNews vom März 2018), bei der es mehr darum geht, Fehler- und Verlustquellen auszuschalten, anstatt besonders brillante Erkenntnisse oder Handlungen anzustreben.

Ins Anlegerparadies kommt man sozusagen nicht mit angestrengter Tugendhaftigkeit, sondern vor allem durch das Unterlassen grober Sünden.

Wobei es in dieser Ausgabe nicht um die Eigenschaften schlechter Investments geht, sondern um schädliche Motivationen beim Investor selbst – entsprechend den sieben Todsünden der abendländischen Tradition.

Wiederholten Sündern im Reich des Investierens droht zwar nicht gerade die Hölle, aber doch das Fegefeuer mieser Anlagerenditen und verpasster Vermögensziele. Der bewusste Blick auf bekannte menschliche Schwächen kann deshalb in der Vorweihnachtszeit nicht schaden.

 

SUPERBIA – (Hochmut, Stolz, Eitelkeit)

Die wohl häufigste Sünde beim Investieren, besonders auch unter Fondsmanagern und anderen professionellen Anlegern. Im Kern geht es um die Weigerung, die menschliche Fehlerhaftigkeit anzuerkennen und entsprechend die eigenen Fähigkeiten für überlegen zu halten.

Zahlreiche Studien der Behavorial Finance belegen die Verbreitung von Overconfidence oder Selbstüberschätzung. Der Hochmut manifestiert sich etwa in zu häufigem Trading, der Verwendung von Kredithebeln und Optionen beim Investieren oder der generellen Verbreitung von Prognosen als Basis für Anlageentscheide. Die empirische Beweislage ist eindeutig, dass gerade auch so genannte Experten bei Vorhersagen in hochkomplexen Systemen wie den Finanzmärkten im Schnitt keine brauchbaren Prognosen abgeben können. Trotzdem ist der Börsenzirkus voll von selbstsicher auftretenden Experten, die genau zu wissen scheinen, wie sich die Dinge in Zukunft entwickeln werden.

Die Anfälligkeit für die Sünde wächst natürlich bei allen Anlegern, wenn sie zu lange zu viel Geld verdienten – deshalb sieht man häufig, dass Investoren oder Fonds nach einer Strecke des Erfolgs besonders spektakulär abstürzen. Sei es, weil sie nur mit Glück eine Erfolgswelle in ihrem Anlagebereich geritten hatten und nicht merkten, dass die Ebbe kommt. Oder sei es, weil sie durch den Erfolg nachlässig und übermütig wurden und immer riskantere Wetten eingingen. Hochmut kommt in der Anlagewelt definitiv vor dem Fall.

Eine mildere Form von Superbia dürfte die Eitelkeit sein, die mit Kauf von Investments zur reinen Selbstprofilierung einhergeht: Besonders nachhaltige oder grüne Anlagen zum Beispiel oder trendige Technologie-Startups, mit denen man dann gerne vor Publikum seine Zugehörigkeit zu einer Gruppe von «besseren» Investoren demonstriert.

Demut ist die Tugend, welche den Hochmut im Zaum hält: Die Fehlerhaftigkeit von Prognosen anerkennen oder sie gleich ganz sein zu lassen etwa ist demütig. Ebenso der Verzicht auf die Verwendung von gehebelten Investments, die ja letztlich darauf beruhen, dass man exakt zu wissen glaubt, was die Zukunft bringt. Demut hilft auch dabei, Positionen rechtzeitig zu verkaufen, besonders solche mit einem Verlust: Man anerkennt, dass man einen Fehler gemacht hat und zieht weiter zu besseren Anlagegelegenheiten.

 

INVIDIA – (Neid, Eifersucht)

Das Übel des Neids besteht darin, sich mit anderen zu vergleichen und haben zu wollen, was andere haben. Beim Investieren äussert sich Invidia am offensichtlichsten in der Angst, etwas zu verpassen oder was die Amerikaner «Fear of missing out» nennen. Die Sünde führt direkt zum sprichwörtlichen Herdentrieb der Anleger. Ein anschauliches Beispiel war der Höhenflug von Bitcoin und anderen Kryptowährungen im letzten Jahr. Aber auch so gut wie jede Immobilienblase ist ein Produkt des Neids: Weil praktisch jeder Freunde und Verwandte mit Immobilienbesitz kennt, verbreitet sich schnell das Gefühl, jeder werde damit reich – ausser man selbst, wenn man nicht bald auch ein Haus oder eine Zweitwohnung kauft.

Wohlwollen ist die Tugend, die anderen die Freude an ihren Gewinnen lässt. Oft sind es ohnehin nur Buchgewinne, da nicht alle Leute zusammen reicher werden können. Natürlich hilft es auch, ständige Vergleiche mit anderen zu unterlassen. Wer Mühe hat, sich dem Neid zu entziehen, sollte Freundschaften oder Peer Groups ausserhalb der Finanzwelt pflegen.

 

LUXURIA – (Wollust, Genusssucht)

Die Sünde besteht darin, sich zu sehr von seinen Emotionen und der Lust des Augenblicks treiben zu lassen. Wer den schnellen Gewinn oder den Kick des Glücksspiels an der Börse sucht, ist ein Opfer von Luxuria. Ebenso alle Anleger, die zu viele Spontanentscheidungen treffen, getrübt vom Gefühl des Augenblicks. Wer immer nur seinen Vorlieben nachgeht und nur in seine Lieblingsaktien, -Länder oder –Sektoren investiert, macht über kurz oder lang einen schweren Fehler. Ebenso Fondsmanager, die zu viele Firmenbesuche und Managermeetings machen, welche vor allem ihrem persönlichen Vergnügen dienen. Oder wenn sie dabei nur Fragen so stellen, dass sie zu hören bekommen, was sie hören möchten. Der Confirmation Bias aus der Behavioral Finance geht folglich aus Luxuria hervor. Wichtige Fakten und unangenehme Realitäten auszublenden, ist die grösste Gefahr, die von dieser Sünde ausgeht.

Keuschheit ist die Tugend, welche die Gefühle und Emotionen des Augenblicks im Zaum hält. Ein planmässiger und strukturierter Anlageprozess hilft dabei. Im Zweifelsfall sollte jeder Anlageentscheid einmal überschlafen werden, um die Gefühle abklingen zu lassen. Nötigenfalls hilft auch kaltes Duschen.

 

IRA – (Zorn, Rachsucht, Bitterkeit)

Wie Gift in der Seele brennt das Verlangen nach Rache und zu seinem Recht zu kommen. Beim Investieren liegen Anleger naturgemäss ständig falsch und sehen alt aus. Dabei ist es nur allzu menschlich, mit Wut auf die Frustration zu reagieren und den anderen die Schuld für das eigene Versagen zu geben. Wie beim Poker kann man auch an der Börse ausrasten und in den Tilt-Modus geraten: Das sinnlose Nachkaufen von Positionen im Verlust etwa, um den Breakeven wieder zu erreichen und doch noch Recht zu bekommen, ist eine Ausprägung davon.

Chronischer wird die Sünde bei Verschwörungstheoretikern, gemäss denen geheime Kräfte wie die Zentralbanken, die Bilderberger oder ominöse Zirkel von Grossinvestoren die eigenen Anlagestrategien ständig sabotieren. Wer auf Grund vergangener Verluste zudem ganze Anlageklassen aus Rachsucht kategorisch und für alle Zeit ausschliesst, ist ebenfalls ein Opfer von Ira und schadet sich letztlich selbst.

Geduld ist die Fähigkeit, zu warten und Frustration zu ertragen. Wenn etwas schief läuft bei der Geldanlage, sollte der Fehler nicht bei anderen, sondern höchstens bei einem selbst gesucht werden. Meistens handelt es sich aber ohnehin um Dinge, die niemand verlässlich hätte voraussehen können. Phasen der Frustration liegen in der Natur des Anlagegeschäfts. Manchmal muss man sich auch nur etwas länger gedulden, bis man doch noch Recht bekommt – jedoch ohne sich darauf zu versteifen.

 

ACEDIA – (Faulheit, Feigheit, Ignoranz)

Die Sünde bezeichnet übermässige Faulheit und die Unterlassung zu Handeln und seine Fähigkeiten auszuschöpfen. Ein Opfer von Acedia wird etwa, wer ohne Nachzudenken oder Fakten zu prüfen einfach gute Stories und Anlagen kauft, die alle anderen kaufen. Dies endet meistens in einem Desaster. Immer dem gehypten Fonds oder ETF des Monats nachzurennen, ist eine Variante davon. Alle Anleger, die ihre Hausaufgaben nicht machen, zu viel Gebühren zahlen oder zu lange mit schlechten Vermögensverwaltern zusammenarbeiten, unterliegen letztlich der Trägheit. Ebenso Anleger, die ihr Depot nicht regelmässig ausmisten und sich nicht von Anlagen oder Beratern trennen, bei denen rational nur noch wenig Grund zur Hoffnung auf Besserung besteht.

Eine Ausprägung der Faulheit und Ignoranz ist der weit verbreitete Home Bias: Viele Anleger investieren nur im eigenen Land oder in Branchen, in denen sie selber arbeiten. Dies kann auf lange Sicht keine optimale Strategie sein.

Fleiss ist die Tugend des zielstrebigen Arbeitens und Verstehen Wollens. Viele wichtige Fortschritte beim Investieren lassen sich bereits mit relativ wenig Aufwand erreichen: Zum Beispiel das Sparen von Gebühren durch die Wahl der richtigen Banken und das Vermeiden komplexer und meist überteuerter Anlageinstrumente wie strukturierte Produkte. Wer nicht selbst mitdenkt und etwas Recherche betreibt, wird in der Finanzwelt schnell zum Opfer. Wie sehr man sich dann in die Analyse von einzelnen Wertpapieren vertiefen will, ist auch Geschmackssache. Ohne ein Mindestmass an Fleiss gibt es an der Börse jedoch auf lange Sicht keinen Preis zu holen. Im Zweifelsfall ist sonst eine simple und gebührengünstige Strategie mit Index-ETF vorzuziehen.

 

GULA – (Völlerei, Masslosigkeit)

Wer zu Ausschweifungen und Masslosigkeit neigt, unterliegt Gula. Anleger, die schnell reich werden wollen und sich nach den höchstmöglichen Renditen strecken, sind ihre Opfer. Sei es, weil, sie den neusten Boomanlagen nachrennen, Kredithebel einsetzen oder immer nach der nächsten Amazon-Aktie suchen. 10% im Jahr sind ihnen nicht genug, es müssen 100% oder besser 1000% sein. In der Realität resultiert dann meist eine schlechte Rendite oder der Totalverlust, da zu viele Anleger diese Lotterielose zum schnellen Reichtum kaufen wollen. Empirische Studien zeigen, dass Anlagen mit einem hohen Hebel meistens zu teuer und ihr Risiko nicht wert sind.

Mässigung ist die Tugend der Selbstbeherrschung und des Sinnes für die Realität. Langsam, aber stetig dazuzugewinnen, ist das Ziel. Eine vernünftige Diversifikation der Anlagen ist das einfachste Hilfsmittel zur Mässigung. Es sollte dabei immer eine Strategie verfolgt werden, bei der ein Totalverlust des Vermögens unmöglich ist. Damit wird man zwar in den seltensten Fällen über Nacht reich, doch das sollte vernünftigerweise auch nicht das Ziel sein. Das Unglück vieler Lotto-Millionäre spricht diesbezüglich Bände.

 

AVARITIA – (Geiz, Habsucht, Raffgier)

Die Sünde meint das übersteigerte Streben nach materiellem Besitz. Vor lauter Sparen und Geld Vermehren sollte das Leben nicht vergessen werden. Viele Top-Manager und andere finanziell höchst erfolgreiche Leute kommen irgendwann zur Erkenntnis, dass ein paar Millionen weniger auch gereicht hätten und dass sich all das Geld nicht mehr in verpasste Zeit mit Kindern, Partnern und Freunden oder ein schönes Hobby umwandeln lässt. Der legendäre Investor und Multimilliardär Warren Buffett etwa bereut in seiner Biographie als Einziges, nicht mehr Zeit mit seinen Kindern verbracht zu haben.

Mildtätigkeit ist die Tugend der Nächstenliebe und helfenden Wohltätigkeit. Wer beim Investieren alles mehr oder weniger richtig macht, sollte hier nicht geizen.

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